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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Und wenn Sie mich morden, Herr Baron, das Ding trage ich nicht.“

„Morden werde ich Sie nicht, wenn Sie es verweigern, aber verklagen und Schadenersatz fordern; noch ein ganz hübsches Sümmchen außer dem Kaufgelde sollen Sie mir zurückzahlen.“

„Herr Baron, Sie wollen mich ruiniren!“

„Nein, Sie ruiniren mich, wenn Sie meine Nase erfrieren lassen. – Leben Sie wohl; ich muß arbeiten. Sie werden bald mehr von mir hören.“

„Einziger, liebster, bester Herr Baron, ist es denn wirklich Ihr bitterer Ernst, daß ich soll die Nase stecken in solch ein grausames Futteral?“ stöhnte Lissauer und drehte den fraglichen Gegenstand in seinen Händen hin und her. „Wollen Sie denn, daß die Straßenjungen von ganz Breslau hinter mir herlaufen, daß alle Welt mit Fingern auf mich zeigt?“

„Ich will gar nichts, als daß meine Nase geschont wird. Sie wissen, es steht im Contracte: „jeden Nachtheil aber“ –“

„Ja, ja, ich kenne den Schein, den bösen! Aber es steht nichts darin von solchem schrecklichen Nasenpaletot. Herr Baron, ich kann das Ding nicht tragen am hellen lichten Tage; aber wenn Sie darauf bestehen, will ich es des Abends vorbinden, wenn ich ausgehe.“

„Ei, was denken Sie, Herr Lissauer! Abends werden Sie bei kaltem Wetter gar nicht ausgehen.“

„Gar nicht ausgehen!“ stotterte Lissauer.

„Nein, gar nicht. Ich bin mir diese Rücksicht schuldig. Danken Sie es mir, daß ich dies Verbot nicht auch auf den Tag ausdehne.“

Jetzt war Lissauer’s Pein auf den Gipfel gestiegen. „Das lasse ich mir nicht gefallen!“ schrie er. „Ich werde Sie verklagen. Wegen Störung meines Geschäftsbetriebes werde ich Sie verklagen.“

„Thun Sie das,“ sagte Günther ruhig. „Unsere beiderseitigen Klagen werden einen hübschen Proceß geben.“

Lissauer kämpfte mit einem schweren Entschluß. Plötzlich aber schien ihm ein Hoffnungsstrahl zu leuchten. Er trat an Günther heran, tippte schmeichelnd auf dessen Arm und sagte mit dem wohlgefälligsten Lächeln: „Hören Sie, Herr Baron – wissen Sie, daß ich alle die Cigarren geraucht habe, die Sie mir neulich verehrten.“

„Wie die Sachen jetzt stehen, kann das zu nichts helfen,“ rief Günther ärgerlich, aber Lissauer fuhr fort:

„Es ist mir zwar ganz übelig danach geworden; aber Sie sollten doch sehen, daß ich Alles thue, um Sie zufrieden zu stellen. – Sie sprachen neulich von einer schwereren Sorte, Herr Baron. Wollen Sie mir die Ehre anthun, mir zu erlauben, daß ich davon gleich eine darf rauchen?“

Kaum das Kopfnicken Günthers abwartend, stürzte er auf eine offenstehende Cigarrenkiste zu, nahm eine Cigarre heraus, zündete sie an und begann mit triumphirenden Blicken zu rauchen.

„Schmeckt Sie Ihnen, Herr Lissauer?“

„Ausgezeichnet, Herr Baron. Wahrhaftig ausgezeichnet.“

„Das freut mich! Sie beweisen Geschmack! Es ist eine echte Manilla von der kräftigsten Sorte. Meinen Freunden ist sie zu stark und wahrscheinlich auch meinen, Wichsier, denn von dieser Sorte fehlte niemals eine.“

Lissauer paffte fürchterlich, mit wahrer Todesverachtung.

„Sie ist mir gar nicht zu stark!“ rief er mit süßsaurer Miene. „Was meinen Sie, Herr Baron, wenn ich immer auf der Straße mit der brennenden Cigarre ginge? Es wärmt doch gar zu angenehm die Nase. Und dann lassen wir das häßliche Futteral hier fort.“

„Nichts da, Herr Lissauer. Die Nase hat schon gelitten, jetzt würde die Cigarre gar nichts mehr nützen.“

Lissauer richtete die flehendsten Blicke auf seinen Peiniger und sog und sog an seiner Manilla, daß sie dunkle Rauchwolken verbreitete. „Ich bin ja ein armer, geschlagener Mann,“ rief er dabei. „So lassen Sie sich doch erweichen, Herr Baron!“

„Entweder Futteral – oder Proceß,“ sagte Günther. „Das ist mein letztes Wort.“

Lissauer ward todtenbleich. Die Angst und das Rauchen hatten das Ihrige gethan. Die Cigarre entsank seinen Händen, und halb bewußtlos fiel er selbst auf einen Stuhl. Günther trat an ihn heran und band ihm das verhängnißvolle Futteral über die Nase; – er duldete es machtlos. Plötzlich aber sprang er auf, riß mit einem kräftigen Ruck das verhaßte Ding ab, griff nach seinem Hute und stürzte zur Thür hinaus. Nach einer halben Stunde war er wieder da, athemlos und erschöpft.

„Hier haben Sie Ihr Geld,“ rief er und hielt Günther einen gefüllten Beutel entgegen. „Es ist die ganze Kaufsumme. Zählen Sie nach, und dann geben Sie mir meinen Schein wieder, meinen Schein, damit die Sache ein Ende hat.“

„Sie möchten den Kauf rückgängig machen, Herr Lissauer?“ fragte Günther. „Wenn ich aber nun nicht wollte?“

„O, Sie werden wollen! Sie müssen wollen, Herr Baron, wenn Sie mich nicht todt wollen sehen zu Ihren Füßen.“

„Nun denn, Lissauer, wenn Sie darauf bestehen, so sei es. Hier nehmen Sie den Contract. Ich werde Ihnen sogleich eine Quittung über das zurückerstattete Geld ausstellen. Aber zuvor lassen Sie mich noch einmal meine Nase, mein schönes, theures Besitzthum betrachten. Man trennt sich nicht so leicht von kostbaren Gütern.“

Lissauer duldete schweigend, daß Günther lange seine Blicke auf die vielbesprochene Nase richtete und ihn selbst dabei hin und her drehte. Endlich wandte sich Günther von ihm ab und dem Schreibtische zu. Er schrieb:

„Ich bekenne hiermit, daß ich die Summe von hundert Friedrichsd’or von Herrn J. E. Lissauer zurückerhalen habe und daß nun weder ich, noch meine Erben Ansprüche auf die Nase des gedachten Herrn zu erheben haben.“

„Ist es so recht, Herr Lissauer?“


Bethmann-Hollweg.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_297.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)