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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

endlich das Pferd so sehr hemmen, daß es gar nicht mehr von der Stelle könnte.

Als ich aufsaß und die Halfterleine in die Hand bekam, fühlte ich sogleich, daß der Entschluß jedenfalls leichter sei, als die Ausführung, und daß ich mich darauf gefaßt machen müsse, beim ersten Sprunge von meinem hohen Sitze herabzupurzeln. Mein Franzose, der mit mir einen bedeutungsvollen Blick wechselte, mochte sich ungefähr dasselbe denken, aber wir konnten nun einmal mit Ehren nicht mehr zurücktreten, denn Aller Augen waren auf uns gerichtet, wahrscheinlich um zu sehen, was da herauskommen werde. Die Eingeborenen sind dadurch bedeutend im Vortheile, daß sie, wie gesagt, mit ihrem nackten Körper den Leib des Rosses berühren und also gleichsam daran festkleben, während wir mit unsern Beinkleidern auf dem schlüpfrigen Haarkissen ziemlich unsicher saßen. Beim Aufbruche dürfte sich unter der Gesellschaft kaum Einer so unbehaglich gefühlt haben, wie wir zwei, und damit das Malheur vollständig werde, erwies man uns die verdammte Höflichkeit, uns voranreiten zu lassen. Kaum waren wir einige hundert Schritte geritten, als plötzlich, wo ich nicht einmal einen elenden Hasen vermuthet hätte, dicht vor unserer Nase ein schöner junger Hirsch aufsprang, dem unsere beiden Pferde, wahrhaftig ohne unser Zuthun, sogleich im Galopp nachsetzten. Das war übrigens noch ein Glück, denn hätte das Pferd im Trabe zu laufen angefangen, so hätte ich sicher auch in der ersten Minute schon unten gelegen.

Wie ich mich während dieser Galoppade ausgenommen haben mag, weiß ich wirklich selber nicht; plötzlich bemerkte ich, daß ein Eingeborener mir voraneilte, den Hirsch einholte und durch einen Hieb, den er ihm mit einem Messer in das Rückgrat versetzte, auch sofort erlegte; mir war es gar nicht eingefallen, daß ich auch ein Messer an der Seite hatte und das Wild verfolgen solle. Indessen hätte ich mir die Beute gern angesehen, aber mein Pferd lief wie besessen fort und nur dem Umstande, daß ich mich fest an seine Mähne klammerte, hatte ich es zu verdanken, daß ich oben blieb. Glücklicher Weise machte das Roß etwa fünfzig Schritte weiter von selber Halt, so daß kaum einer der Eingeborenen meine schmachvolle Attitüde bemerkt haben mochte.

Da kam mir plötzlich ein glücklicher Gedanke, welcher mich vor der Schmach des Herabfallens bewahrte. Ich ließ meine Jagdgefährten voraus, tauchte mein Taschentuch schnell in das Wasser des Baches, befeuchtete damit meinen Quasisattel, so wie die Beinkleider, und der Franzose folgte sogleich meinem Beispiele, um doch wenigstens etwas sicherer sitzen zu können. Welch’ ein Unterschied zwischen dem früheren und dem jetzigen Sitze! – ich ward plötzlich ein ganz ausgezeichneter Reiter, das nasse Tuch und das Kissen hafteten fest aneinander und ich konnte den Hirschen gerade so flink nachsetzen, wie die Eingeborenen. Einen, den die Anderen bereits abgehetzt hatten, trieb ich auch wirklich in die Enge. Aber so oft ich ihn bereits eingeholt zu haben glaubte, duckte er sich schnell nach der Seite hin, und ehe ich mein Pferd umwandte, war er auch schon wieder aufgestanden und in einer anderen Richtung davongerannt. So ging diese Hetze eine Weile fort und ich war nicht im Stande, das Thier auf die rechte Seite hinüberzubringen, um es mit meinem Messer erreichen zu können; durch das schnelle Niederducken wußte es sich dem Stoße jedesmal zu entziehen. Endlich wurde ich über dieses erfolglose Herumjagen ärgerlich und da die Hartmäuligkeit des Pferdes die Hauptursache war, daß ich das Wild nicht auf die rechte Seite hinüberbekommen konnte, so beschloß ich vor Allem, das Roß zu Paaren zu treiben. Ich machte eine rasche Wendung gerade gegen den Hirsch zu, das Pferd stolperte über ihn und im nächsten Augenblicke lagen wir alle drei übereinander im Grase. Der arme Hirsch raffte sich am schnellsten wieder auf; ehe ich aufstand, war er schon wieder ziemlich weit weg, mein Pferd aber stand mit einem unterschlagenen Beine neben mir.

