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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

man ihm Glück zur gewonnenen Wette und zu seinem köstlichen Einfalle. Diese Art von Berühmtheit, zu der er gelangt, war nun freilich dem jungen Manne wenig angenehm; doch ertrug er ihre unvermeidlichen Folgen mit gewohntem Gleichmuth, in der Ueberzeugung, daß die durch ihn hervorgerufene Aufregung sich bald legen werde.

Allein nicht nur Günther war durch seinen Scherz eine allgemein bekannte Persönlichkeit geworden, auch Jakob Eli wurde zum Gegenstande der öffentlichen Aufmerksamkeit. Jedermann beeilte sich, seinen Laden aufzusuchen, um unter dem Vorwande eines kleinen Einkaufes den schönen Juden zu betrachten, der nur noch der Nutznießer seiner eigenen Nase war. Lissauer wußte diesen Umstand klug zu benutzen. Mit dem redlich verdienten Capital etablirte er ein elegantes Modewaaren-Geschäft in der Ohlauer Straße, und nun wurde sein Magazin nicht leer von neugierigen Käufern und besonders Käuferinnen, die zu den reichsten und vornehmsten der Stadt zählten.

So kam es, daß Lissauer’s Wohlstand von Tag zu Tag wuchs, und nun zögerte der alte Meyer Liepmann nicht länger, ihm die Hand seiner Rahel zu bewilligen.

Nach der Bestimmung des Contractes stellte sich Lissauer pünktlich an jedem Ersten eines Monates bei Günther ein, um diesem seine Nase vorzustellen. Auch heute, am ersten Januar, war Lissauer zu diesem Behufe nach der Behausung des Studenten geeilt. Er fand aber Günther in ungewöhnlich ernster, nachdenklicher Stimmung. Die Tischlerfamilie nämlich, welche durch Günther’s Hülfe und Verwendung damals aus großer Noth errettet worden und seitdem sichtlich in bessere Verhältnisse gekommen war, hatte durch den plötzlichen Tod des Vaters ein abermaliger, härterer Schlag getroffen. Die Wittwe war eben bei Günther gewesen und ihre Verzweiflung hatte sein weiches Herz ergriffen. Er sann hin und her, wie den Armen am besten und ausdauerndsten zu helfen sein mochte, als ein bescheidenes Klopfen an seiner Thür sich hören ließ und auf Günther’s zerstreutes „Herein“ Freund Lissauer eintrat. Bei seinem Anblick stutzte Günther; ein Lächeln flog über seine Züge, und indem er murmelte: „Ja, das kann helfen, das wird gehen!“ ging er auf Lissauer zu und bot ihm die Hand.

„Nun, wie gehen die Geschäfte?“ fragte er freundlich.

„Danke, danke, Herr Baron, – ich kann wirklich sagen, daß ich allen Grund habe, zufrieden zu sein. Mein Laden wird gar nicht mehr leer. Alle die vornehmen Damen kommen und kaufen von meinen Artikeln. Es ist eine wahre Freude, zu sehen alle die schönen Equipagen mit den adligen Wappen, die vor meiner Thür stehen.“

„So, so, das ist mir lieb zu hören!“

„Ja, Herr Baron, ich muß gestehen, – das Nasengeschaft war sehr gut für mich, denn es hat den Grund zu meinem immer zunehmenden Wohlstande gelegt. Ohne dasselbe hätte ich auch die Rahel nicht zur Frau bekommen. Gott, Herr Baron, wenn Sie wüßten, was für eine Ausstattung sie mitgebracht hat! Und der alte Meyer Liepmann ist alt. Wenn er stirbt – Gott erhalte ihm ’s Leben! – aber wenn er stirbt, so ist das Testament schon fertig; ich hab’s gelesen.“

„Es ist hübsch, daß Sie so dankbar anerkennen, wie viel Gutes ich Ihnen durch den Kauf Ihrer Nase mittelbar erwiesen habe. Sie werden mir deshalb auch gewiß eine kleine Bitte nicht abschlagen?“

„Herr Baron, seien Sie versichert, daß ich Alles thun werde, was in meiner Macht steht, um Ihre Bitte zu erfüllen.“

„Das ist brav gesprochen. Ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht. Sehen Sie, Lissauer, da ist in der Kreuzgasse ein armer Tischler gestorben, der hat eine Frau und sechs Kinder in der größten Noth zurückgelassen. Wenn Sie für diese Familie doch etwas thun wollten! Aber etwas Großes, Nobles, Anständiges!“

Lissauer rieb sich verlegen die Hände.

