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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

herauf beschwören und bewirken könne, nicht nur daß sie sprächen, sondern auch die Zukunft weissagten und Zeichen ihrer Gegenwart gäben. So blieb durch das ganze christliche Mittelalter als unbestreitbar der Satz: der Lebende könne eine Gemeinschaft mit den Seelen der Verstorbenen unterhalten. Im alten Rom hatten die Todtenbeschwörer eine förmliche Zunft gebildet. Nahm man einmal das Vorhandensein solcher Geister an, so drängte sich die Frage auf, ob sie gut oder böse seien. Der heilige Augustin machte sich die Sache leicht, indem er sagte: was Wunderbares in der Natur geschehe, und nicht dem Dienste des wahren Gottes zugewandt sei, komme vom Teufel, vom Dämon, und darin stimmen andere Kirchenväter mit ihm überein; die gläubige Welt wußte also, woran sie mit den Geistern war. Dagegen galten die Erscheinungen der Engel etc., von welchen in der Bibel geschrieben steht, für richtig und unbestreitbar. Luther glaubte nicht an das Erscheinen Verstorbener, weil er das Fegefeuer verwarf.

Aber der Geisterspuk hat sich durch alle Jahrhunderte bis in unsere Tage fortgezogen und stille oder laute Anhänger behalten; die Teufelaustreibungen kamen nie in Abgang. Jung-Stilling hatte seine Theorie von der Geisterkunde, Swedenborg wußte ganz genau, wie es mit dem Geisterreiche beschaffen ist; in vielen Geheimbünden, welche im vorigen Jahrhundert über ganz Europa verbreitet waren, beschäftigte man sich mit dem Citiren der Geister, und Schiller hat in seinem „Geisterseher“ diesen Gegenstand vortrefflich behandelt. Wir wollen nur beiläufig an Lavater, die Gräfin Medem, Elise von der Recke, Feßler, den Minister Schrötter, den Grafen St. Germain, Cagliostro, Schröpfer, die preußischen Minister Wöllner und Bischofswerder erinnern und daran, daß die große Entdeckung Mesmer’s benutzt wurde, um einen neuen Geisterspuk heraufzubeschwören. „Eine ganze Menge Pythien und Cassandren entstanden in den Leibern ungebildeter Mädchen, und die Geister zeigten sich eben so klopfend, zischend, seufzend und werfend, wie von jeher. Justinus Kerner, Eschenmayer, Fr. von Meyer, G. von Schubert, Novalis, Jung-Stilling, Gerber und Andere wurden die Vertreter einer spiritualistischen Deutung jener Phänomene. Und kaum hat auch diese Ansicht vor dem Lichte naturwissenschaftlicher Forschung sich scheu zurückgezogen in das innere Heiligthum weniger Gläubigen, da schenken uns das Tischklopfen und der Psychograph ein neues Mittel, mit dem Geisterreiche in Verkehr zu treten, und ein so einfaches, daß der Umgang mit der Geisterwelt zum Spiele wird, und das Geistercitiren zur abgeschmackten Carricatur. Und doch lauschen die Zeitgenossen, gleich unsern Vorfahren (bei denen die Karthäusermönche in dem Rufe standen, mit den Klopfegeistern am besten umgehen zu können), auf diese unheimlich klopfenden Töne.“ Diese Worte äußert H. B. Schindler in seiner interessanten Arbeit: „Der Aberglaube des Mittelalters“ (Breslau 1858). Wir wünschen diesem Buch eine weite Verbreitung; es enthält gesunde Sachen.

Aber wie verhält es sich denn eigentlich mit diesem Geisterschwindel, mit diesem Spuk, der wieder einmal so großen Rumor in der Welt macht? Darüber sind weder Gelehrte, noch Ungelehrte einig, und Gewisses weiß Niemand. An Erklärungen und Widerlegungen hat man es nicht fehlen lassen, und diese sind eben so mannichfaltig, wie die Formen, unter welchen der Spuk sich zeigt; aber häufig widersprechen sie einander. Man hat viel offenbaren Unsinn und groben oder feinen Betrug nachweisen können, das plumpe Treiben der Geisterseher liegt in vielen Fällen offen zu Tage, aber zu vollen Enthüllungen über den Zusammenhang ist man noch nicht gekommen. Inzwischen treiben die „Spiritualisten“ ihr Wesen fort und gewinnen namentlich in den höheren Classen der Gesellschaft immer mehr Anhang. In diesen sind ihnen auch die eifrigsten Verbreiter der neuen Wunderlehre erwachsen und sie haben sich Paris zu ihrem Mittelpunkte auserwählt, so z. B. die Grafen Szapary und Ourches, die Barone Brewern und Guildenstubbe, die gleich manchem Anderen das Geisterevangelium verkünden.

