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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Meine Nase, meine Nase und immer wieder meine Nase! Ihr reitet nun doch schon lange genug auf diesem Steckenpferde!“

„Groß genug, um darauf zu reiten, ist sie auch!“ rief Clarenstein, „und ordnungsmäßig gesattelt ebenfalls.“

„Und doch behaupte ich,“ nahm Günther gleichmüthig das Wort und schaute sich im ganzen Kreise um, „und doch behaupte ich, daß ich die schönste und wohlgebildetste Nase von Euch Allen, ja von ganz Breslau besitze!“

„Hoho!“ lachte Posen. „Das wäre!“

„Geben Sie uns den Beweis Ihrer Behauptung,“ sagte Leitmersdorf, „denn diesmal können und werden Sie nicht verlangen, daß wir Ihnen auf’s Wort glauben.“

„Den Beweis?“ fragte Günther ruhig, während alle Anderen sich vor Lachen schüttelten. „Gut, ich werde Ihnen den Beweis liefern! Aber mich dünkt, der Gegenstand wäre wohl einer Wette Werth.“

„Ich halte sie,“ rief Posen, und Mellin bildete sein Echo. „Ein Souper, wie heute Abend, sei der Preis.“

„Topp, es gilt!“ sagte Günther. „Ein Souper ist schon etwas, und unter Umständen sogar etwas Gutes. Aber bei der Erhabenheit des Gegenstandes, der zu dieser Wette Veranlassung gibt, scheint es mir nicht genug zu sein.“

„Ich halte noch extra zwanzig Friedrichsd’or!“ rief Posen.

„Ich auch!“ schloß sich Mellin an, und auch Leitmersdorf, Neurode und Clarenstein erklärten, daß sie die gleiche Summe halten wollten.

„Fünfmal zwanzig macht hundert,“ rechnete Günther. „Hm, das ginge schon. – Nun gut, Ihr Herren, ich gehe die Wette ein und halte sie gegen Euch Alle. Uebermorgen Abend zu dieser Stunde und hier im Zimmer werde ich den verlangten oder bezweifelten Beweis liefern. Das Souper wollen wir sogleich bestellen, – wer die Kosten trägt, das wird sich nachher entscheiden.“

„Aber wir begehen an Euch einen Straßenraub, Günther,“ lachte Neurode, „da es unzweifelhaft ist, daß ihr die ganze Zeche bezahlen müßt. Ihr müßt die Goldfüchse hoch aufgethürmt im Kasten liegen haben!“

„Ei bewahre,“ erwiderte Günther zuversichtlich. „Ich will sie erst aufthürmen, denn Euere hundert Friedrichsd’or sind mir sicher. – Indeß, wenn Euch die Wette leid wird, so sei es Euch gestattet, sie jetzt noch rückgängig zu machen!“

„Nein, nein,“ rief es von allen Seiten, „die Sache ist abgemacht! Aber wer soll Schiedsrichter sein?“

„Jede Partei wählt den ihrigen,“ sagte Günther, „und ich für meinen Theil den Maler Richter.“

Ein in Breslau lebender, anerkannter Bildhauer wurde zum Schiedsrichter der Gegenpartei erwählt und man beschloß, außerdem noch einen Juristen hinzuzuziehen, der darüber wachen solle, daß Alles auf gesetzlichem Wege zugehe. Der Vorschlag, zu diesem Amte den Assessor Ebert aufzufordern, fand den allgemeinsten Beifall.

„Wohlan, so werden diese drei Herren zum Souper auf übermorgen eingeladen,“ sagte Günther. „Aber ich denke, wir lassen unsere Wette bis dahin nicht unter das Publicum kommen und theilen auch den Herrn Schiedsrichtern vorher nicht mit, um was es sich handelt.“

„Einverstanden!“ hieß es. „Es gibt einen köstlichen Spaß!“

In der ausgelassensten Heiterkeit blieb die kleine Gesellschaft noch lange beisammen. Als sie sich aber auflöste, erscholl von allen Seiten der fröhliche Ruf: „Also übermorgen folgt die Fortsetzung des heutigen Abends und die Entscheidung unserer Wette!“


Es war in der Dämmerstunde des folgenden Tages, als Günther, wie bereits oben erzählt ist, bei Lissauer eintrat.

Als sie sich in dem kleinen Hinterstübchen allein befanden, entstand eine Pause, während welcher Günther mit seinen grauen Schlitzaugen Lissauer scharf anblickte, so daß dieser verlegen die Blicke niederschlug, sie aber doch von Zeit zu Zeit wieder mit sichtlichster Spannung auf seinen Besuch heftete.

Endlich begann Günther das Gespräch.

