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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die Regierung eines Despoten, wie Ludwig Napoleon, könne unmöglich lange dauern, und bald werde eine neue Revolution uns den Rückweg in die Heimath bahnen.

Indessen Keiner von uns fand in dem Schlamme seinen Tod, aber wie furchtbar ermüdet und erschöpft waren wir! Und nun hatten wir noch vier Wegstunden zurückzulegen, ehe wir uns wieder auf dem Punkte befanden, an welchem wir gelandet waren.

Gegen drei Uhr Morgens sahen wir uns endlich wieder neben unserem auf den Sand gezogenen Floß. Die Indianer hatten davon das Segel mit fortgenommen. Zwei von uns versuchten, diesen Mangel so gut als möglich wieder zu ersetzen, in der Hoffnung, daß wir zu Wasser nach Paramaribo gelangen könnten.

Am nächstfolgenden Morgen bei unserem Erwachen machten Indianer, die sich zahlreicher eingefunden hatten und eine drohendere Haltung beobachteten, als die ersten, Miene, über uns herzufallen und uns unserer geringen Habseligkeiten zu berauben. Zum Glück befand sich unter ihnen ein Neger von Cayenne, der ziemliche Intelligenz besaß und vollkommen gut französisch sprach. Als er hörte, wer wir waren, bewies er uns die freundlichste Theilnahme, denn er war ebenfalls politischer Verurtheilter und Flüchtling. Er erbot sich, uns nach einer am Ufer des Maroni gelegenen holländischen Pflanzung, Namens Quiberon, zu führen. Die Indianer hatten mehrere Boote auf dem Flusse, und mit steigender Fluth schifften Indianer und Franzosen in bestem Einvernehmen sich ein und ruderten den Maroni hinauf.

Die Pflanzung, nach welcher er uns führte, war von den edelmüthigsten Herzen bewohnt. Der Commandant Cappelaer empfing uns auf’s Freundlichste und erwies uns nicht blos die umfassendste Gastfreundschaft, sondern auch jene zarten Rücksichten und Aufmerksamkeiten, welche das Herz erwärmen, und diese stellten unsern moralischen Muth eben so wieder her, wie der Bordeauxwein und das frische Brod uns wieder neue Körperkraft gaben.

Wir blieben vierundzwanzig Stunden bei dem guten Commandanten Cappelaer. Am nächstfolgenden Tage – den 19. Septbr. – sagte unser gastfreundlicher Wirth, daß er nicht ohne Besorgniß für uns sei.

„Der französische Gouverneur,“ sagte er, „wird Euch verfolgen lassen. Ich bin nicht im Stande, seinen Leuten Widerstand zu leisten, und rathe Euch daher, einen Entschluß zu fassen.“

Eine englische Goëlette war in Sicht und der Commandant Cappelaer forderte den Capitain auf, uns mit nach Demerary – dem Ziele seiner Reise – zu nehmen. Der Capitain verlangte dafür sechshundert Francs. Wir konnten nicht mehr, als dreihundertundvierzig zusammenbringen. Dies war dem Capitain zu wenig und er setzte seinen Weg ohne uns weiter fort. Unser Wirth verschaffte uns nun ein Boot; unser Zimmermann bewirkte einige Reparaturen daran, und wir nahmen Abschied von der gastfreundlichen Familie Cappelaer. Vier Indianer begleiteten uns.

Wir hatten eine herrliche, ruhige Fahrt, und am Abend legte unser Boot am Gebiete eines Indianerstammes an. Wir mietheten hier vier andere Führer zur Weiterreise bis Paramaribo, hielten unsere Abendmahlzeit und legten uns dann unter dem hellgestirnten Himmel am Wachtfeuer nieder, um zu schlafen.

Unsere neuen Wirthe zeigten sich sehr discret und bescheiden, und nur einige junge Frauen verriethen ein wenig Neugier, die zwanzig Männer mit langen Bärten und in der seltsamen Kleidung zu sehen – Männer, deren bleiche Gesichter von dem Fieber gelb geworden oder von der Sonne gebräunt waren.

Endlich nach drei Tagen und drei Nächten stiegen wir in der Hauptstadt Paramaribo an’s Land. Trotz dieser letzten ruhigen glücklichen Fahrt waren wir doch bei unserer Ankunft fast Alle ziemlich krank.

Wir erwarteten, hier in Freiheit zu leben, aber man nahm uns gefangen und schickte uns in das Fort. Hier versprach man, uns freizulassen, sobald man genügende Beweise von unserer Eigenschaft als politische Verurtheilte erlangt haben würde.

Das Gefängniß, in welches man uns brachte, hatte Jammergestalten aller Art aufzuweisen. Man verwahrt hier nicht blos Verbrecher, sondern auch Wahnsinnige und Aussätzige und auf dem Hofe werden die Peitschenstrafen an den Negern vollzogen.

