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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

hat er eine lange Unterredung mit ihm gehabt und heute früh ist Lissauer bei ihm gewesen, wahrscheinlich um ihm das Geld zu bringen.“

„Er muß also die Wette verloren geben,“ flüsterte Posen.

„Er konnte sie überhaupt nur in der Champagnerlaune vorschlagen!“ sagte Leitmersdorf.

„Und wir sie nur in solcher Stimmung halten,“ versetzte Graf Clarenstein. „Mir fängt die Sache auch an drückend zu werden.“

„Wißt Ihr, wir wollen unsern Gewinn allmählich im Spiel wieder an ihn verlieren,“ sagte Mellin.

„Ja, das ist ein guter Gedanke, so soll es sein,“ stimmten Alle ein, und nun wieder erheitert und unbefangen, nahm die Unterhaltung einen anderen Charakter an und ward allgemein und lebhaft geführt.

Als der Nachtisch aufgetragen und die Dienerschaft entfernt worden war, nahm Neurode das Wort. Er erinnerte daran, daß nun der Zeitpunkt zur Entscheidung der Wette gekommen sei, und forderte Günther auf, den Herren Schiedsrichtern die Sachlage klar zu machen.

Günther erhob sich.

„Ich bitte, mir einen Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken, meine Herren!“ sagte er. „Es handelt sich in der Angelegenheit, in welcher wir Sie ersuchten, das Richteramt zu übernehmen, um einen Schönheitsstreit. Verpflichten Sie sich, meine Herren, Ihr Urtheil nach bestem Wissen und Gewissen abzulegen?“

Die drei Herren, angesteckt von dem ernsten, gewichtigen Tone, den Günther bei dieser Frage annahm, machten ihre Zusage eben so laut und feierlich.

„Nun wohlan,“ fuhr Günther fort, „so komme ich zur Sache. – Meine Herren, als wir vorgestern hier versammelt waren, wurden von Seiten dieser meiner ehrenwerthen Commilitonen Zweifel an der Schönheit meiner Nase erhoben.“

Ein schallendes und anhaltendes Gelächter der drei Schiedsrichter unterbrach seinen Vortrag, doch fuhr er nach einer kleinen Pause mit unerschütterlichem Ernste fort:

„Sie werden begreifen, meine Herren, daß dieser Zweifel mich eben so sehr kränkte, als verdroß. Um ihn aber für immer zu beseitigen, erbot ich mich, den Beweis zu liefern, daß ich demungeachtet eine Nase besäße, die schöner sei, als die schönste Nase dieser meiner Gegner, ja selbst schöner, als sonst irgend eine Nase in ganz Breslau! War es so, meine Herren?“

„Ja wohl, ja wohl,“ ertönte es lachend von allen Seiten.

„Nun denn,“ nahm Günther abermals das Wort, „so werden Sie, meine Herren Schiedsrichter, die Gewogenheit haben, sich in ein Nebenzimmer zurückzuziehen und nach reiflicher Ueberlegung die Entscheidung über diese Streitsache zu fällen. Zur Vermeidung von Mißverständnissen wiederhole ich noch einmal die Frage, welche Ihr Urtheil mit Ja oder Nein beantworten wird: „Ist die Nase, welche mir angehört, schöner, als die Nasen dieser Herren; ist sie schöner, als die sämmtlicher Einwohner Breslau’s?“ – Es hat Niemand gegen diese Fragestellung etwas eingewendet,“ fuhr er nach einer Pause der Erwartung fort, während welcher er sich fragend im Kreise umgeblickt hatte. „So bitte ich denn die Herren Schiedsrichter, ihre Pflicht zu thun.“

Ehe aber dieselben das Zimmer verließen, überreichte ihnen Günther mit ruhiger Würde ein zusammengefaltetes Papier, dessen Inhalt ihnen, wie er sagte, von Nutzen sein werde.

Während jetzt die ganze Gesellschaft sich von der Tafel erhob und gruppenweise zu zweien und dreien beisammen stand, ging Günther mit großen Schritten auf und ab.

Plötzlich erscholl aus dem Nebenzimmer ein wahrhaft homerisches Gelächter. Verwundert blickten die Gegner Günther’s sich an, – dieser aber schien gar nichts gehört zu haben.

Nach wenigen Augenblicken öffnete sich die Thür des Berathungszimmers und die drei Schiedsrichter, mit mühsam angenommenem Ernst, traten mit feierlichen Schritten herein.

