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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Schellenberg schüttelte den Kopf. „Ich werde diesen Platz nie einnehmen,“ sagte er, „wenn ich Sie vorher daraus verdrängen müßte! Sie haben mir solche Beweise eines tief gefühlvollen Herzens gegeben, daß ich überzeugt sein kann, Sie verstehen und würdigen meine Empfindung in diesem Falle; Sie wissen recht gut, daß ich eines Besitzes niemals froh werden würde, wenn auf ihm der Fluch lastete, meine Retterin einer Zufluchtsstätte beraubt zu haben. Es wäre eine Grausamkeit, wenn Sie einen solchen Gedanken noch einmal laut werden ließen.“

„Aber Sie werden,“ sagte sie schüchtern, „doch das Haus Ihrer Väter wieder in einen würdigen Stand setzen lassen, Sie werden vielleicht den Kriegsdienst verlassen und hier wohnen wollen, Sie begreifen also – –“

Er unterbrach sie: „Ich könnte ja im Wolfsgrund wohnen, aber fort mit aller Rückhaltung! Warum soll ich Ihrem schönen Herzen gegenüber mein Herz nicht frei und offen aussprechen? Wohnen bleiben müssen Sie nun einmal schlechterdings auf dem Waldhof, doch warum sollen wir nicht zusammen darauf wohnen? Das Schicksal hat uns in diesem einsamen Winkel der Erde auf seltsame Weise nahe gebracht, mein Herz hat sich rasch und bestimmt entschieden; erkennen auch Sie in den Fügungen des Schicksals eine führende Hand der Vorsehung, und vereinigen Sie Ihr Geschick mit dem meinigen, beglücken Sie mich durch Ihre Hand, werden Sie die Meinige!“

Thekla wandte das Haupt um, das aus tiefer Purpurröthe in völliges Erblassen übergegangen war.

Weniger stürmisch, aber mit sanfter Eindringlichkeit fuhr er fort: „Halten Sie meinen Antrag nicht für übereilt und unzart, in meinem Herzen ist er fürwahr gereift genug, und der Drang der Verhältnisse, Ihr eigener Entschluß, den Waldhof verlassen zu wollen, macht ihn nothwendig. Freilich sehe ich wohl ein, daß ich Ihnen so gut wie ganz unbekannt bin, daß Sie keinen Anhaltpunkt haben, um sich von dem Werth meines Charakters zu überzeugen. Die Angst, Sie möchten meinen Vorschlag abweisen, zwingt mich, als mein eigener Anwalt und Schutzredner aufzutreten. Glauben Sie mir, ich besitze die Eigenschaften des Herzens, um ein weibliches Wesen wahrhaft lieben und glücklich machen zu können. Von dem ersten Augenblicke an, wo ich Sie sah, sprach mein Gefühl für Sie, und ich habe mich gewaltsam beherrschen müssen, daß ich nicht täglich hierher kam und Sie aufsuchte. Ich beherrschte mich, weil ich Sie für Ihre Dienerin Henriette hielt, nicht als wenn ich des Standes wegen meinem Herzen hätte Gewalt anthun wollen – denn meine Gedanken auf dem ersten Rückweg vom Waldhof sprangen sogleich über diese Schranke hinweg – sondern weil ich durch meinen Unterofficier Winrich erfuhr, daß zwischen ihm und Henriette ein Einverständnis gegenseitiger Neigung stattfinde, und weil ich demnach als ehrlicher Mann doppelt auf meiner Hut sein mußte. Vertrauen Sie mir, und Sie sollen es gewiß niemals zu bereuen haben. Doch Sie schweigen sind Sie eben so entschieden gegen eine solche Verbindung, wie ich sie mit glühender Seele wünsche?“

Er legte die Hand auf ihr Haupt und drehete es sanft um, so daß er ihr in’s Angesicht schauen konnte, und er sah, wie unter den gesenkten Wimpern hervor einige große Thränen über die nun wieder in Purpur erglühenden Wangen rollten. Und als sie nun die Wimpern erhob, und als aus der Tiefe ihrer Augen ein warmer entzückender Strahl seinem ängstlich forschenden Blick begegnete, da bedurfte er keiner weiteren Antwort, da wußte er, daß er glücklich war, und schloß die Liebliche in seine Arme.



IX.

