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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

und falten sie über der Beute verschlingend zusammen. Auch vereinzelt lebende Polypen zeigen ein ähnliches Behaben. Ein kleiner Vielarm, den man Hydra tuba oder Trompetenpolyp genannt hat, besteht fast nur aus Magen und Fangfäden und ist so gefräßig, daß er, sich blähend und dehnend, auch Gegenstände verschlingt, die größer sind, als er selbst. Sogar andere Polypen sollen von ihm verschlungen werden, aber mit heiler Haut durch den Mund, der zugleich die Ausgangsöffnung ist, wieder zum Vorschein gekommen sein. Daß die Aktinien oder Seeanemonen in heidnischer Blindheit ihre eigenen Jungen verschmaußen, ist eine wiederholt beobachtete Thatsache.

Bei manchen Polypen bildet der Fühler- oder Fangarmkranz eine prächtige Blume. Abgesehen von den Seeanemonen, von denen die Actinia holsatica auch Seerose genannt wird, hegt die Nordsee mehrere knollen- und röhrenartige Polypen, welche außer dem Wasser vom unscheinbarsten, ja selbst widrigsten Ansehen sind, in ihrem Lebenselement aber die reizendsten Blüthensterne entfalten. Einige haben ein rübenartiges Innere, andere sind warzenförmig u. s. w. Bei Helgoland ist ein merkwürdiger Polyp unter dem Namen Tidjen (Zitzen) bekannt, der sehr schöne gelbliche und röthliche Blumen entwickelt.

Zu den lieblichsten Erscheinungen unserer Küsten gehört die Tubularia indivisa oder der Einzelröhrenpolyp, der nur ein paar Zoll hoch wird, aus einem rothgelblichen, bindfadendicken Röhrchen besteht und oben eine prächtige Scharlachblume von Fühlern entfaltet. Die Röhren stehen dicht zusammen, oft wunderlich verzwirnt und verschlungen. Mitunter ist eine noch lebende Muschel oder ein Krabbenrücken das Fußgestell, so daß dann der ganze Blumenbüschel umherwandert. Zwischen und neben den Polypenröhren befinden sich auch wohl noch andere Thierchen und Pflanzen, das Ganze zu einer tausendfältigen, reizenden, schmucken Welt im Kleinen gestaltend, die der geduldige und ernstblickende Krebs wie ein Atlas auf dem Rücken trägt.

Oft wird ein Polyp von andern Arten als Baugrund benutzt und nicht selten gänzlich überwuchert. Ich sah einen Röhrenbüschel, der über und über von einer dicken, schwammartigen Haut bedeckt war. Der rothe Polypensaft war noch flüssig im Innern; das Leben aber war längst erstorben. Die Schmarotzer dagegen lebten noch und streckten ringsum Tausende von suchenden Silberfädchen in die sonnendurchleuchtete Fluth. Wie reizend, wenn die Köpfe der Röhren noch frei sind, wenn die Scharlachblüthen der größern über den Silberkelchen der kleinern sich spielend entfalten und wiegen!

Fast mag man den Gedanken nicht zulassen, daß alle diese lieblichen Erscheinungen nur Werkzeuge und Bewegungen sind, um zu tödten und zu verschlingen. In der That, kein Raubthier des Landes und der See ist verhältnißmäßig mit so furchtbaren Fängen bewaffnet, als diese winzigen Geschöpfe. Wie Wilde ihre Schlingriemen, so werfen sie nach allen Seiten ihre züngelnden Fangschnüre aus, und wehe dem Thierchen, das sich sorglos dazwischen begibt! Mit Blitzesschnelle wird es umschlungen und erbarmungslos in den unersättlichen Schlund hinabgezogen. Bei einer Plumularia, wo das Thier in länglichen, blasenartigen Höhlungen wohnt, gleicht der ausgestreckte Fangarm einem mit Eiskrystallen besetzten Zweige oder einer geästelten, knotigen Schnur von Edelgestein; der einfallende Lichtstrahl glimmt in den leise sich entfaltenden, wie durch Silberdraht verbundenen Solitären: da plötzlich ein zuckender Ruck, und die Diamantschnüre schlingen sich wie eine blutige Geißel zusammen und das umstrickte Opfer ist verloren.

Das arme Thierchen! Der garstige Polyp! So hör’ ich’s schon von den weichherzigen Lippen der schönen Leserin sich ergießen.

Doch gemach, liebe Milde! Wir brauchen die verschlungenen Kleinen nicht allzusehr zu bedauern. Es waltet hier, wie in tausend andern Fällen, nur das unabänderliche Gesetz des Wechsels, das allgemeine Recht des Stärkern, des Begabteren. Die Kleinen erleiden nur, was sie selbst so eben an noch Kleinern verübt haben.

