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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und namentlich darauf, daß die Herrinnen beider Höfe nicht blos durch ihren Rang, sondern auch durch Geistesgaben, Liebenswürdigkeit und Schönheit zur Herrschaft über das von ihnen versammelte Leben berufen waren. Aber in Margarethe hatte nach Allem, was die Geschichte von ihr berichtet, das Bewußtsein gelebt, durch Heranziehung geistiger Kräfte in ihren Kreis der vom König Franz vernachlässigten oder mindestens nur einseitig begünstigten Entwickelung der schönen Künste eine Stätte zu lebendiger, von den äußeren Lebensstürmen unbehelligter Entfaltung ihrer Fähigkeiten und Kräfte zu bereiten. Persönlich mochte allerdings Margarethe auch durch schwere Enttäuschungen auf anderen Gebieten des Frauenlebens in diese Richtung gedrängt worden sein. Anders waren die Veranlassungen bei der Herzogin Dorothea von Kurland. Ihr ganzes Leben war weit mehr nach außen, nach der Praxis der Umstände gerichtet, hatte die Aesthetik eigentlich immer blos als Schmuck und Zierde der Gesellschaft, nicht als productives Element des nationalen Bewußtseins gekannt und konnte sich also der Begünstigung ihrer Vertreter, der Poeten und Künstler, wohl auch kaum in einem anderen Sinne zuwenden, als daß sie, vom Weltleben nicht mehr in Anspruch genommen, nach einer geistig anregenden und gemüthlich ausfüllenden Beschäftigung suchte. Das geistige Leben Weimars war, abgesehen von seinen größeren Behältnissen und seinen mächtigeren geistigen Potenzen von vornherein mit viel ernsterem Bewußtsein und reifer aussehenden Plänen angelegt. Dabei bildeten Männer seinen bedingenden Mittelpunkt. Die Hertz’schen Kreise in Berlin mit den Schlegel’s, Humboldt’s, Varnhagen etc. entwickelten sich selbstständiger, abgeschlossener aus sich selbst und traten mit der Herzogin von Kurland bei deren Aufenthalten in Berlin auch nicht in besonders nachhaltige Beziehungen. Am ähnlichsten dem Löbichauer Leben mag wohl das frühere Offenbacher Verhältniß gewesen sein, welches sich, die Brentano-La Roche’s als Mittelpunkt, auch vorzugsweise um Frauen gruppirte.

Sie war am Hofe des Herzogs von Kurland aufgewachsen und, kaum siebzehn Jahre alt, schon der Mittelpunkt, um welchen sich die Gesellschaft des kurländischen Hofadels bewegte, obgleich die Privatverhältnisse ihres Vaters, des Reichsgrafen Medem, ihr nur eingeschränktere Lebensansprüche zu gestatten schienen. Als des Herzogs Peter von Kurland Augen auf sie fielen, hatte sie so eben ihre erste Liebe zu einem jüngeren Sohne eines kurischen Adelshauses opfern müssen, und sich darüber mit einer für ein Halbkind fast unbegreiflichen politischen Parteinahme an dem Fractionswesen und den Zerwürfnissen ihres Vaterlandes gemüthlich hinweggeholfen. Der fast fanatische Eifer, womit sie der herzoglichen Partei im Gegensatze zur russisch gesinnten und polnischen anhing (welcher letzteren ursprünglich selbst ihr Vater sich zuneigte), ließ sie vergessen, daß der Erbprinz, noch ehe er Herzog geworden, sich bereits von zwei Gemahlinnen getrennt hatte. Sie reichte ihm ihre Hand unter Zustimmung der stolzen und lebensklugen Stiefmutter, während seine zweite Scheidung von der Prinzessin Eudoxia noch nicht einmal in Petersburg anerkannt war. Aber allerdings richtete sich nun die ganze Kraft ihrer versöhnenden Liebenswürdigkeit darauf, so viel an ihr lag, ihre „Schickung zu erfüllen“, d. h. einerseits den oppositionellen Adel mit dem Herzoge zu versöhnen, andererseits die Differenzen des letzteren mit seinem polnischen Lehnsherrn und der Kaiserin Katharina II. auszugleichen. Ersteres scheiterte am Adel, letzteres am Eigensinne des Herzogs und den Intriguen seiner selbstsüchtigen Umgebungen. Beides hinderte jedoch die eigenthümlich geartete Frau keineswegs, einerseits in die freundschaftlichsten Beziehungen zur Kaiserin Katharina II. zu treten, andererseits dem König Stanislaus auch nach seinem Sturze eine fast kindliche Pietät zu widmen. Vermochte sie nun wirklich, ihre rein persönlichen Gefühle so vollkommen von denen der Herzogin zu trennen, oder war dieses Verhalten ebenfalls eine volle Hingabe an die vollendeten Thatsachen?

In ähnlicher Weise sehen wir sie später zwischen dem Herzog und dem revolutionären Adel stehen, als es einen letzten Versuch zur Erhaltung der Krone galt. Und da auch dieser mißglückte, bemerkt man trotzdem im ganzen weiteren Leben und Wirken der Herzogin nicht die geringste Animosität, weder gegen den kurischen Adel, noch gegen Rußland, zu deren Kundgebung und Wirksamkeit ihre intimen Beziehungen zum Berliner und Wiener Hofe, zu Napoleon und Alexander, zu Talleyrand und Metternich, zu überhaupt sonst allen politischen Notabilitäten der Zeit wohl reiche Gelegenheit geboten hätten. Nur ihre Heimath mied sie, nachdem ihr Gemahl gezwungen von deren Thron gestiegen war, und trotzdem, daß der nunmehr russisch gewordene Adel alle Verehrung, die er dem (angeblich aus dem lettischen Volke stammenden) Herzoge vorenthalten hatte, der aus seiner Mitte hervorgegangenen Herzogin huldigend darbrachte.