Bei der späten Rückkehr zum Wolfsgrund fand Schellenberg einen Brief von dem Freihern von dem Busch vor, worin dieser ihm freudevoll seine Verlobung meldete und seinen stürmischen Dank aussprach, da nur die Aufopferung des Freundes es ihm möglich gemacht habe, zu dem ersehnten Ziele zu gelangen. Schellenberg wandte die Nacht dazu an, dem Freunde seine eigenen Erlebnisse zu berichten, jedoch so, daß die eigentliche Schuld des unglücklichen Marx verschwiegen blieb, über welche er nun einmal für immer einen dichten Schleier werfen wollte; er erklärte sich seinerseits für nicht weniger dankbar, weil nur sein Eintreten für den Freund ihn auf den Weg zu seinem Glück geführt hatte. Aber er begnügte sich nicht damit, sondern er setzte eine Denkschrift auf, worin er die großen Nachtheile entwickelte, welche für diese Grenzbezirke aus der Schmuggelei entstanden. Die Verhandlungen mit dem Nachbarstaate wegen einer Zolleinigung hatten sich bis jetzt zerschlagen, aber die Denkschrift wies nach, wie die Zugeständnisse, welche verlangt wurden, nicht im Verhältniß ständen zu der Verarmung, Verwilderung und Entsittlichung der Grenzbewohner, und sie legte es daher der Landesregierung warm an’s Herz, lieber einige Ansprüche fallen zu lassen und eine Vereinigung herbeizuführen. Der Präsident der Regierung dieser Provinz, der ja nun der Schwiegervater des Lieutenants von dem Busch wurde, hatte den bedeutendsten Einfluß auf die Entscheidung in dieser Frage, und daher bat Schellenberg seinen Freund dringend, bei Uebergabe der Denkschrift deren Inhalt angelegentlichst zu bevorworten. – Als er darauf auch noch sein Abschiedsgesuch aufgesetzt hatte, legte er die Feder nieder, löschte die Lichter aus und sah der Morgenröthe, welche eben die Bergspitzen vergoldete, mit hoffnungsreicher, glücklicher Seele entgegen.

Die Antworten, welche Schellenberg auf seine Schreiben erhielt, waren in hohem Grade befriedigend. Der Präsident begleitete das Glückwunschschreiben seines Schwiegersohnes mit einem sehr freundlichen Briefe, worin er dem schönen Eifer, der sich in der Denkschrift ausgesprochen hatte, die vollste Anerkennung ausdrückte, seinerseits die bereitwilligste Thätigkeit versprach und einen günstigen Erfolg in sichere Aussicht stellte. Von seinen Vorgesetzten erhielt Schellenberg die schmeichelhafteste Belobung für seine erfolgreiche Wirksamkeit zur Unterdrückung der Schmuggelei; man bedauerte sehr, daß er aus dem Dienste treten wolle, aber man gewährte ihm den Abschied in den ehrenvollsten Formen.

Als Schellenberg mit seiner jungen Gattin den einen wiederhergestellten Flügel des Waldhofes bezog, Winrich und Henriette sich in einem allerliebsten Försterhause niedergelassen, da langte auch die Nachricht an, daß die Zollvereinigung zu Stande gekommen sei, und zugleich traf die Begnadigung der verhafteten Schmuggler ein. Schellenberg wandte nun die ganze Summe, die ihm Marx als aus seinen Handelsgeschäften gewonnen bezeichnet hatte, dazu an, um segensreich in seinen Umgebungen zu wirken. Durch Geschenke oder Vorschüsse setzte er die verarmten Familien in Stand, sich auf die Betreibung der Viehzucht zu legen, oder das Köhlergewerbe zu ergreifen, oder Steinbrüche zu eröffnen, oder andere Unternehmungen zu beginnen; er sorgte dafür, daß durch die Anlage guter Straßen die Erzeugnisse der Gegend einen gesicherten und erleichterten Absatz fanden; er war mit Rath und That überall bei der Hand, wo man seines Beistandes bedurfte.

Als die Wiederherstellung des Waldhofes vollendet war, da sah sich Schellenberg nicht blos durch den Besitz eines trefflichen Weibes beglückt, sondern er gewahrte auch in seinen Umgebungen bereits die schönsten Erfolge seiner Bemühungen, und eine hohe Anerkennung ward seinem Wirken von allen Seiten zu Theil.




Humboldt’s Ruhestätte.

Fast möchte man sich veranlaßt fühlen, mit einem bitteren Accent das Wort „Ruhestätte“ zu betonen; denn ruht nicht bereits nach kaum einem Monat über Humboldt’s Grabe die Stille der Vergessenheit?

Allerdings hat diese Anschauung einige Berechtigung, wenn es die eines der zahlreichen Verehrer Humboldt’s ist, welche in diesem nur den Mann der Wissenschaft sahen. Derjenige aber wird sie nicht theilen, welchem Humboldt’s ganze Große klar vor der Seele steht, denn dieser weiß, daß er der Zeit nicht fern stand, deren Erfüllung jetzt über uns gekommen ist, und daß ihn daher diese Erfüllung in seinem Innersten berührt haben würde.

Humboldt’s bis zum letzten Augenblicke klarer Geist hörte den leisen Flügelschlag des allgemach wieder zum Besseren emporstrebenden Genius der Weltgeschichte, obgleich er sich wohl gesagt haben mag, daß er den glücklichen Ausgang des kühnen Sonnenflugs nicht mehr erleben werde. Schien auch die Natur ihr strenges Gesetz, welches an den alternden Leib die Folge der Geistesabnahme knüpft, an ihrem Liebling in mildester Form anwenden zu wollen, so konnte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_364.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)