Dieses letztere Schauspiel empörte uns so sehr, daß wir einen Augenblick lang unsere Aufmerksamkeit vergaßen und an den Gouverneur einen Brief schreiben ließen, in welchem wir für die Neger die Menschenrechte in Anspruch nahmen und gegen die Grausamkeit der ihnen zu Theil werdenden Behandlung protestirten. Das Resultat dieses Briefes läßt sich leicht errathen. Man holte acht von uns und sperrte sie in gesonderte Zellen.

Unser Loos war überhaupt in diesem Fort ein ziemlich hartes. Die Kost war kaum zu genießen und wir mußten auf der nackten Diele schlafen. Diese ungerechte feige Haft dauerte einen Monat. Endlich benachrichtigte man uns, daß einige unserer Landsleute nach dem englischen Guyana eingeschifft werden würden. Nächstfolgenden Morgen, den 21. October, verließen auch in der That mehrere Gefangene das Fort, und man führte sie auf einem Umwege um die Stadt herum an Bord des Dampfers Paramaribo, der sie am 22. November in Demerary an’s Land setzte.

Wir konnten auf solche Anerbietungen nicht sogleich eingehen, und als wir den Hof des Gouverneurs verließen, erkundigten wir uns nach dem amerikanischen Consulate. Der Consul empfing uns höflich, antwortete uns aber, er könne uns erst den nächstfolgenden Tag Audienz geben, weil er in diesem Augenblicke dringend beschäftigt sei. Zugleich befahl er unserem Dolmetscher, uns in ein Gasthaus zu führen, und versprach, unsere Zeche zu bezahlen.

Am Abend ließ zu unserer Ueberraschung der Gouverneur uns zu sich rufen und bot uns Arbeit im Hafen an. Wir nahmen das Anerbieten an und begingen auf diese Weise eine Unklugheit, die wir bald bitter bereuten. Wir machten uns verbindlich, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang für einen Lohn zu arbeiten, der kaum zu unserer Beköstigung hinreichte. Das einzige Zugeständniß, welches man uns machte, war, daß wir nur im Schatten arbeiten sollten. Wir verdienten, wie eben gesagt, nicht genug, um Geld sparen zu können, und dennoch verschmähte man es nicht, uns in dem Hause, wo wir uns einlogirt hatten, zu bestehlen. Auf unsere Beschwerde gab der Gouverneur, dessen Cassirer beauftragt war, den Betrag für unsere Wohnung und Beköstigung von unserem Lohne zurückzubehalten, zur Antwort:

„Miethet eine Wohnung, wo Ihr wollt, kauft Euere Lebensmittel und besorgt Euere Küche selbst, und Ihr werdet dennoch bestohlen werden.“

Da wir sonach weder auf unsere Ersparnisse, noch auf die Unterstützung des Gouverneurs rechnen konnten, um die Mittel zur Bezahlung unserer Ueberfahrt entweder nach den Vereinigten Staaten oder nach England zu erlangen, so blieb uns nur ein Ausweg, nämlich der, uns einem Capitain als Matrosen anzubieten. Der Capitain der „Sappho“, eines nach England bestimmten Kauffahrteischiffes, verstand sich auch wirklich dazu, mich und einen meiner Freunde unter der Bedingung mitzunehmen, daß wir unsere Ueberfahrt abarbeiteten.

Ich will mich hier nicht ausführlich über die Leiden dieser Reise verbreiten, welche weder zu den friedlichsten, noch zu den angenehmsten gehörte. Unser Capitain war ein scheinheiliger Schurke, und die Matrosen zeigten sich durchaus nicht freundlich gegen zwei Männer, die nichts von der Schiffsarbeit verstanden und von welchen der eine – mein Camerad – fortwährend an der Seekrankheit litt. Wir wurden auf alle nur erdenkliche Weise mißhandelt und ohne einen Heller in der Tasche und mit nichts auf dem Leibe, als unsern zerlumpten Kleidern von Cayenne, endlich auf das Pflaster von Liverpool gesetzt und uns selbst überlassen.

Kein Geld, kein Freund, ein unbekanntes Land, eine fremde Sprache, geistige und körperliche Erschöpfung, bittere Kälte und nagender Hunger – dies war die schlimme Seite unserer Lage; andererseits aber waren wir doch frei!

Wir waren nun in einem Lande, wo jeder Verbannte, wo jeder Flüchtling des Continentes ein Asyl suchen kann, ohne befürchten zu müssen, hier noch verfolgt oder auch nur beunruhigt zu werden. Durch einige mitleidige Landsleute mit Reisegeld versehen, begaben wir uns nach London, um Freunde aufzusuchen, die uns bald Arbeit und sicheren genügenden Erwerb verschafften.

Und hier, kaum eine Tagereise von Paris entfernt, harren wir geduldig, bis die nicht mehr ferne Stunde unseres Peinigers schlagen wird.



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