„Meine Herren,“ hub der zum Sprecher ernannte Assessor Ebert an, „auf die uns von Ihnen vorgelegte Frage, ob die dem Studiosus Günther zugehörige Nase schöner sei, als die der übrigen Anwesenden und als die sämmtlicher übrigen Breslauer, haben wir nach weislicher Ueberlegung und ernster Berathung folgende Antwort zu geben:

„Nach unserem besten Wissen und Willen: Ja, sie ist schöner! – Wir erklären einstimmig: Günther hat die Wette gewonnen.“ Ein lautes Durcheinander von Stimmen unterbrach den Berichterstatter, der erst um Stille bitten mußte, um fortfahren zu können. „Die Gründe, welche dies unser Urtheil bestimmt haben,“ begann er von Neuem, „sind in diesem Documente enthalten, das in aller Form Rechtens ausgestellt ist. Ich werde mir erlauben, den Inhalt desselben hiermit zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. Ich bitte um Aufmerksamkeit!“

Diese Bitte war unnöthig, denn außer Günther, der lächelnd die verdutzten Mienen seiner Gegner überflog, waren Alle jetzt auf das Aeußerste gespannt.

Assessor Ebert las:

„Vor dem unterzeichneten, bei dem hiesigen Stadtgerichte beglaubigten Notar, welcher die beiden Instrumental-Zeugen, und zwar den Schuhmachermeister Johann Gottfried Müller und den Schneidermeister Friedrich Christian Köhler dazugezogen hatte, erschienen heute

„1) Der stud. jur. et cam. Herr Heinrich Ernst Günther,

„2) Der Kauf- und Handelsmann Jakob Eli Lissauer.

„Letztere Beide erklärten auf Befragen, daß sie zu den genannten Instrumental-Zeugen in keinerlei verwandtschaftlichem Verhältnisse standen etc. etc.

„Die Herren p. Günther und Lissauer haben folgendes Kaufgeschäft untereinander verabredet und beschlossen.

„Der Kaufmann Lissauer hat an den Herrn p. Günther seine Nase für die Summe von 100 Friedrichsd’or – in Worten: Hundert Friedrichsd’or – erb- und eigenthümlich verkauft, und zwar unter nachstehenden Bedingungen:

„1) Herr p. Günther tritt sofort in den unbestrittenen Besitz des Kaufobjectes, dergestalt jedoch, daß dem p. Lissauer die Nutznießung der Nase für seine Lebenszeit verbleibt.

„2) Für diese Nutznießung zahlt Herr p. Lissauer dem eigentlichen, rechtmäßigen Besitzer der Nase einen jährlichen, unablösbaren Zins von 2½ Sgr., zahlbar am ersten Juni jeden Jahres praenumerando.

„3) Herr Lissauer verpflichtet sich, am ersten Tage jeden Monats dem Eigenthümer der Nase sich vorzustellen, damit dieser sich von dem guten und ordnungsmäßigen Zustande derselben überzeugen kann. Außerdem ist der Herr Käufer berechtigt, so oft er will, Special-Revisionen des Kaufgegenstandes vorzunehmen, muß sich jedoch zu diesem Behufe in die Behausung des Herrn Lissauer begeben.

„4) Der Herr Käufer verspricht dagegen ausdrücklich, stets und für alle Zeiten den Gegenstand des Kaufes weder an einen Dritten zu überlassen, noch zu verringern, noch ihm überhaupt Schaden zuzufügen, unter welchem Titel und in welcher Weise dies auch immer der Fall sein möchte. Er will sich vielmehr ernstlich bemühen, diese, nunmehr seine Nase, zu schützen, zu erhalten und zu bewahren, jeden Nachtheil aber, der ihr durch Menschen oder Dinge zugefügt werden könnte, nach besten Kräften abzuwenden.

„5) Die Nase bleibt auch bei etwaigem Ableben des Käufers Eigenthum der Erben desselben und ist an diese der jährliche Zins regelmäßig zu bezahlen.

„6) Die Erben hingegen sollen niemals die Herausgabe des bezahlten Capitals verlangen dürfen.

„7) Beim Ableben des p. Lissauer jedoch hören alle und jede Ansprüche des Käufers oder dessen Erben wegen Entschädigung vollständig auf.

„So geschehen etc. etc. etc.“

Die Vorlesung dieses sonderbaren Actenstückes war schon mehrfach durch Lachen unterbrochen worden; nach ihrer Beendigung aber erscholl ein so unaufhaltsames und kräftiges Gelächter, daß die Vorübergehenden auf der Straße stehen blieben und verwundert aufblickten. Die jungen Leute waren überzeugt, einen so ausgezeichneten Scherz nicht zu theuer bezahlt zu haben.


Nur wenige Tage vergingen und ganz Breslau kannte die lustige Geschichte von dem Nasenhandel, und wer nicht ein unverbesserlicher Hypochonder war, belachte sie aus vollem Herzen. Günther war der Held des Tages geworden. Durchreisende, denen die Gastwirthe nicht verfehlten, das neueste Ereigniß in ihrer Stadt mitzutheilen, ruhten nicht eher, bis sie den Studenten erblickt hatten, der, mit einer Monsternase versehen, doch im Besitz einer unvergleichlich schönen war. Die Scherze und Wortspiele über diese Thatsache rissen nicht ab, und wo sich Günther blicken ließ, wünschte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_294.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)