Aus Tagebüchern und Briefen ihrer älteren Schwester, der Gräfin Elisa von der Recke, welche freilich ihre eigenen Anschauungen gern auf andere Menschen übertrug und namentlich die Herzogin Dorothea, deren äußeres Schicksal sie gewissermaßen mit bedingt hatte, leicht mit einem religiös-sentimentalen Nimbus umhüllte – aus jenen Auszeichnungen entnimmt man nun, daß die Herzogin ihr Herabsteigen vom Throne wie eine providentielle Fügung des Himmels aufgefaßt habe, welche dadurch auf’s Bestimmteste documentirt worden sei, daß auch der Erbprinz, welchen sie (1784) geboren hatte, nach wenigen Jahren wieder starb. Es ist nicht unmöglich und bei der damals herrschenden eigenthümlichen Richtung, der vornehmen Welt, welche einen gewissen mystischen Pietismus neben wunderbar leichter Behandlung des sittlichen Lebensernstes pflegte, eben so wenig unwahrscheinlich. Unzweifelhafter erscheint es dagegen, daß die Frau, welche dem Herzog in politischer Exaltation die Hand geboten hatte, nach dem Mißglücken aller Versuche, die wankende Krone auf dem Haupte des Unfähigen und Unwürdigen wieder zu befestigen, auch in der Ehe selbst keinen Ersatz für die hinabsinkenden Attribute der äußeren Stellung fand. Gerade in den letzten Jahren, während Peter nominell noch die Krone trug, und wo seine Anwesenheit in Kurland die überall aufgethürmten Wetterwolken zu beschwören vermocht hätte, hatte sie mit ihm Europa durchreisen und am preußischen Hofe verweilen müssen – immer im Gefühle der verlorenen Zeit und Gelegenheit, dennoch ohne die Macht, den sehr unbedeutenden und durchaus verzogenen Menschen zu einem bestimmten Entschlusse bewegen zu können. So kam das Schicksal über ihn; es blieb nur übrig, es in Petersburg durch seine Abdankung zu besiegeln.

In jeder Beziehung unbefriedigt, vom preußischen Hofe mit gewissermaßen mitleidsvollen Ehrenbezeigungen ausgezeichnet, anderntheils aber auch von manchen Seiten halb und halb verantwortlich gemacht für das Geschick des Fürsten, suchte der Geist und vielleicht auch die Herzenslangeweile der Herzogin nach Interessen, über denen die trübe Wirklichkeit zu vergessen sei. Schon in Königsberg hatten sich früher Anknüpfungen mit Kant, Hamann, Hippel, Scheffner und Anderen entwickelt; in Italien hatten sich bedeutende Künstler und Gelehrte, wie Hackert, Denon, Münter, nachmals Bischof von Kopenhagen, der Schweizer Thormann und Andere für längere oder kürzere Zeit dem reisenden Fürstenpaar angeschlossen, spätere Badeaufenthalte in Pyrmont und Karlsbad hatten wieder neue Begegnungen mit hervorragenden Geistern gebracht. So war es fast selbstverständlich, daß auch in Berlin das herzogliche Haus zum Sammelpunkt der geistigen Aristokratie wurde, welche damals durch Nikolai, Rammler, Engel, Mendelssohn u. s. w. repräsentirt war.

Allein gerade diese Richtung schien den Herzog seiner Gemahlin mehr zu entfremden, welche sich jetzt desto inniger an ihre diesen Interessen ganz hingegebene Schwester Elisa von der Recke anschloß. So unzertrennlich diese Beiden, um so entfremdeter wurde das Verhältniß zum Herzog, welcher überdies selbst im hereinbrechenden Unglücke unedlen Neigungen nicht zu entsagen vermochte. Als die Katastrophe seiner Thronentsetzung wirklich gekommen war, bestand bereits eine factische Trennung von seiner Gemahlin. Während er aber seine letzten Lebensjahre in Sagan verbrachte, lebte die Herzogin mit ihren Töchtern hauptsächlich in Berlin, zuweilen auch in Dresden. Die jüngste derselben, Johanna Katharina (geb. 1783), vermählte sich (1801) mit Franz Pignatelli de Belmonte, Herzog von Acarenza – sie ist heut’ Besitzerin von Löbichau. Die zweite, Prinzessin Pauline (geb. 1782), war noch vor des Vaters Tode die Gemahlin des nachher souverainen Fürsten von Hohenzollern-Hechingen geworden, von welchem sie sich jedoch nach der Geburt eines Sohnes (1801) trennte, was wohl vorzugsweise die Uebersiedelung der Herzogin nach Dresden verursachte, wo sie durch den Hof in nähere Beziehungen zu den napoleonischen Kreisen kam. Aus diesen neuen Verhältnissen ging schließlich auch die Vermählung der ältesten Tochter, Dorothea, mit dem ziemlich unbedeutenden Neffen des berühmten Talleyrand hervor, Alexander Edmund, Herzog von Talleyrand, Fürst von Perigord, auf welchen Ersterer später auch noch den Titel eines Herzogs von Dino übertrug. Diese Fürstin Talleyrand wurde dann während der Macht ihres angeheiratheten Oheims als eine jener einflußreichen Diplomatinnen bekannt, welche

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