Blicke nur hinein in den Tropfen Wassers, den Deine Gläser zur Welt erweitern. Wie das wirbelt und schießt und ringt! Ein ewiges Fliehen und Verfolgen, ein endloses Suchen und Jagen, ein wildes Würgen und Verschlingen! Und wie in diesem Tröpfchen unter Deiner Linse, so ist’s in den Tropfen, die wir Meere und Oceane nennen. Vom winzigsten Räderthierchen bis zu den riesigen Haien und Walen – eine einzige ungeheure Leiter von Entstehen und Vergehen, von Kampf und Vernichtung. Kaum, daß der Sieger der Beute sich erfreut, da naht schon ein Stärkerer, der ihn selbst überwältigt und verzehrt. Und zuletzt kommt der Mensch, der sie alle würgt, sie alle ausbeutet, bis er seinerseits einem der Würgengel verfällt, die in mannichfacher Gestalt verheerend über die Erde schreiten.

So ist es, und so wird es sein zu aller Zeit! Keine Allmacht könnte es anders schaffen. Ohne Kampf keine Mannichfaltigkeit, ohne Tod kein irdisches Leben!

Wir brauchen darum an der Allgüte und Allweisheit des Weltschöpfers nicht zu zweifeln. Nur werden wir sie etwas tiefer und etwas höher suchen müssen, als bei Denjenigen, die jeden Augenblick bereit sind, dem lieben Herrgott mit ihrer eigenen Weisheit zu Hülfe zu kommen. Wie weise, ruft der Eine, daß es Kuckucke gibt, um die Raupen zu vertilgen! Wie gütig, meint ein Anderer, daß es Raupen gibt, um die Kuckucke zu ernähren! Wie fürsorglich und milde, predigt der Dritte, die liebreiche Mutter Natur für alle Creatur Bedacht nimmt!

Sicher, es fehlt nicht an fröhlichem Leben und gedeihlicher Milde! Aber dicht neben Lust und Leben schreitet ewig der Schmerz und die Vernichtung voll unerbittlicher Strenge. Sieh nur hin, wenn Du das heitere Gestade entlang wandelst, wie über Tausende von sterbenden Geschöpfen Dein Fuß geht! Vielleicht zauderst Du, vielleicht weichst Du mitleidig dem Wurme aus, der im Sande sich windet.... Sei barmherziger und gib ihm raschen Tod; denn die Natur kennt kein Erbarmen. Gefühllos wirft die Sturmwelle das Thier an den Strand, gefühllos weicht die ebbende Fluth zurück, gefühllos brennt die Sonne herab, und langsam, langsam schmachtet und dürstet das Leben dahin. Nur im Gesammtsein ist Allweisheit, nur in Gott Erbarmen und Erlösung. –




Blätter und Blüthen.

Sch. in Redo. – Eignet nicht recht für die Gartenlaube. Brieflich ein Mehreres.

K. in Wien. – Mit Dank angenommen. Bilder vom Kriegsschauplatze sind uns stets willkommen.

Mdl. in Prag. – Allerdings haben wir Veranstaltung getroffen, die Ereignisse des Tages durch tüchtige Federn und Illustrateure in der Gartenlaube zur Darstellung zu bringen, nur erwarte man von uns nicht willkürlich componirte Schlachtenbilder und militairische Berichte, die uns gänzlich fern liegen. Wie bei Gelegenheit des Krimkrieges, werden wir authentische Abbildungen zur Orientirung und Schilderungen einzelner, besonders wichtiger Ereignisse und Scenen bringen, die ein treues Bild des Ganzen geben.

Gtz. in Obtz. – Wir haben Ihren Wunsch unserem Londoner Correspondenten mitgetheilt. Was kümmert Sie aber in jetziger Zeit die Geisterwelt?



Berichtigung. Bezüglich des in Nr. 15 der Gartenlaube enthaltenen Referats über das Leipziger Künstlerfest vom 19. März sehen wir uns Seitens des betreffenden Festcomité's zu der Berichtigung veranlaßt, daß nicht eine „unschwesterliche“ Weigerung der Musik, sondern vielmehr verschiedene andere, theils praktische, theils die einheitliche Abrundung des Ganzen bezweckende Gründe die Anordnung veranlaßt haben, die selbstständigen Musikstücke nicht in die Pausen zwischen den lebenden Bildern zu verlegen; sodann daß in dem Festspiele der Genius der Poesie keineswegs den beiden Nebenpersonen „Herrn Schacherig“ und „Madame Prosa“, sondern dem anwesenden kunstfreundlichen Publicum die lebenden Bilder vorgeführt; endlich daß die gerügte Interpretation des Leutemann’schen Frieses in keinem Theile von dem Verfasser des Festspieles, Herrn Clasen, sondern von dem Darsteller der Rolle des „Humor“, welcher zugleich die Erklärung dieses Frieses übernommen hatte, ausgegangen.

D. Red.

Zur Notiz. Durch ein Versehen unsererseits ist ein Theil der Auflage von Nr. 18. mit der Jahreszahl 1858 statt 1859 gedruckt worden. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

Die Druckerei.

Nicht zu übersehen!

Alle Einsendungen von Manuscripten, Büchern etc. etc. für die Redaction der Gartenlaube sind stets an die unterzeichnete Verlagshandlung zu adressiren.

Ernst Keil.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. - Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_280.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)