Seite:Die Gartenlaube (1859) 310.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

bildet den Verkehr zwischen Genua, Turin und Mailand. Schon bei der Erbauung zur Festung bestimmt, als Uebergang über den Tanaro und die Bormida und als wichtiger Eingangspunkt mehrerer Straßen in gutem Stand erhalten, war sie oft ein Gegenstand des Kampfes. Sie wurde 1522 vom Herzog Sforza erobert und geplündert, 1657 von den Franzosen unter Conti belagert und 1707 vom Prinzen Eugen nach hartnäckiger Verteidigung eingenommen. Kaiser Joseph I. überließ die Stadt erblich an den Herzog von Savoyen. Seit 1796 gehörte sie den Franzosen und war die Hauptstadt des Departements Marengo. Nach der Schlacht bei Marengo schloß hier der österreichische General Melas mit Bonaparte einen Waffenstillstand, zufolge dessen Oberitalien bis an den Mincio und zwölf Festungen den Franzosen eingeräumt wurden. Nach Unterdrückung der piemontesischen Revolution von 1821 wurde Alessandria mehrere Jahre von den Oesterreichern besetzt, und die sehr starken, von den Franzosen erbauten Festungswerke demolirt, bis auf die sehr feste Citadelle am linken Ufer des Tanaro, den Brückenkopf und die bastionirte Ringmauer.

Nach der Schlacht von Novara am 23. Marz 1849 mußte der Platz für die Dauer des Waffenstillstandes den Oesterreichern als Garantie des Friedens übergeben werden, doch wurde er nach Unterzeichnung desselben wieder zurückgegeben. Die bastionirte Ringmauer besteht aus einer Reihe von zusammenhängenden Bastionen. Eine Bastion besteht aus zwei Facen und zwei Flanken, und die Linie, welche zwei neben einander liegende Bastionen verbindet, nennt man die Courtine, vor welcher das Ravelin liegt, welches ebenfalls aus zwei Facen und zwei Flanken besteht, und zur Deckung der Courtine (Zwischenwall) erbaut ist. Die bastionirte Ringmauer ist von einem breiten, tiefen und mit Wasser gefüllten Graben umgeben, vor welchem das Glacis mit dem gedeckten Wege liegt.

Der Brückenkopf besteht ebenfalls aus mehreren Bastionen mit Graben und Glacis, und innerhalb desselben liegt die Citadelle als ein für sich bestehendes und abgeschlossenes Fort. Außerhalb des Brückenkopfs befinden sich mehrere Redouten und Flèchen (pfeilförmiges Außenwerk), welche unterminirt sind, um diese bei einer Belagerung, wenn sie nicht mehr haltbar sind, zu sprengen und zu zerstören. Diese Manier, Festungen zu erbauen, ist von Vauban unter der Regierung Ludwig XIV. erfunden worden, genügte wohl für die damalige Zeit, aber nicht mehr für die gegenwärtige, wo das Caponnièren-System mit Montalembert’s-Thürmen angewendet wird, nach welchem z. B. die Festung Posen erbaut ist.

Einer solchen bastionirten Ringmauer könnte man blos dadurch eine größere Widerstandsfähigkeit verleihen, wenn man sie mit Forts, die sich gegenseitig flankiren, wie z. B. bei Mainz, umgäbe. Diejenige aber, welche Alessandria umschließt, eignet sich in keiner Weise dazu, eine regelmäßige Belagerung eine Zeit lang auszuhalten, indem der Belagerer in ganz kurzer Zeit aus der zweiten Parallele mittelst gedeckter Laufgräben bis zum Kamme des Glacis vordringen würde, um daselbst die Bresch- und Contre-Batterieen zu errichten und Bresche zu schießen. Ein solches Verfahren dürfte in dem vorliegenden Falle gar nicht nothwendig erscheinen, indem eine hinreichende Anzahl während der Nacht erbauter, mit Wurfgeschützen armirter Batterieen Alessandria nach einem mehrtägigen Bombardement sicher zur Uebergabe nöthigen würde.

Ganz abgesehen davon ist aber Alessandria in dem bevorstehenden Kriege sowohl für die operirende, als für die sich in der Defensive verhaltende Armee von sehr großer Wichtigkeit, indem durch sie die Eisenbahn von Genua nach Turin geht und indem sie am Einflusse der Bormida in den Tanaro liegt und den Vereinigungspunkt mehrerer Hauptstraßen bildet. Ein sehr starker Brückenkopf erhöht ihre Wichtigkeit, die sie auch als Stapelplatz für das Kriegsmaterial hat.