„Wissen Sie was, Herr Baron,“ sagte er endlich, „ich werde sammeln bei meinen Kunden. Es sind lauter reiche und vornehme Damen mit weichen Herzen, sie werden gewiß für die arme Familie etwas geben. Ich werde eine Büchse hinhängen mit einer schönen rührenden Umschrift und…“

„Aber Sie selbst, Herr Lissauer! Werden Sie denn aus eigenen Mitteln gar nichts zu dieser Sammlung beisteuern?“

„Ei freilich, freilich; und damit Sie sehen, daß ich mich nicht lumpen lasse … Aber sagen Sie, kommt es in die Zeitung?“

„Wozu das?“

„Also nicht in die Zeitung? … Nun, damit Sie sehen, daß ich kein Knicker, daß ich généreux bin … Gar zu viel kann ich nicht herausnehmen aus dem Geschäft! Wenn Sie wüßten, wie theuer jetzt Alles ist, was man kaufen muß!“

„Eben weil jetzt Alles so theuer ist, muß die arme Familie auch ordentlich unterstützt werden.“

„Gewiß, gewiß! O, der Herr Baron haben ein sehr mitleidiges Herz! … Nun, ich werde geben … ich will bezahlen … einen Thaler will ich geben! Aber nun sagen Sie auch nicht, daß ich ein Knauser bin!“

„Einen Thaler! Wirklich einen ganzen Thaler? – Nun, Herr Lissauer, lassen Sie nur gut sein,“ fuhr Günther schnell fort, als er sah, daß der Jude sprechen wollte; „wir werden über die Sache später noch einmal reden. Aber bitte, bleiben Sie noch einen Augenblick hier. Ich habe da soeben eine Entdeckung gemacht, die mich sehr erschreckt hat. Sagen Sie einmal, Herr Lissauer …. ei, das ist ja fürchterlich! …. Herr, Sie haben ja einen Pickel auf meiner Nase!“

„Soll mir Gott!“ rief Lissauer und fuhr mit der Hand nach der Nase, „soll mir Gott, das ein Pickel? Ist es doch nur ein ganz kleines Pickelchen!“

„Aus einem Pickelchen wird aber ein Pickel, wenn man es nicht in Acht nimmt! Ich kann unmöglich dulden, daß mein theuer erkauftes Eigenthum durch Vernachlässigung leide, darum haben Sie gewiß die Gefälligkeit, ein Pflaster auf dies Pickelchen zu legen, damit jedem weiteren Unheil vorgebeugt wird.“

„Ich ein Pflaster auf meine Nase legen! – Was sollen die vornehmen Damen denken, wenn sie bei mir kaufen und ich habe ein Pflaster auf der Nase? – Sie belieben doch gewiß nur zu scherzen, Herr Baron?“

„Keineswegs!“ sagte Günther ernst. „Wie steht es doch in unserm Contracte? „„Sondern, daß er selbst nach besten Kräften dahin streben will, diese, nunmehr seine Nase, zu schützen, zu erhalten und zu bewahren; jeden Nachtheil von ihr abzuwenden““ u. s. w. u. s. w.“

„Ach ja, das steht darin; aber …“

„Kein „Aber“. Ich habe, wie Sie wissen, nicht allein das Recht, sondern sogar die Verpflichtung, für diese meine Nase zu sorgen!“

„Bedenken Sie doch, Herr Baron! Um Moses willen … Ich beschwöre Sie!“

„Entweder legen Sie sogleich gutwillig ein Pflaster auf jenes Pickelchen, oder ich verklage Sie wegen Nichterfüllung unseres Contractes. Aber ich sage Ihnen, das macht Ihnen Kosten, viele Kosten.“

„Nu, Herr Baron, wenn Sie es absolut verlangen … Aber es kann doch sein ein kleines Pflaster? Gott, das Pickelchen ist ja auch so klein.“

„Ich selbst werde Ihnen in der uneigennützigsten Weise das Nöthige in erforderlicher Größe liefern,“ erwiderte Günther, holte ein schwarzes Pflaster aus dem Schrank hervor und klebte es, trotz Lissauers wiederholten Sträubens und Bittens, ruhig auf dessen Nase.

„Nun noch Eins, Herr Lissauer,“ sagte er dabei. „Ich bemerkte neulich, daß sie baumwollene Taschentücher führen. Das muß ich mir verbitten. Sie reizen und erhitzen durch dieselben meine Nase in ungebührlicher Weise. Von heute an werden Sie sich der seidnen Taschentücher bedienen.“

Lächelnd zog Lissauer ein großes rothseidenes Tuch aus der Tasche. „Ist das Baumwolle, Herr Baron?“ fragte er mit triumphirender Miene.

„Allerdings nein!“ entgegnete Günther. „Aber Sie tragen dies eine seidene Tuch nur an Sonn- und Festtagen oder wenn Sie ausgehen. Ich aber verlange, daß Sie stets und zum wirklichen Gebrauch sich solcher Tücher bedienen.“

„Was? Im Geschäft und im Hause, wenn ich ganz allein bin mit der Rahel, da soll ich mich putzen? Soll so unerhörten Luxus treiben. O, Herr Baron, da muß ich ja ein armer Mann werden.“

„Sich sollen Sie nicht mit Seide putzen, aber meine Nase. Ich verlange es, und führen Sie trotzdem nach wie vor baumwollene Schnupftücher, so verklage ich Sie.“

„Sein Sie doch nicht immer gleich bei der Hand mit dem Verklagen! Hören Sie, Herr Baron, sein Sie barmherzig!“

„Zu schützen, zu bewahren, zu erhalten; jeden Nachtheil aber von ihr abzuwenden!“ declamirte Günther. „Ich bin es meiner theuren Nase schuldig, auf meinem Verlangen zu bestehen.“

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