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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

satt und Einer oder der Andere versuchte schon die Andeutung, daß der Schooner wahrscheinlich jetzt von Adelaide zurück sein und auf sie warten würde. Tolmer blieb aber unerbittlich und wollte von dem Schooner und einem Aufgeben seines Planes nichts wissen.

Am dritten Tage Morgens passirten sie, einem kleinen Buschpfade folgend, der nach der Küste zuführte, wieder ein Wasserloch, und hier fanden sie die ersten Spuren des flüchtigen Sträflings wieder. Er hatte dort getrunken. Deutlich konnten sie am Rande der Pfütze die Eindrücke seiner Kniee und Hände erkennen, und dicht daneben lag ein kleiner blutbenetzter baumwollener Lappen. Er war also jedenfalls, wenn auch nur leicht, von einer der ihm nachgesandten Kugeln verwundet worden, und wenn sie ihn jetzt ohne Gewehr wieder antrafen, konnte er ihnen kaum mehr entgehen.

So sehr sie das ermuthigte, in ihren Nachforschungen nicht zu ermatten, so sehr fühlte sich Tolmer selber bald gehindert, die Verfolgung mit dem alten Eifer fortzusetzen. Er hatte nämlich am Morgen in einen scharfen Dorn getreten, und wenn er es auch im Anfange nicht besonders achtete, verschlimmerte sich die Wunde durch die Anstrengung und den Staub mit jeder Stunde dermaßen, daß er zuletzt kaum noch von der Stelle konnte.

In dem Pfade, den sie jetzt verfolgten, hatten sie noch mehrmals des Buschrähndschers Fußspur gefunden, und Tolmer hinkte, auf den Arm eines seiner Leute gestützt, mit, so gut er konnte, bis sie endlich in Sicht der Küste kamen und hier eine kleine, ordentlich von Stämmen hergerichtete Hütte, eine Art Blockhaus, fanden. Sie war allerdings nicht bewohnt; Tolmer konnte aber nicht mehr weiter, und wie er von seinen danach ausgeschickten Leuten hörte, daß Mulligan’s Spur hier und da im Sande zu erkennen sei und der Sträfling sich jedenfalls, um den bösen Dornen des Inneren zu entgehen, hierher gewandt habe, seine Flucht desto rascher nach einem entfernteren Theile der Insel fortsetzen zu können, beschloß er, hier ein paar Stunden zu rasten und seine Leute allein nach ihm auszuschicken.

Hatten sie bis Nachmittag um drei Uhr nichts weiter von ihm gefunden, so sollte Einer von ihnen dem Strande folgen, um Borris und die Uebrigen anzutreffen und herbeizuholen, und die Anderen zu ihm zurückkehren.

Die Leute wollten Tolmer mit dem bösen Fuße nicht allein lassen, er schickte sie aber fort. Wasser floß in der Nähe und er konnte die Zeit dann benutzen, seinen Fuß ordentlich auszuwaschen und zu verbinden, – Er hatte sich aber zu viel zugemuthet. Als er in die Hütte trat und seine Decke dort auf ein leeres Bettgestell warf, überkam ihn eine ganz ungewohnte Schwäche; der Kopf schwindelte ihm und er behielt eben noch Zeit, seine Flinte an die Wand zu lehnen und sich auf der Decke auszustrecken – dann vergingen ihm die Sinne und er fiel in einen bewußtlosen Zustand, der mehrere Stunden gedauert haben mußte.

Wie er wieder zu sich kam, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und er ging jetzt ernstlich daran, nach seinem Fuß zu sehen und ihn zu verbinden. Dann wollte er sich einen Becher Thee kochen, aber er fühlte sich noch zu matt, legte sich deshalb wieder auf das Lager und sah träumend zu dem Dach der Hütte hinauf, bis ihm die Augenlider zusanken und er in einen leichten, stärkenden Schlaf fiel. Bei seinem Erwachen stand ihm eine Ueberraschung bevor.

Es war ihm, als ob er seinen Namen aussprechen höre, und wie er, die Augen halb geöffnet, unwillkürlich und ohne den Kopf zu wenden, einen Blick nach der Thür warf, erkannte er dort die Gestalt eines Mannes, die den Eingang verdunkelte.

Das Herz hörte ihm auf zu schlagen, aber der nächste Augenblick rief ihn auch schon wieder zu voller Thätigkeit.

„Mr. Tolmer,“ sagte die Stimme, und während er sich jetzt ganz langsam, keinen Schreck zu verrathen, emporrichtete, sah er den Buschrähndscher John Mulligan in der Thür stehen, seine eigene scharf geladene Doppelflinte in der Hand, die Hähne gespannt und die Läufe auf ihn gerichtet. Er hatte leichtsinniger Weise, als er sich wieder auf’s Bett warf, die Waffe neben der Thür stehen lassen, und sein Leben war in diesem Augenblick in den Händen des Verbrechers und hing an dem Druck seines Zeigefingers.

