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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Horn. Frau van Buskirk, in deren Hause die beiden Media wohnen, ist in der ganzen Stadt als vertrauenswerth bekannt; sie versichert, daß die Trompete sehr oft in der Nacht das Bett der Media besuche und mit denselben lange Unterredungen habe.“

Wir haben weiter nichts zu sagen. Jedes Jahrhundert hat seine eigenthümlichen Abspurigkeiten; die Tollheit will von der Menschheit nicht lassen und sehr richtig hat man einmal geäußert: Der Wahn ist der größte Dichter aller Zeiten.




Vier Jahre in Cayenne.
(Fortsetzung.)

In einer dieser Zellen lag ein noch lebender Gefangener. Wir baten die Aufseher, die uns auf den „Castor“ gefolgt waren, ihn einen Augenblick herauszulassen, und mit großer Mühe bewogen wir sie, unsern Wunsch zu erfüllen.

Ich glaube jetzt noch, diesen Unglücklichen vor mir zu sehen, der nach mehreren Jahren auf eine Minute dem Lichte wiedergegeben ward. Unbeweglich, wie vernichtet und stumm stand er da. Er „athmete lange und athmete tief“ und schien, des Klanges der menschlichen Stimme entwöhnt, das Wort seiner Brüder kaum zu hören. Sein Körper war bis auf’s Aeußerste abgemagert und seine Haut vom Aussatze zerfressen und zernagt. Sein Wuchs mußte früher ein athletischer gewesen sein. Seine Kniescheiben hatten einen ungeheueren Umfang, während die Beine nur noch aus Haut und Knochen bestanden. Sein Bart und Haar war furchtbar lang und weiß, obschon der Unglückliche noch nicht fünfundvierzig Jahre zählte. Ueber seine Vergangenheit erfuhr ich Folgendes. Drei von der päpstlichen Polizei an die französische ausgelieferte Italiener wurden unter einem unbekannten Vorwande nach Cayenne transportirt. Man wollte sie nicht mit anderen politischen Gefangenen in Berührung kommen lassen und sperrte sie deshalb in das Stadtgefängniß, aus welchem einer von ihnen entsprang. Nun versenkte man die beiden anderen in die Zellen des Gefängnißschiffes „Castor“. Dies ist Alles, was ich von der Vergangenheit dieses Unglücklichen und seines Cameraden weiß.

Während er noch so auf dem Deck stand und in wenigen Minuten mehr frische Luft athmete, als er seit fünf Jahren geathmet, brachte eine Barke zwei Diener Sr. Majestät Napoleons III., den Admiral Baudin und den Gouverneur La Richerie. Die Aufseher wollten den Italiener schnell wieder in seine Zelle führen, aber es war schon zu spät. Der Admiral hatte ihn bereits gesehen und bleich vor Wuth bei dem Anblicke seines auf wenige Augenblicke seinem lebendigen Grabe entrissenen Schlachtopfers rief er:

„Wer hat diesem Menschen erlaubt, auf’s Deck zu kommen? Gleich bringt ihn wieder in seine Zelle!“

Einer der Aufseher wollte sich mit der Krankheit des Gefangenen entschuldigen, aber der Admiral unterbrach ihn wüthend:

„Für solche Menschen gibt es keine Krankheit. Versteht Ihr mich? Keiner wage wieder, meine Befehle auf diese Weise zu übertreten.“

Was ward aus dem Italiener und seinem Genossen? Sind sie todt? Niemand hat etwas darüber erfahren. Ihre Familien in der Heimath wissen nicht einmal, daß sie nach Cayenne transportirt worden sind.

Wir blieben einundfunfzig Tage auf dem Ponton, dann kam ich mit funfzehn meiner Leidensgefährten in das „rothe Schloß“, die Bastille der sogenannten Königsinsel. Die Ueberfahrt nach derselben war ziemlich beschwerlich. Die Hitze war furchtbar und als wir ausstiegen, mußte jeder einen Sack von ziemlich hundert Pfund Gewicht auf die Schultern nehmen. Die Insel ist sehr steil und der schmale Weg, mittelst dessen man hinaufgelangt, in den Felsen gehauen, an welchem er in beinahe geradliniger Richtung dreihundert Fuß hoch hinaufführt.

Als wir hier unser neues Gefängniß betraten, übte die Luft darin oder vielmehr das Gas, das wir athmeten, eine beinahe erstickende Wirkung auf uns aus, und drei von uns sanken ohnmächtig nieder. Die äußere Luft drang hier nur durch zwei schmale Maueröffnungen ein, in welche überdies eine senkrechte und so breite Eisenstange eingesetzt war, daß die Oeffnung zum dritten Theile wieder versperrt ward. Dennoch wird man später sehen, daß die Gefangenen sich verhältnißmäßig glücklich schätzen, wenn sie hier eingesperrt werden, anstatt in der furchtbaren Sonnenhitze im Freien arbeiten zu müssen.

