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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Löbichau und die Herzogin Dorothea von Kurland.

Auf der Landstraße von Altenburg nach Gera bemerkt man etwa eine halbe Stunde Weges vor Ronneburg zur Rechten ein seltsam vereinsamtes Landhaus in barockem Styl. Wer im Altenburgischen und Gothaischen bekannt ist, erkennt sofort die Verwandtschaft dieses Baues mit denen, welche von den geistreichen und kunstsinnigen Brüdern, von Thümmel, Moritz August, dem Schriftsteller, und Hans Wilhelm, dem gotha-altenburgischen Minister, herstammen. Es ist als die Villa Tannenfeld bekannt. Eine Allee sinkt von da zwischen Getreidefeldern abwärts in einen Waldbusch, welcher weiter hinüber wieder ansteigend mit größeren Forsten zusammenzuhängen scheint. Auch in diesem schattigen Thale verbirgt sich ein Dorf, dessen Name noch vor einem Menschenalter beinahe in ganz Europa und wenigstens ziemlich an allen Fürstenhöfen von wohlbekanntem Klange war. Vor dreißig und vierzig Jahren ging man, wenigstens in der guten Jahreszeit, wohl auch selten hier vorüber, ohne daß heitere Gesellschaft die Villa Tannenfeld erfüllte und elegante Equipagen oder wohlgekleidete Spaziergänger die davon absinkende Seitenallee belebten. Denn das verborgene Dörfchen im Thalgrund ist Löbichau, damals einen großen Theil des Jahres hindurch die Residenz der Herzogin Anna Dorothea von Kurland. Heut ist das Ganze, ob auch wohlerhalten und sorgsam gepflegt, fast nur noch eine Erinnerung und das Denkmal einer Zeit, deren Wesen und Interesse uns schon fast fremdartig berühren.

Schloß Löbichau.

Das Ganze trägt durchaus nicht den Charakter eines Herrschaftssitzes, an welchem Jahrhunderte lange Familiengeschichten gebaut und die Spuren der Geschicke ihrer Geschlechter zurückgelassen haben. Es ist äußerlich ein Herrenhaus, wie so viele, welche im Anfange unseres Jahrhunderts entstanden, als die gemachte Geradlinigkeit und Schmucklosigkeit eines sogen. classischen Geschmackes als Mode herrschte, ohne daß man doch die classischen Bauformen auf Wohnhäuser zu übertragen beliebte. Man bannte damals die Mode der Cäsarenära fast ausschließlich auf den Zimmerschmuck und die Kleidung, begnügte sich aber bei den Bauten gewöhnlich mit der bloßen Rasirung der Schnörkel und Arabesken aus der vorhergehenden Zopfepoche. Dies machte die Flächen nicht großartig und imponirend, sondern öde und kalt. Aehnliches mag auch mit dem Löbichauer Schlosse vor sich gegangen sein. Die Herzogin von Kurland kaufte es im Anfange des Jahrhunderts, nachdem ihr entthronter Gemahl verdüstert auf einer seiner schlesischen Besitzungen gestorben war (13. Jan. 1800). Im ersten Jahrzehend bewohnte sie es kaum regelmäßig in den Sommermonaten, während sie den größeren Theil des Jahres theils auf Reisen, theils in Paris, Berlin und Dresden verbrachte. Erst nach dem Wiener Congreß begann die Blüthezeit des hiesigen Lebens und endete bekanntlich schon im ersten Beginne der zwanziger Jahre mit dem Tode der durch ihre Lebensschicksale, wie durch ihre politischen Einflüsse gleich bedeutungsvollen Frau. Der Löbichauer Aufenthalt und seine Beziehungen galten jedoch fast ausschließlich den künstlerischen und literarischen Bestrebungen des wiedererrungenen Friedens. Ja, man darf sagen, an Löbichau und den dortigen Hofhalt der Herzogin Dorothea knüpfte sich eine ziemlich bedeutsame Gruppe unserer modernen Culturgeschichte, soweit sie mit dem romantischen Literatur- und Kunstleben jener Tage in geistiger Beziehung steht; und auch auf die außerhalb dieser Kreise sich bewegenden Richtungen haben die hiesigen Verhältnisse mancherlei Einfluß geäußert. Es würde eine nicht unwichtige Aufgabe ernsterer Literaturgeschichte sein, diesen Wechselwirkungen genauer nachzugehen und einmal vorzugsweise auf die gesellschaftlichen Einflüsse hinzuweisen, welche unmittelbar nach dem nationalen Aufschwunge der sogenannten Freiheitskämpfe unsere nationale Poesie und Belletristik in dem bekannten sentimental-romantischen Gefühlslallen verschwimmen ließ.

Man hat das Löbichauer Leben in den Literaturgeschichten unseres Jahrhunderts öfters als „Liebeshof“ bezeichnet und gewissermaßen in Parallele gestellt mit dem dichterischen Hofhalte der Königin Margarethe von Navarra. Damit ist zu viel und zu wenig gesagt. Die Aehnlichkeit reducirt sich schließlich auf Aeußerlichkeiten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_285.jpg&oldid=- (Version vom 15.5.2023)