„Herr Lissauer,“ sagte er, „ich habe Ihnen ein gutes, ja ein ausgezeichnet gutes Geschäft vorzuschlagen. Es handelt sich um einen reinen Gewinn von fünfhundert Thaler Gold, ohne daß Ihnen die geringste Möglichkeit eines Verlustes oder nur eine Mühwaltung daraus erwächst. Ich denke, Sie werden darauf eingehen.“

„O, Herr Baron,“ rief Lissauer, dessen ganzes Gesicht strahlte, „dacht’ ich doch Wunders, was ich würde zu hören bekommen, weil Sie aussahen so ernst. Fragen Sie doch nicht erst, ob ich das Geschäft will machen! Sagen Sie mir, wo es liegt, das Geld, und wie ich es kann verdienen.“

„Sie haben nur nöthig, sich zu bücken, um es aufzunehmen. Nein, nein, nicht buchstäblich genommen! Wenn das Geld hier unter dem Tische läge, würden Sie es ja wissen,“ sagte Günther lächelnd, als Lissauer bei seiner vergleichenden Redeweise sich unwillkürlich bückte. „Nur Ihre Namensunterschrift kostet es Sie,“ fuhr Günther fort, „dann aber spaziert die genannte Summe sofort in Ihre Tasche.“

Ein wenig bedenklich geworden, erwiderte Lissauer: „Namensunterschrift! Nu, wir müssen sehen, was es gilt, denn der Herr Baron wissen so gut als ich, daß die Namensunterschrift unter wenige Worte, auf einem ganz kleinen Stückehen Papier, kann oft sein sehr kostbar; ja, daß es kann gehen an Kopf und Kragen.“

„Sie haben nichts zu befürchten, Herr Lissauer. Es handelt sich hier zwischen uns um ein regelmäßiges kaufmännisches Geschäft. Ich kaufe Ihnen etwas ab und verlange nicht einmal, diesen erkauften Gegenstand mit mir zu nehmen. Im Gegentheil, Sie bleiben für alle Zeiten der Nutznießer desselben, Sie sollen mir nur eine schriftliche Anerkennung geben, daß ich der Besitzer bin.“

„Wenn’s weiter nichts ist, Herr Baron, so stehe ich ganz zu Diensten. Gott, so nennen Sie es doch nur, was es ist, das Sie von mir kaufen wollen! Hab’ ich doch im ganzen Laden nicht einen einzigen Artikel, der 500 Thaler Gold Werth wäre, und das Haus hier ist nicht mein Eigenthum. Also machen Sie gefälligst ein Ende, wenn Sie nicht ganz und gar zu scherzen belieben. Nu, sagen Sie, was ist es, was soll ich verkaufen?“

„Wenn Sie mich doch nur zu Worte kommen ließen, Herr Lissauer! So hören Sie denn! – Sehen Sie mich einmal an; recht gerade in das Gesicht. So! Was halten Sie von meiner Physiognomie? Sprechen Sie ganz offen.“

„Nu, Herr Baron – sie ist – wenn auch – obgleich – Angenehmer Ausdruck!“ rief er zuletzt, froh, endlich ein Wort gefunden zu haben, und schnappte nach Luft.

„Ein angenehmer Ausdruck! Hm, hm! Aber sagen Sie, worin liegt der? In der Stirn? In den Augen? Oder etwa in der Nase?“

„In der Nase nicht,“ fiel Lissauer schnell ein, entsetzt über diese Voraussetzung. „Das heißt,“ setzte er zögernd hinzu – „nein, Herr Baron, in der Nase doch wohl nicht. – Es muß so im Ganzen liegen.“

„Also in der Nase nicht, meinen Sie, Herr Lissauer! Nun, ich will Ihnen, da wir so ganz unter uns sind, offen gestehen, daß auch ich stark daran zweifle, ob meine Nase es ist, die mir den „angenehmen Ausdruck“ verleiht; ja, ich muß sogar nach einigen von meinen Freunden gemachten Andeutungen glauben, daß sie wenig Reize besitzt. Jeder Mensch hält aber etwas auf sein Aeußeres und möchte es so wohlgestaltet als möglich sehen. Ich bin daher meiner Nase recht herzlich satt und gehe schon seit einiger Zeit mit dem Vorsatz um, mich in den Besitz einer schöneren zu bringen. Was meinen Sie, Herr Lissauer, wenn zum Beispiele statt meiner die Ihrige in meinem Gesichte säße?“

Jakob Eli sprang vom Stuhle auf. „Also belieben der Herr Baron doch nur zu scherzen!“ sagte er enttäuscht und kleinlaut. „Wissen Sie auch, daß ich mit einem Capital von 500 Thalern vergrößern könnte mein Geschäft, und daß der alte Meyer Liepmann mir dann seine Tochter Rahel würde geben zur Frau, mit einer ausgezeichneten Ausstattung von ihrer seligen Mutter, der Lea Kohn? Und mit baarem Gelde auch noch und neuem Credit bei der ganzen Kaufmannschaft. O, was haben Sie für Hoffnungen angeregt in meinem armen Herzen!“

„Ich scherze keineswegs!“ nahm Günther ruhig das Wort, als der Redestrom Jakob Eli’s einen Augenblick stockte, „und ich sage Ihnen noch einmal, daß es nur Ihrer Namensunterschrift bedarf, um Ihnen 500 Thaler Gold, Rahel Liepmann mit seliger Ausstattung und Credit zu gewinnen. Damit ich’s kurz mache, erkläre ich kurz und gut: Herr Lissauer, ich wünsche Ihre Nase zu besitzen!“

Lissauer griff in höchster Angst nach diesem seinem schönsten Gesichtsschmuck, als wollte er sich überzeugen, ob diese auch noch vorhanden wäre, und stöhnte: „Meine Nase – meine Nase und ich –“ dann sank er wie vernichtet auf seinen Stuhl zurück.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_284.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)