Man sagt, Louis Napoleon scheue vor keinem Mittel zurück, um sich auf seinem Throne zu befestigen. Warum aber, wird man fragen, läßt er seine Opfer so lange schmachten? Warum läßt er sie nicht sofort köpfen oder niederschießen, ohne sie erst zu deportiren? Er hat seine guten Gründe dazu. Das von ihm eingeführte System, sich seiner Feinde zu entledigen, läßt keine Blutspuren auf dem Boden des Vaterlandes zurück. Der Bürger, welcher seinen Geschäften nachgeht, sieht keine Blutlachen auf dem Straßenpflaster. Das Geschrei der Angst und Verzweiflung dringt nicht in die öffentlichen Feste und in die Kirchen, wo man Domine salvum fac imperatorem singt.

Die Stadt Cayenne liegt auf einer Insel von zwei bis drei Wegstunden Umfang. Sie wird durch zwei Arme des Meeres und einige Flüsse gebildet, welche die Stadt durchschneiden und als Communicationswege dienen. In Folge ihrer Lage ist die Stadt vielleicht weniger gesund, als die anderen Inseln, obschon das gelbe Fieber, welches durchschnittlich sechs Monate im Jahre herrscht, wie alle durch den Wind begünstigte Epidemieen an unseren Küsten eben so wüthen kann, als in Cayenne.

Die Bewohner dieser so hart geprüften Stadt haben sich von jeher sehr mitleidig gegen die Unglücklichen bewiesen, welche durch ehrgeizige, gewaltthätige Regierungen nach Guyana in den Tod geschickt worden sind. Als die ersten Deportirten, die des Generals Cavaignac, in Cayenne ankamen, nahm sie der damalige Gouverneur, ein sehr vortrefflicher, menschenfreundlicher Mann, mit Wohlwollen auf. Es waren nur ihrer neun, und er trug Sorge, sie bei Gewerbtreibenden der Stadt unterzubringen. Nicht lange darauf brachte ein Kriegsschiff eine neue Ladung Gefangene. Diesmal betrug ihre Zahl sechzig. Der Gouverneur, der sie eben nicht, wie die ersten, in Privathäusern unterbringen konnte, schickte sie nach der Mutterinsel und that Alles, was er konnte, um ihr Loos zu erleichtern. Diese Humanität war den in der Colonie ziemlich zahlreich vorhandenen Jesuiten zuwider, und in Folge ihrer hinterlistigen Anschwärzungen ward der menschenfreundliche Gouverneur abberufen und durch einen andern ersetzt, der sich auf das Menschenquälen besser verstand. Das Mitleid der Colonisten mit den Schlachtopfern der Regierung war daher einer der Gründe, aus welchen man die Deportirten von der Stadt Cayenne so weit als möglich entfernte.

Auf der Mutterinsel hatten es die Gefangenen in der ersten Zeit nicht allzuschlecht, später aber ward ein anderes System eingeführt, welches von 1852 an aber immer mehr verschärft ward. Während der ersten Monate war die Arbeit frei. Wer arbeitete, verdiente täglich 75 Centimes bis 1 Franc 25 Centimes und ward überdies bei Vertheilung der von Cayenne gesendeten Lebensmittel begünstigt. Vier Mal wöchentlich ward Fleisch auf die Mutterinsel geschickt. Wer arbeitete, erhielt frisches Fleisch, wer dagegen, gleichviel aus welchem Grunde, die Arbeit verweigerte, erhielt nur Salzfleisch.

Diese Einrichtung war jedoch nicht von langer Dauer und man wartete nur auf einen Vorwand, um sie abzuändern. Eine leichte Widersetzlichkeit, deren sich funfzehn Gefangene schuldig gemacht, lieferte diesen Vorwand. Man stellte die Widerspenstigen vor ein Kriegsgericht, vor welchem die Aufseher und Gensd’armen, die allein als Zeugen abgehört wurden, aussagten, der Commandant sei bei seiner Ankunft auf der Insel von den Gefangenen umringt worden, die ihm dann den Degen aus der Hand und die Epauletten von den Schultern gerissen hätten. Obschon nun der wenige Augenblicke nach dieser Aussage erscheinende Commandant erklärte, daß er in jenem Augenblicke weder Degen noch Epauletten getragen und daß die Widersetzlichkeit lediglich in Worten und drohenden Gebehrden bestanden habe, so wurden doch sieben der Gefangenen zu fünf Jahren Eisenstrafe und zur Zwangsarbeit auf der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_359.jpg&oldid=- (Version vom 19.6.2023)