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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und fragte: „Sollen wir hinüber und festhalten, was wir finden?“

Doch Schellenberg antwortete: „Nein, wir wollen kein unnützes Blut vergießen; wer entfliehen kann, möge entfliehen!“ Als er darauf die übrigen Stellen besuchte, wo er seine Leute aufgestellt hatte, fand er, daß sie sich etwa eines halben Dutzends von Schmugglern bemächtigt hatten, sowie eines ansehnlichen Waarentransportes; die Gefangenen waren gebunden und wurden streng bewacht. Die Außenposten berichteten, daß sich ihnen eine Anzahl verdächtiger und dem Anschein nach bewaffneter Gestalten genähert habe; auf die ersten Schüsse aber seien Alle sogleich auseinander gestoben. Schellenberg ließ nun sogleich den Oberjäger mit einigen Schützen zur Meldung nach Eversburg abgehen, die Gefangenen aber und die Waarenballen vorläufig nach dem Waldhof schaffen. Als Alles besorgt war, brach der Tag an, und es dauerte dann nicht mehr allzu lange, so kamen die Steuerbeamten und Gerichtspersonen aus der Stadt an. So unzufrieden die ersteren sein mochten, daß Alles ohne sie geschehen war, so konnten sie doch dem vollständig gelungenen Unternehmen ihren Beifall nicht versagen. Es wurde sogleich ein Protokoll aufgesetzt, dann traf man die nöthigen Anstalten, die Gefangenen mit Einschluß des Müllers und die Waaren nach der Stadt zu schaffen, und nun kehrte Schellenberg mit seinen Leuten zum Wolfsgrund zurück.

Hier traf man das Gesinde in einer gewissen Verstörung, doch wurde ein Frühstück für die Mannschaft sowie für den Officier besorgt. Aber kaum hatte dieser mit der Erquickung, deren er so dringend bedurfte, begonnen, so kam der Knecht Hans Heinrich auf sein Zimmer und sagte:

„Herr Lieutenant, ich sollte Sie von meinem Herrn bitten, ob Sie nicht einmal zu ihm kommen wollten.“

„Wo ist denn Dein Herr?“

„Unten in seiner Stube, er ist krank und liegt im Bette.“ Bereitwillig folgte Schellenberg und wurde von dem Knechte in ein Zimmer geführt, das ungefähr unter dem seinigen lag; Hans Heinrich entfernte sich sogleich wieder. Der Officier schritt langsam und ernst zu dem Bett, worin Marx lag, und sagte:

„Sie haben mich zu sprechen gewünscht?“

„Ja, Herr Lieutenant, ich muß mit Ihnen reden, bevor ich sterbe.“

„Sie stellen sich Ihre Gefahr zu groß vor!“ rief Schellenberg mit Theilnahme.

„Nein, nein, die Kugel Ihres Schützen hat zu gut getroffen, ich werde den heutigen Tag nicht überleben.“

„Also es ist so, wie ich vermuthete!“ sprach Schellenberg vor sich hin.

„Ja, es ist so, einer ihrer Schützen, die an der Espe standen, hat mich durch den Leib geschossen. Sie sind auf irgend eine Art hinter meinen Anschlag gekommen, und das war ein Glück für Sie, denn sonst würden Sie wohl statt meiner dran gemußt haben.“ Ablenkend sagte Schellenberg: „Haben Sie denn schon nach einem Arzte geschickt? Und wenn Sie die Gefahr für so groß halten, wollen Sie nicht einen Geistlichen kommen lassen?“ „Nach dem Arzt ist geschickt. Einen Geistlichen kann ich nicht brauchen und will ich nicht haben, statt dessen habe ich ein paar Gerichtspersonen verlangt, denn ich will meinen letzten Willen aufschreiben lassen. Die Beruhigung für das Sterben, die mir ein Geistlicher doch nicht verschaffen könnte, erwarte ich von Ihnen, Herr Lieutenant.“

„Von mir?“

„Ja. Aber ich höre den Wagen vorfahren, es werden die verlangten Leute aus Eversburg sein. Lassen Sie mich eine Zeit lang mit ihnen allein, aber gehen Sie nicht aus dem Hause fort, daß Sie gleich bei der Hand sind, wenn ich Sie rufen lasse. Was ich, Ihnen zu sagen habe, ist nicht weniger wichtig für Sie, als für mich selbst.“

Da in diesem Augenblick der Knecht meldete, daß der Doctor und die Gerichtsleute aus Eversburg da wären, so entfernte sich Schellenberg auf sein Zimmer, höchst aufgeregt durch das, was er vernommen, und sehr gespannt auf das, was er noch vernehmen sollte.



VII.

Nach ziemlich langer Zeit wurde der junge Officier wieder zu dem Kranken gerufen, mit dem man ihn allein ließ. Als er an das Bett trat, fühlte er sich eigenthümlich erschüttert bei dem Anblicke des alten Mannes, dessen strenge Gesichtszüge durch den Ausdruck körperlicher Leiden gemildert waren und zugleich den Charakter gefaßter Ergebung trugen.

