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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Leben eines so unbedeutenden und harmlosen Menschen, wie ich bin, abgesehen haben sollte.“

„Und doch gibt es einen solchen, und zwar Ihren Hauswirth Marx.“

Schellenberg wurde ernst. „Dieser unheimliche Mensch, der sich wie ein Gespenst in meinen Weg drängt!“ murmelte er. „Ja, ich glaube wohl, daß von ihm mir Unheil drohen kann, obwohl ich nicht im Entferntesten ahne, wodurch ich seinen Haß auf mich gezogen haben mag.“

„Das weiß ich auch nicht, aber hören Sie an, was ich Ihnen zu berichten habe. So viel ich weiß, sind Sie schon in Kenntniß gesetzt, daß Marx mit dem Juden Feibes Itzig in der Nähe des Waldhofes Zusammenkünfte gehabt hat; daß er in Verbindung mit den Schmugglern stehe, habe ich schon seit einiger Zeit vermuthet und nur eine List darin vorausgesetzt, daß er Sie mit Ihren Soldaten in sein Haus nahm. Heute Morgen in der Frühe, wo ich glauben mußte, daß meine Umgebungen noch schliefen, machte ich, wie ich in solchen einsamen Stunden wohl zu thun pflege, einen Spaziergang in das Gehölz, wo in tiefster Abgeschiedenheit die Grabstätte der Bewohner des Waldhofes liegt, die zwar jetzt sehr verwildert ist, die aber für mich das Anziehende hat, daß dort eine Störung nicht zu besorgen ist. An einen Grabstein hingelehnt, wurde ich aus mancherlei Gedanken durch Schritte und Stimmen emporgeschreckt; ich erkannte Marx und den Juden Feibes Itzig, und weil mir beide Männer gleich viel Widerwillen einflößen, so beugte ich mich tief in das wilde Gebüsch, so daß sie mich nicht bemerken konnten, daß ich aber jedes Wort ihrer Unterredung verstand, da sie sich ganz in meiner Nähe auf einem alten Grabe niederließen. Der Inhalt dieses Gespräches war folgender. Sie sollen dadurch, daß ein Versuch der Schmuggelei Ihnen dem Anscheine nach verrathen wird, mit Ihren Leuten an eine Stelle gelockt werden, wo man Sie mit Uebermacht überfallen und ermorden will. Ihre Leute sollen auf eine Weise, die ich nicht recht verstehen konnte, des Gebrauches ihrer Waffen beraubt und dadurch unschädlich gemacht werden; wenn ich recht vermuthe, so will Marx das Pulver auf irgend eine Weise unbrauchbar machen. Es soll dann vor der Welt erscheinen, als seien Sie bei einem Zusammentreffen mit Schmugglern zufällig verunglückt. Der Jude bestand darauf, daß er diesmal allein den Gewinnst des Geschäftes davontrage, wofür Marx die Genugthuung der befriedigten Rache habe. Das sind meine Nachrichten, Herr Lieutenant, und leider kenne ich den wilden und grausamen Sinn meiner Umgebungen nur zu gut, um nicht von der ganzen Größe der Ihnen drohenden Gefahr überzeugt zu sein.“ Schellenberg hatte mit größter Spannung zugehört und sagte nun herzlich: „Gewiß ist die Gefahr drohend und ich möchte ihr leicht erlegen sein, wenn nicht in Ihnen ein freundlicher Engel über meine Sicherheit gewacht hätte; jetzt, wo ich die Gefahr kenne, hat sie ihr Bedrohliches verloren. Aber wie werde ich Ihnen meinen Dank abstatten können? Zwar werde ich Alles thun, was in meinen Kräften steht, um zur Sicherung Ihrer Zukunft Einiges beizutragen, aber das sagt nichts, das hätte ich auch sonst gethan, mein dankbares Herz wird sich dadurch nicht erleichtert fühlen, und ich wünschte – – wenn nicht bereits andere Umstände eingetreten wären – – wenn die Verhältnisse darnach wären – – ich hätte Ihnen den Beweis führen wollen, wie tief und innig die Gefühle meines Herzens sind.“

Unwillkürlich hatte er bei diesen verworrenen und unverständlichen Ergüssen die Hand des Mädchens ergriffen, das sie ihm auch einige Augenblicke ließ, das tieferglühende Gesicht abwendend; dann aber zog es die Hand sanft aus der seinigen und sagte mit weichem Tone: „Sie sind wohl in einem Irrthume befangen, den es aber jetzt nicht die Mühe lohnt, aufzuklären. Ich muß mich entfernen, damit man keinen Verdacht schöpft, denn es gibt hier manches Späherauge; nur weil ich den Müller auf einige Stunden entfernt wußte, konnte ich diesen Ausgang wagen. Beachten Sie nur ja, was ich Ihnen erzählt, und entgehen Sie glücklich jeder Gefahr!“

Damit enteilte sie mit flüchtigen Schritten, den Pfad abwärts verfolgend.

