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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

die zugleich von Vielen gesehen und gehört wird, und zwar in einer Weise, daß dabei von einer Sinnentäuschung gar keine Rede sein kann. Hier gilt das bekannte Wort: „Und sie bewegen sich doch!“ Aber warum? durch welche Kraft? nach welchen Gesetzen? Dafür haben, wie gesagt, die Gelehrten auch nicht einmal annähernd eine genügende Erklärung zu geben vermocht, und wir unsererseits wüßten auch nichts zu sagen. Es ist viel darüber hin und her gestritten worden, und wir lassen das Tischrücken auf sich beruhen, uns kommt es nur darauf an, Dinge mitzutheilen, welche die Aufmerksamkeit und den Glauben von Millionen beschäftigen und für unsere Zeit charakteristisch sind. Hat doch sogar im Jahre 1853 auf der westindischen Insel Guadaloupe ein Stuhl psychographisch einen Roman geschrieben, der gedruckt worden ist unter dem Titel: „Juanita, nouvelle, par une chaise, suivie d’un proverbe et de quelques oeuvres choisies du même auteur. En vente à l’imprimerie du gouvernement. Basseterre, Guadeloupe, 1853.“ Mehr kann man doch nicht verlangen!

Das „Geisterklopfen“, welches seuchenartig um sich gegriffen hat, ließ sich in Amerika zum ersten Male in dem unruhigen Jahre 1848 hören, ist also elf Jahre alt. Zwei junge Landmädchen, Margarethe und Katharina Fox, wohnten im Dorfe Hydesville, Staat New-York, und hörten „rappings“. Diese „unsichtbaren Wesen“ machten lästiges Geräusch, verrückten Tische und anderes Hausgeräth, gaben bald, nach Uebereinkunft mit den beiden Mädchen, allerlei Zeichen, erklärten, daß sie „Geister“ seien, die „Seelen der Abgeschiedenen“ wurden citirt, die „spirituelle Telegraphie“ kam in Schwung, und die „Media“, welche den Verkehr mit den „Geistern“ vermitteln, begannen eine Rolle zu spielen. So war die Welt wieder einmal mit Rappings, Knockings, Klopfgeistern, Esprits Frappeurs gesegnet. Wenige Jahre nachher hebt zu Bergzabern in der Rheinpfalz ein Klopfgeist eine Bettstelle in die Luft; in demselben liegt ein krankes, noch nicht mannbares Mädchen, und von diesem läßt der unwillkommene Geist sich alles Mögliche befehlen. Die Regierung befiehlt, die Sache von Amtswegen zu untersuchen, doch man bleibt so klug wie vorher. Aber die Sache selbst war in unserm Vaterlande nicht neu; sie machte schon vor neunzig Jahren großes Aufsehen, kam dann aber wieder in Vergessenheit. Original, eigentlich native american, sind also die Klopfgeister von Hydesville und Rochester nicht, wir Deutschen haben in diesem Spuk ganz unbestreitbar die Priorität zu beanspruchen, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird.

Unter den deutschen Klopfgeistern nämlich hat sich keiner so mausig gemacht und die Leute dermaßen zum Besten gehabt, wie jener zu Dibbesdorf, in der Nähe der Stadt Braunschweig, wo man noch jetzt Manches von ihm zu erzählen weiß, obgleich die Geschichte beinahe hundert Jahre alt ist. In dieselbe spielen allerlei wunderliche Dinge hinein; die Beamten, die Männer der Wissenschaft, Herzöge und Prinzen, Bürger und Bauern wußten nicht, was sie mit einem Spuk anfangen sollten, der Monate lang sein Unwesen trieb. Man schrieb eine Menge von Protokollen, die zu einem hohen Actenstoß anwuchsen, die Regierung erlaubte sich handgreifliche Willkür, um wo möglich den Knoten zu durchhauen, und sperrte unschuldige Leute ein; aber aufgeklärt ist die Sache bis heute noch nicht. Die Acten wurden länger als vierzig Jahre geheim gehalten, kamen erst 1811 wieder zum Vorschein, und aus ihnen veröffentlichte dann ein Prediger im Braunschweigischen Magazin Auszüge. Der wesentliche Inhalt ist folgender:

Am 2. December 1767, Abends sechs Uhr, vernimmt man plötzlich in dem bis dahin sehr ruhigen Hause des Kothsassen Autor Kettelhut ein Klopfen aus der Tiefe. Der Bauer wird verdrießlich und geht hinaus, um seinem, wie er meint, muthwilligen Knechte einen Eimer Wasser über den Kopf zu gießen. Die Mägde saßen eben in der Spinnstube, und gewiß wollte der Bursch ihnen Schreck einjagen. Aber der Knecht war nicht da, und doch wiederholte sich nach Verlauf von etwa einer Stunde das Klopfen und Pochen. Die Sache wurde bedenklich. Am andern Morgen riß der Bauer den Fußboden, die Wände und die Decke ein, um nachzusehen, ob etwa Ratten sich eingenistet hätten. Aber am Abend geht der Rumor wieder an, der Spuk wird nur noch ärger, und die Mägde wollten in einem offenbar verhexten Hause ferner keine Spinnstube halten.