Es liegt außer Zweifel, daß die Franzosen nur Zeit haben gewinnen wollen, um in einer günstigen Jahreszeit ihre ganze Armee über die Alpen marschiren zu lassen. Durch das Einrücken der Oesterreicher in Sardinien sind sie aber gezwungen worden, den größten Theil ihrer Artillerie, Pferde und Mannschaften von Toulon zur See nach Genua überzuführen, was immer viel Zeit erfordert und nie in großen Massen geschehen kann. Hätte sich nur ein österreichisches Corps durch ein mehrtägiges Bombardement in den Besitz von Alessandria gesetzt, so würden sie in hinreichender Stärke nicht allein die zu Genua gelandeten Franzosen an ihrer Vereinigung mit den Sardiniern auf diesem Wege haben hindern, sondern auch Genua in Besitz nehmen können. Die Sardinier und Franzosen wären alsdann genöthigt worden, ihre Stellung aufzugeben, und durch den Marsch der Oesterreicher auf Turin gezwungen worden, eine Schlacht anzunehmen, welche jedenfalls zu Gunsten der Oesterreicher ausgefallen wäre.

Durch die Besetzung der Alpenpässe hätte man dem Einmarsche der Franzosen nach Sardinien Einhalt thun können. Indeß lehnt sich gegenwärtig der rechte Flügel der Oesterreicher an den Lago Maggiore (Langer See) bei Arona[WS 1], und ihre Armee hält die ganze Linie der Sesia bis zu ihrem Einflusse in den Po bei Canale besetzt, wo sie eine Brücke geschlagen und Streifcorps nach Tortona und Boghera entsendet haben, um den Telegraphen und die Eisenbahn zu zerstören. Sie sind demnach in der Front durch die Sesia und in der linken Flanke durch den Po gedeckt.

Es ist nicht denkbar, daß der Kaiser Napoleon die Oesterreicher in der für sie sehr vortheilhaften Frontstellung angreifen wird; vielmehr ist anzunehmen, daß er Alessandria zu seiner Operationsbasis nehmen wird und den Po mit seiner Armee entweder zwischen Canale und Pavia überschreitet, oder unterhalb Pavia, die Richtung direct nach Mailand nehmend, durch welchen Flankenmarsch – und ich glaube ganz bestimmt, daß eine von den beiden Voraussetzungen zutrifft – die Oesterreicher ihre feste Stellung an der Sesia aufgeben müssen. Alessandria ist demnach für die nächstfolgende Zeit ein höchst wichtiger Platz, selbst in dem Falle, wenn eine Armee geschlagen werden sollte.[1]




Löbichau und die Herzogin Dorothea von Kurland.
(Schluß.)

Einer guten Aufnahme in Löbichau konnte fast Jeder versichert sein, welcher mit ästhetischen Intentionen seine Gesellschaftsformen und namentlich das Streben nach glatter Schönheit des mündlichen Ausdrucks wie der körperlichen Haltung verband; ästhetisirende Gesellschaftsgrazie erhob sich unvermerkt zur obersten Forderung an diejenigen, welche eine Stellung in den Kreisen der kurischen Schwestern erringen wollten. So kam neben den wirklichen Vertretern der Aesthetik, Wissenschaft und Kunst allerdings auch viel anspruchsvoller Dilettantismus zur Geltung, und selbst die elegante Abenteurerei wußte nicht selten eine hervorragende Rolle zu spielen. Von einer wirklich productiven Förderung der nationalen Interessen durch die Herzogin Dorothea konnte also nicht gerade die Rede sein; dagegen hatte sie das unbestreitbare Verdienst, den geistigen Kräften ihres Wohnorts einen Sammelpunkt und den verschiedenen Richtungen einen neutralen Boden zu bieten. Außerdem vermittelte sich bei ihr, da ja auch ihr Zusammenhang mit den vornehmen und staatsmächtigen Kreisen fortdauerte, eine gewisse Bekanntschaft dieser mit den Vertretern wenigstens eines Theiles der nationalen Geistesströmungen.

Indessen darf auch keineswegs unerwähnt bleiben, daß die Herzogin früher in Karlsbad mit einer merkwürdigen Consequenz dahin gestrebt und es erreicht hatte, die trennenden Unterschiede, welche die Badegäste in landsmannschaftlichen Coterien auseinanderhielten, durch ihren gesellschaftlichen Einfluß zu verwischen. Die damalige Humanität der Vornehmen war eben mehr kosmopolitischer und gesellschaftlicher, als nationaler Natur. Dieses vermittelnde Streben blieb auch ein charakteristischer Zug des Löbichauer Hofhalts, dessen Gesellschaft eben deshalb auch stets von Vertretern der verschiedensten Nationen gebildet ward.

Goethe sagt einmal in seinen Tages- und Jahresheften, da er vom Karlsbader Aufenthalt spricht: „Die Herzogin von Kurland, immer selbst anmuthig, mit anmuthiger Umgebung, Frau von der Recke, begleitet von Tiedge, und was sich daran schloß, bildeten höchst erfreulich eine herkömmliche Mitte der dortigen Zustände. Man

  1. Wir geben diesen vorläufigen Bericht in der Erwartung, daß unsere Originalberichte aus Italien und der italienisch-schweizer Grenze in den nächsten Tagen eintreffen.      D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Arona, Vorlage: Arone
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_310.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2023)