Er schaute ihr sinnend nach. „Mit den anderen Gefahren hat’s weniger auf sich,“ sprach er für sich, „wenn ich nur derjenigen entgehe, mein Herz nicht gehörig zu hüten. Aber was wollte sie damit sagen, daß ich in einem Irrthume befangen sei? Hat sich Winrich einer Täuschung hingegeben, indem er sein Einverständniß mit ihr so ansieht, als erwidere sie seine Neigung? Nein, ich kann selbst unmöglich glauben, daß sie ihn liebt; ihre Gefühls- und Denkweise, selbst ihre Art, sich auszudrücken, steht zu hoch über dem Standpunkte des braven, aber doch immer ungebildeten Winrich. Nun, das muß sich aufklären, wenden wir uns jetzt dem Nächsten zu. Woher rührt nur der unbegreifliche Haß dieses Marx gegen mich? Wenn er auch, wie es immer mehr den Anschein gewinnt, das eigentliche Haupt der Schmugglerbande ist, so hat er doch an mir keinerlei Rache zu nehmen und gewinnt nichts durch meinen Tod, im Gegentheil, er ruft eine genaue Untersuchung und damit die Möglichkeit der Entdeckung herbei. War sein nächtlicher Besuch in der ersten Nacht auf dem Wolfsgrunde kein Traum, sondern Wirklichkeit? Wie aber hängt der Mensch mit mir und meinem Schicksale zusammen?“

Als er aus dem Gebüsche trat, begegnete er dem zum Waldhofe zurückkehrenden Winrich.

„Ich habe sie gesprochen,“ sagte er zu ihm, „und sie hat mir allerdings Eröffnungen von der größten Wichtigkeit gemacht, die sich aber augenblicklich hier nicht wohl besprechen lassen. Kommen Sie heute Nachmittag um fünf Uhr zu mir, dann reden wir weiter, aber thun Sie nicht, als seien Sie bestellt, sondern als hätten Sie etwas zu melden.“


VI.

Am Nachmittage wünschte Marx den Lieutenant zu sprechen und kam auf dessen Stube in Begleitung eines Knechtes.

„Herr Lieutenant,“ sagte er, „mein Knecht bringt mir da eine besondere Nachricht, die ich Ihnen mittheilen zu müssen glaube. Ich hatte ihn in das Dorf Ellerhagen geschickt, wo ihm ein alter Jugendfreund, denn er ist selbst aus dem Dorfe gebürtig, sagte – – aber sprich lieber selbst, Hans Heinrich, damit es der Herr Lieutenant genau hört und ich nicht vielleicht im Wiedersagen etwas verändere.“

Hans Heinrich nahm das Wort.

„Er hat zu mir gesagt,“ begann er, „heute Vormittag wäre der Jude Feibes dagewesen und hätte im Geheim drei Ellerhäger Burschen gedungen, daß sie ihm in dieser Nacht drei Waarenpacken vom Bertelskruge jenseits der Grenze abholten und herübertrügen bis in’s Dorf Aßhausen jenseits Eversburg. Sie solllen jeder drei Thaler haben und eine gute Zehrung. Am Abend sollen sie im Bertelskruge sein, um elf Uhr will der Jude mit ihnen ausbrechen, sie kommen dann über den Hirschkopf, steigen den kühlen Grund herunter, gehen unter dem Waldhofe bei der Hofwiese über den Bach und dann bei Eversburg vorbei nach Aßhausen.“

Schellenberg hatte den Berichterstatter scharf in’s Auge gefaßt, aber wenn ihn seine Menschenkenntniß nicht völlig täuschte, so berichtete der Bursche in gutem Glauben, was er gehört hatte; der listige Marx hatte ihn muthmaßlich unter Vorwand irgend eines Auftrages nach Ellerhagen geschickt, damit ihm dort von einem Vertrauten des Juden diese Nachricht mitgetheilt würde, die er dann aus freien Stücken oder auf geschicktes Ausfragen seinem Herrn erzählte. Ueberhaupt glaubte Schellenberg bemerkt zu haben, daß die Knechte aus dem Wolfsgrunde dumme, aber ehrliche Dienstboten waren, die ihr Herr wohl kaum zu Mitwissern seines Treibens machte, wie er denn möglicher Weise selbst manchen Schmugglern kaum als ihr Haupt bekannt sein und das Meiste durch Feibes Itzig oder einige andere Vertraute besorgen lassen mochte. Nur verstohlen hatte ein Blick Schellenberg’s während des Berichtes des Knechtes das Gesicht von Marx gestreift, aber er traf nur dieselben unveränderlichen, wie aus Erz gegossenen Züge.

„Um wie viel Uhr,“ fragte Marx, „glaubst Du also, daß die drei Ellerhäger mit dem Juden über den Bach unten kommen werden?“

„Gegen zwei Uhr in der Nacht; weil sie schwer zu tragen haben, können sie nicht früher kommen.“

„Und ist das Alles die genaue Wahrheit? Hast Du uns Wort für Wort wiedergesagt, was Du hörtest? Hast Du uns Alles gesagt und nichts verschwiegen?“

„Bei meiner Seele Seligkeit, es ist mir Wort für Wort so gesagt und weiter hab’ ich auch nichts gehört.“

„Es ist gut, Du kannst gehen, sprich aber zu keinem Menschen ein Sterbenswörtchen, sonst geht’s Dir schlimm.“

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