Also der Spiritualismus ist nicht etwa im Absterben begriffen, er ist vorhanden als Glaube an einen unmittelbaren Verkehr des Menschen mit der „Geisterwelt“, zählt, wie schon gesagt, in Europa und Amerika seine Anhänger nach Millionen und ist insofern eine Wirklichkeit. Wir müssen dieser psychologischen oder moralischen Epidemie (denn dafür halten wir unsererseits die ganze Erscheinung) Aufmerksamkeit zuwenden, obgleich sie zum Glück bei uns in Deutschland verhältnißmäßig geringe Ausdehnung gewonnen hat. Der Geisterglaube selbst ist, wie wir schon gesagt haben, so alt, wie die Geschichte der Menschen, nur hat er neuerdings, und seitdem vor nun elf Jahren zwei amerikanische Mädchen zu Hydesville im Staate New-York mit dem Tischklopfen hervortraten, neue Gestaltungen gewonnen. Man hat die Sache in ein förmliches System gebracht und sich durch keine Anfechtungen beirren lassen. Als Hauptapostel des Spiritualismus steht in den Vereinigten Staaten ein angesehener Jurist da, Richter Edmonds in New-York, der schon 1852 seine „Erfahrungen“ veröffentlichte. Er ist neuerdings mit seinen Ansichten abermals vor das Publicum getreten (New-York Weekly Tribune vom 2. April etc. dieses Jahres) und wir wollen sehen, wie er sich die Sache denkt.

Zuvörderst bringt er eine Art von kirchlicher Statistik über Nordamerika. Ihm zufolge gibt es in den Vereinigten Staaten, welche jetzt etwa dreißig Millionen Bewohner zählen, nur etwa fünf bis sechs Millionen Christen mit ausgesprochenem Bekenntniß. Er, Edmonds, achte deren Ueberzeugung, nehme aber seinerseits das Recht in Anspruch, sich an die funfzehn bis zwanzig Millionen zu wenden, die keiner Kirche angehörig seien und kaum irgend eine Religion hätten. Diesen wolle er einen Glauben an die Hand geben, welcher alle Zweifel in Betreff eines zukünftigen Lebens aus dem Wege räume; er wolle ihnen in das Jenseits einen Blick eröffnen, der über alle Maßen für die unsterbliche Natur anziehend sei. Dann folgt der Inhalt seiner Lehre. Wer einmal auf Erden gelebt hat oder gestorben ist, kann mit denen, welche noch auf Erden weilen, in Verbindung bleiben und der Abgeschiedene vermag seinen zurückgebliebenen Lieben Offenbarungen zu ertheilen.

„Ich frage, ob man mich nicht für einen zuverlässigen Mann hält, in dessen Worte Vertrauen zu setzen ist? Ich bin sechzig Jahre alt und habe seit vierzehn Jahren als Rechtskundiger und Politiker vor meinen Mitbürgern gestanden. Diese können also ein Urtheil über meinen Charakter fällen. Auch wird mein öffentliches und Privatleben einem Jeden erlauben, zu beurtheilen, ob ich leichtgläubig bin oder mich täuschen lasse.“

Dann erzählt Richter Edmonds, daß er zwar schon im Januar 1851 seine Forschungen über die Geisterwelt anzustellen begann, aber erst seit dem April des Jahres 1853 die felsenfeste und unumstößliche Ueberzeugung von ihrer Wirklichkeit gewonnen habe. Binnen siebenundzwanzig Monaten sah er einige hundert Erscheinungen (Manifestationen) in sehr verschiedenen Gestalten, führte über die meisten Buch und Protokoll mit juridischer Genauigkeit, und seine Geisterprotokolle nehmen jetzt sechzehnhundert enggeschriebene Seiten ein. Jeder einzelne Verkehr mit den Geistern wich von den übrigen ab und bot stets eine neue Seite dar, aber immer „traf ich alle nur denkbaren Vorkehrungen, um alle Täuschungen zu beseitigen oder gar nicht aufkommen zu lassen. Ich bemerkte sehr wohl, wie viel Aufregendes darin liegt, daß ein Lebender mit den Abgeschiedenen in Verkehr tritt, und ich gewann daran erst Glauben, als die unbestreitbare Evidenz, der Augenschein ferner nicht den mindesten Zweifel aufkommen ließ.“

Dann erzählt er weiter:

„Die Klopfgeister hörte ich zum ersten Male, als ich mit drei weiblichen Personen im Zimmer war, deren Charakter dafür bürgt, daß von Betrug keine Rede sein konnte. Als ich eintrat, saßen sie an der einen Seite des Tisches; die Klopfer kamen mit einem raschen angenehmen Ton am Fußboden bis in die Nähe der Damen. Ich setzte mich auf die entgegengesetzte Seite und dachte: Eine von den Dreien macht das Geräusch wohl mit Hand oder Fuß oder Kniegelenken. Aber sogleich ging das Geräusch auf den Tisch über, der so stand, daß Niemand ihn mit der Hand erreichen konnte. Nun, es wird Bauchrednerei sein, sagte ich zu mir selbst. Ich ging also an den Tisch, hielt meine Hände gerade über die Stelle, von welcher das Geräusch kam, und fühlte deutlich Schwingungen der Art, wie sie entstehen, wenn man mit einem Hammer pocht. Aber kann das nicht durch irgend eine Maschinerie bewerkstelligt werden? Doch sogleich liefen die Töne auf verschiedenen Theilen des Tisches umher, und die Schwingungen verspürte ich an allen Stellen, auf welche ich meine Hand legte. Sehr oft habe ich Tische umgekehrt, damit ich recht genau untersuchen konnte, und allemal habe ich die Klopfer durch Fragen auf die Probe gestellt. Indem sie Antwort gaben, ertheilten sie dieselbe oft aus der Rücklehne meines Stuhles, während doch außer mir kein Mensch im Zimmer war; manchmal kamen sie auch an meine Person, sogar im Eisenbahnwagen, wenn dieser in größter Schnelligkeit dahinbrauste.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_329.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)