Nach einiger Zeit hört dann in Autor Kettelhut’s Wohnung der Unfug auf, beginnt aber dafür in dem etwa hundert Schritt entfernt liegenden Hause seines Bruders Ludwig nur um so ärger. Das „Klopfeding“ rumorte ganz fürchterlich in einer Ecke, ließ sich gar nicht beschwichtigen und trieb die Sache so arg, daß die Bauern endlich beim Amt Anzeige machten. Von diesem wurden sie ausgelacht; man that ihnen zu wissen, daß löbliche Obrigkeit mit derlei Narrenpossen sich gar nicht befasse. Aber der Klopfgeist wurde unausstehlich, die Bauern kamen zu Hauf, verlangten Untersuchung, und am 6. Januar 1768 fand sich dann wohlweises Gericht in Dibbesdorf ein, um den wichtigen Casus zu untersuchen.

Der Klopfgeist war ein höchst frecher Gesell, und hatte vor der Justiz eben so wenig Respect, wie vor den Bauern. Wenn er bislang nur toll und wild und ganz planlos und unvernünftig rumort hatte, so fing er, gleichsam den Richtern zum Tort, nun zu sprechen an; er stand Rede und Antwort. Nachdem der erste Schreck vorüber war, gewöhnten sich die Landleute an den unwillkommenen Gast; ein Bauer aus Waggum, welcher bei einer Frau Base in Dibbesdorf auf Besuch war, hatte sogar den Muth, zu fragen: „Klopferdings, bist Du noch da?“ Flugs erfolgte ein lautes Gehämmer. Der aus Waggum, ein naseweiser Bursch, fragte weiter: „Wie heiße ich?“ und der Geist klopfte zu, als unter mehreren Namen der rechte genannt wurde. Die Bauern waren vor Staunen außer sich, wurden aber bald dreist, denn das Klopferdings war ein Geschöpf, mit welchem sich ein Wort reden ließ. Einer sprach: „Wie viele Knöpfe habe ich an meiner Kleidung?“ und sogleich wurde sechsunddreißig Mal zugepocht. Die Sache hatte ihre Richtigkeit; genau so viele Knöpfe zählte man an Wams und Hosen des Fragenden.

Von nun an waren die Dibbesdorfer förmlich stolz auf ihren unsichtbaren Gast, und wenn sie nach dem zwei Stunden weit entfernten Braunschweig zu Markte kamen, und von den Bürgern mit ihrem Klopfgeist aufgezogen wurden, antworteten sie mit großer Gemüthsruhe: „Kommt zu uns und überzeugt Euch selbst.“ Und es strömten täglich Hunderte hinaus, der Geist wurde berühmt; sogar neugierige Engländer und hochgelahrte Professoren von der Universität Helmstädt fanden sich ein, und die Landsoldaten hatten alle Mühe, den allzustarken Andrang der Menge abzuhalten. Diese Aufmerksamkeit eines hohen Adels und verehrungswürdigen Publicums gefiel offenbar dem eitlen Klopfgeiste; er wurde nicht müde, täglich neue und überraschende Kraftstückchen zum Besten zu geben. Actenmäßig steht z. B. Folgendes fest: Er gab Zahl und Farbe der vor Kettelhuts Hause befindlichen Pferde richtig an. Man schlug ein braunschweigisches Gesangbuch auf, der Fragende bedeckte mit dem Finger die Nummer eines Gesanges, welche er selbst noch nicht kannte; aber der Geist traf mit seinen unterirdischen Schlägen allemal genau die Nummer, und gab seine Antwort stets unmittelbar auf die Frage. Eben so pochte er so viele Male zu, als Menschen im Zimmer waren; er bezeichnete durch Zuklopfen nicht blos die Farbe ihrer Kleider und Haare, sondern auch Stand und Gewerbe. Eines Tages kam auch ein in Dibbesdorf völlig unbekannter Mann aus Stettin dorthin. Er fragte nach seinem Geburtsorte, nannte eine Menge Städtenamen, und als Stettin genannt wurde, klopfte der Geist zu. Ein Pfiffikus aus Braunschweig glaubte den Geist ganz sicher fangen zu können; er hatte zu Hause ganz heimlich einen Beutel mit Pfennigen gefüllt, und dann in Dibbesdorf die Frage gestellt, wie viel Geldstücke in dem Beutel seien. Der Geist klopfte ganz richtig 681 Mal. Ein Bäcker fragte: „Wie viele Zwiebäcke habe ich heute Morgen gebacken?“ und die Antwort traf zu. Der „Geist“ wußte, wie viel Ellen Band am Tage vorher im Laden eines Kaufmannes abgemessen worden waren; einem Bürger bezeichnete er die Summe Geldes, welche derselbe zwei Tage vorher mit der Post erhalten hatte. Und wenn die Leute über solche zutreffende Antworten ganz erstaunt waren, pochte er so munter im Dreschflegel- und Scheunentakte, daß den Menschen, wie die Acten sagen, Sehen und Hören verging. Zum Gebet vor dem Abendessen klopfte er allemal beim Amen, er war also kein Gegner der Frömmigkeit. Nichts desto weniger erschien eines Tages ein Küster in vollem Ornate, um den bösen Geist zu verbannen. Unter diese Classe rechnete sich der Klopfer auf keinen Fall, denn die Beschwörung war vergeblich.

Am Ende kam der regierende Landesherr, Herzog Karl, mit seinem Bruder Ferdinand, und auch ihnen wurden ganz überraschende Antworten zugeklopft. Der Herzog war erstaunt und wußte nicht, was er aus der seltsamen Geschichte machen und wie er sie sich deuten solle. Er verlangte eingehende Untersuchung und beauftragte damit einen Arzt und einen Richter. Beide blamirten sich gründlich. Ihre Weisheit war bald zu Ende. Die Thatsachen standen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_344.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)