Nun ging der Tanz erst recht los; das Pferd wollte durchaus nicht mehr auf allen Vieren stehen, ja, es ließ mich kaum in seine Nähe. Dar arme Thier hatte sich nämlich durch den Fall in der Nähe des Knöchelgelenkes eine kleine Verletzung zugezogen. Da ich nicht mehr aufsitzen konnte, wand ich ihm die Halfter um das Maul und führte es am Zaume, tief betrübt, daß ich es so unabsichtlich beschädigt hatte. Während dieses traurigen Marsches dachte ich auch an die Möglichkeit, im hohen Grase einem Tiger zu begegnen, welche sich hier sehr häufig finden und meistens vom Gebirge herabkommen, um den Hirschen nachzuspähen. Während ich solche Gedanken brütete, wurde es unter meinen Füßen plötzlich lebendig und erst im letzten Augenblicke gewahrte ich, daß ich ein Wildschwein, und noch dazu ein sehr kleines, aufgescheucht hatte, welches nun grunzend im Grase verschwand. Die kleine Bestie hatte mich so erschreckt, daß ich alle Lust verlor, noch weiter zu Fuße zu gehen; ob mein Pferd nur auf drei oder gar nur auf zwei Füßen gehe, war mir ganz gleichgültig, ich beschloß, um jeden Preis wieder aufzusitzen. Später begegnete[WS 1] ich einem Eingeborenen und zeigte ihm, welch’ ein Malheur meinem Pferde widerfahren sei; während er abstieg, um den Fuß meines Rosses zu untersuchen, setzte ich mich, ohne auch nur um Erlaubniß gefragt zu haben, auf das seine und ließ ihm als Entschädigung den lahmen Gaul zurück.

Aber das Jagen freute mich nicht mehr; ganz schwermüthig sah ich den Eingeborenen zu, wie rasch und geschickt sie nacheinander ihre Beute erlegten, besonders an einer Stelle, wo sich die gegen den Berg hinauf flüchtenden Hirsche zusammendrängten; hier richteten etwa zehn Reiter ein wahres Blutbad unter den armen Thieren an.

Die Jagd geht in folgender Weise vor sich. Die Ebene von Bandung wird von einer Reihe kahler ausgebrannter Vulcane umgeben. Auf diesen Bergen halten sich auch die Hirsche auf, so lange sie dort noch Gras finden; wenn ihnen aber das Gras ausgeht und die Quellen versiechen, ziehen sie sich gegen die Ebene hinunter, wo sie eine reiche Weide und Wasser im Ueberflusse finden. Um solche Zeiten werden die Jagden veranstaltet. Etwa vierhundert nackte, blos mit einem Hute bekleidete Eingeborene – jeder auf einem Büffel sitzend – umringen, wie dies auch bei den Hasenjagden in Oesterreich zu geschehen pflegt, im weiten Kreise die Ebene. Die Jäger schreiten vom Centrum aus gegen die Treiber vor, welche, gleichfalls allmählich vordringend, auch die Hirsche immer weiter gegen die Jäger hintreiben. Ist das Wild dem Einen entronnen, so kommt es den Anderen in den Wurf; will es den Kreis durchbrechen, so wird es von den auf Büffeln reitenden Eingeborenen zurückgetrieben und muß also über kurz oder lang jedenfalls erliegen. Sobald der Kreis enger wird, wimmelt das Gras so zu sagen von Hirschen, die dann, wie ich bereits oben erwähnte, von den Jägern massenhaft erlegt werden. Das Aufheben der Beute ist das Geschäft der Büffelreiter, welche ihrem Thiere oft ein bis zwei Hirsche aufladen und dann wieder weiter vordringen, bis endlich im Centrum Alle zusammentreffen. Hier bilden die unzähligen Büffel und Pferde mit ihren Reitern eine kleine Armee, welche sich rings um den Hügel aufstellt, den ich bereits früher erstiegen hatte. Am Fuße dieses Hügels wird dann die gesammte Beute für die herabkommenden Damen zur Schau gestellt. Diesmal waren 162 erlegte und 18 lebendig gefangene junge Hirsche beisammen, welche letztere fortwährend nach ihrer Freiheit und ihrer Mutter brüllten. Ich muß gestehen, daß der Anblick eben nicht zu den allerschönsten gehörte.

Das wäre aber Alles noch gut gewesen, wenn nur das Roß wieder auf vier Füßen gegangen wäre, aber es hinkte nun noch mehr, als früher. Der mittlerweile herbeigekommene Besitzer des Thieres vermochte bei dessen Anblick seinen Unmuth nicht zu verbergen und ließ mich denselben in seiner sauern Miene ziemlich deutlich lesen; ich ließ ihn daher durch den Engländer ersuchen, mir das Pferd um denselben Preis zu überlassen, um welchen er es in gesundem Zustande gekauft hatte, aber das ließ wieder der Stolz dieses Mannes, der über Hunderttausende zu verfügen hatte, nicht zu. Dennoch hielt ich es für meine Pflicht, dem freundlichen Herrn Residenten durch Uebersendung eines von mir in Batavia zufällig erkauften silbernen Bechers meine Erkenntlichkeit an den Tag zu legen.

Nach der Jagd ward auf dem Hügel ein förmliches Gelage gefeiert. Das in europäischer Weise zubereitete und aufgetragene Diner ging mit vielem Ceremoniell vor sich, und es nahmen auch einige vornehmere Eingeborene daran Theil.

Nachdem dasselbe vorüber war, wurde die Beute unter den eingeborenen Jägern vertheilt. Die lebendig gefangenen Hirsche aber wurden in improvisirten Körben fortgetragen. Der Herr Resident beschenkte auch uns mit einem solchen Thiere, da es sich aber an die Gefangenschaft durchaus nicht gewöhnen konnte, ließen wir es am dritten Tage wieder laufen. An diesem kleinen Thiere bemerkte ich, daß die Natur am Gehirne derselben zwei kleine Oeffnungen gleichsam als Luftlöcher angebracht hat; dessen ungeachtet

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: begnete
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_326.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2023)