„Hat man Ihnen nicht bessere Hoffnung gegeben?“ fragte Schellenberg sanft.

„Nein,“ antwortete Marx ruhig, „es ist so, wie ich mir dachte, der Schuß hat die innern Theile unheilbar verletzt, und daß die Wunde fast kein Blut gebracht hat, ist nur der größere Beweis ihrer tödtlichen Beschaffenheit. Ich freue mich aber, daß ich bis zum Tode bei völliger Besinnung und in der Gewalt meiner Sprache bin, weil ich Ihnen wichtige Mittheilungen zu machen habe. Setzen Sie sich hier auf den Stuhl neben mich, dann brauch’ ich nicht so laut zu reden.

„Als der Waldhof noch ein schönes Schloß war, wozu viele Aecker, Wiesen und Waldungen gehörten, da war hier im Wolfsgrund blos ein Vorwerk mit zwei kleinen Pachterwohnungen; in der einen wohnte der verwittwete Pächter Klusner mit seiner erwachsenen Tochter, in der andern die Wittwe Lohmann mit ihrem Sohne, welcher die Pachtung auf seinen Namen übernehmen und dann zugleich die Christine Klusner heirathen wollte; dieser junge Mensch, welcher nichts vor sich sah, als frohe Lebensaussichten, war ich. Man hielt mich allgemein für einen braven Burschen, man lobte mich als einen guten Sohn, als einen treuen Bräutigam und als einen fleißigen und verständigen Landmann; aber es wußte Niemand darum, und ich selbst am wenigsten, daß in meinem Charakter ein gewaltiger Jähzorn lag, der freilich wie im Schlummer gehalten wurde, weil ihn das Leben noch nicht geweckt hatte. Auf dem Waldhof lebte der Herr von Lohfels mit seiner Frau und zwei Kindern, einem Knaben und einem Mädchen. „Eines Tages ging ich mit Christine spazieren. Zufällig begegnete uns der „Herr Baron“, wie wir ihn zu nennen pflegten, und erlaubte sich vertrauliche Liebkosungen gegen meine Braut, die an sich wohl so schlimm nicht gemeint sein mochten, aber das Mädchen so erschreckten, daß es bei mir Schutz suchte; ich trat also vor den Baron hin und erklärte ihm, daß ich solches nicht leiden könne und mir verbitten müsse. Er schlug mit dem Stöckchen, das er in der Hand hatte, nach mir; ich entriß ihm aber dieses, warf es ihm zerbrochen vor die Füße und setzte mich in Bereitschaft, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen. Er ließ die gehobene Faust sinken und ging drohend weg. Gleich darauf kündigte er meiner Mutter den Pachtvertrag, worauf auch Klusner seinerseits kündigte, und so wären wir zwar in Unfrieden, doch sonst ohne Schaden auseinander gekommen, aber der Baron wollte mich so wohlfeilen Kaufes nicht entlassen. Er wußte es auf eine Art, die jetzt zu weitläufig zu erzählen sein würde, so einzurichten, daß ich von seinen Forstaufsehern als Wilddieb aufgegriffen und, da ich mich wehrte, wegen gewaltthätiger Widersetzlichkeit in einen bösen Proceß verwickelt wurde. Wie gesagt, ich will die kurze mir zugemessene Zeit nicht mit einer ausführlichen Auseinandersetzung dieser Sache verschwenden, aber Sie können es den Worten eines Sterbenden glauben, daß ich vollkommen unschuldig war und daß die Forstaufseher einen Meineid schworen. Ich wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt und sollte dahin abgeführt werden, als eben Christinens Vater an einem hitzigen Fieber gestorben war, meine Mutter aber vor Gemüthsbewegung todtkrank darniederlag und nur von meiner treuen Braut gepflegt wurde; die Pachtzeit war abgelaufen und der Baron bestand darauf, daß beide Frauenspersonen das Vorwerk räumen sollten. Ich ließ mich zu ihm führen, fiel vor ihm auf die Kniee, sagte ihm, daß ich nicht nur keinen Zorn nachtragen, sondern daß ich ihm zu ewigem Danke verpflichtet sein würde, wenn er meine Mutter in dem Hause ließe, bis sich ihre Krankheit so oder so entschieden hätte – er stieß mich mit dem Fuße weg und sprach die entsetzlichsten Flüche aus. Da war mein Herz wie umgewandelt; ich kehrte mein Gemüth von Gott und Menschen ab, ging mit stummem Trotz in das Zuchthaus, vernahm dort mit dumpfer Gleichgültigkeit, daß meine Mutter und Christine wirklich aus dem Hause geworfen waren, daß die arme kranke Frau im Walde, bis wohin sie sich geschleppt hatte, noch an demselben Tage gestorben, meine Braut aber wahnsinnig geworden und als unheilbar in eine Irrenanstalt gebracht sei.“


(Schluß folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_352.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)