„So, Mulligan,“ sagte Tolmer, mit voller Geistesgegenwart die Gefahr überschauend, in der er sich befand, indem er die Beine von dem Bettgestell herunterließ, ohne jedoch aufzustehen – „haben wir Euch endlich? Den langen Marsch im Busch hättet Ihr Euch und uns ersparen können, denn das Ihr nicht fortkämt, sobald wir nur erst einmal auf Eurer warmen Fährte waren, mußtet Ihr wissen,“

„Ihr habt mich?“ sagte der Flüchtling, indem ein hämisches Lächeln über seine bleichen Züge flog, „wäre nicht übel. Ihr seid in meiner Gewalt, Tolmer, und was hindert mich, mit einem Fingerdruck Euch Alles abzuzahlen, was Ihr mir schon in diesem Leben angethan?“

„Die Furcht vor dem Galgen, Mulligan,“ sagte Tolmer, ohne eine Miene zu verziehen, „obgleich Ihr dem doch schwerlich entlaufen werdet. Aber habt Ihr mich wirklich für so blödsinnig gehalten, Euch ein geladenes Gewehr dort an die Thür zu stellen, und mich in die andere Ecke auf’s Bett zu legen? Die List war plump genug, aber sie ist doch geglückt.“

„Was meint Ihr damit?“ rief der Buschrähndscher, das Gewehr fester packend und einen scheuen Blick zurück über die Schulter werfend.

„Was ich damit meine?“ sagte Tolmer ruhig, indem er ein Bein über das andere legte, „daß Ihr umstellt seid, und ich hier nur auf dieser Pfeife einen einzigen Pfiff zu thun brauche, um meine neun Mann da zu haben. Fort könnt Ihr nicht mehr. Herein haben sie Euch gelassen, hinaus kommt Ihr nicht, und ich hatte mich doch nicht geirrt, als ich mir dachte, Ihr würdet der Lockung nicht widerstehen können, ein Gewehr auf einen schlafenden Menschen anzulegen.“

„Mr. Tolmer,“ sagte Mulligan finster, „Ihr werdet Euch erinnern, daß ich Euch geweckt habe. Es lag in meiner Macht, Euch eine Kugel durch’s Hirn zu schießen.“

„Aus dem leeren Gewehr?“ lachte Tolmer. „Es stecken nur Zündhütchen darauf, daß es besser aussieht. Aber hört mich, Mulligan,“ fuhr er plötzlich, als der Buschrähndscher das Gewehr mißtrauisch betrachtete und nicht übel Lust zu haben schien, den Ladestock herauszuziehen, ernster und mit einem mehr theilnehmenden Ton fort: „Noch sind wir unter uns. So viel ich weiß, ist Euch bis jetzt kein ernsteres Vergehen zur Last gelegt worden, als die gelegentliche Erpressung von Provisionen, die mit der Noth entschuldigt werden kann. Ihr habt noch kein Blut vergossen, und wenn auch wieder eingefangen als Buschrähndscher, steht Eure Sache noch immer nicht so schlimm. Ein oder zwei Jahr geschärfte Ueberwachung ist wahrscheinlich die Strafe, die Ihr bekommen werdet, und ich werde Euch durch meine Aussagen nicht tiefer hineinreiten. Stellt einmal das Gewehr an die Wand; ich mag nicht mit Euch reden, so lange Ihr eine Flinte in der Hand habt, wenn sie auch nicht geladen ist.“

Mulligan sah ihn an und zögerte.

„Soll ich das Zeichen geben?“ frug Tolmer, „daß meine Leute Euch mit der Waffe in der Hand ertappen?“

„Sie haben Recht, Mr. Tolmer,“ sagte der Mann, dem die Ruhe des Polizeioffiziers imponirte. Der, den er vor wenigen Minuten noch in seiner Gewalt geglaubt, mußte wirklich Hülfe in seiner unmittelbaren Nähe haben, er wäre sonst wenigstens vor seinem Erscheinen erschreckt, oder hätte sich in anderer Weise verrathen – und mit den Worten lehnte er das Gewehr an die Wand, Tolmer aber brachte jetzt seine Hand langsam unter den Rock, der Brusttasche zu, wo er ein geladenes Pistol stecken hatte. Jetzt fühlte er sich sicher, denn er war im Stande, dieses zu ziehen und abzudrücken, ehe der Buschrähndscher das Gewehr wieder aufgreifen konnte.

„So – ich sehe, Ihr seid vernünftig,“ sagte er ruhig, ohne jedoch die Waffe hervorzuziehen oder im Mindesten zu verrathen, daß er sich nicht vollkommen sicher fühle, „aber Ihr seht bleich und elend aus, Mulligan. War denn das nun der Mühe werth, daß Ihr Eurer Strafe entsprangt, nur um ein solches Hundeleben im Busch zu führen?“

„Es ist ein Hundeleben,“ knirschte der Mann leise vor sich hin, „und ein Hund möcht’s nicht länger führen. Gehetzt wie ein Dingo[1], von den Cameraden verrathen, fortwährend nur auf der Wacht, das elende Leben in Sicherheit zu bringen. Ich will’s auch nicht länger führen; nehmen Sie mich mit nach der Colonie hinüber; Mr. Tolmer. Ich habe das wilde Treiben satt und übersatt.“

„Jetzt sprecht Ihr wie ein vernünftiger Mensch,“ sagte Tolmer, von seinem Bett aufstehend. Er vergaß fast, daß er einen wunden Fuß hatte, in solcher Aufregung befand er sich, sein Gewehr nur erst wieder einmal in Händen zu haben. Wer stand ihm

  1. Dingo: der australische wilde Hund oder Wolf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_307.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)