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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Deutsche Dichter.

Moritz Hartmann

Auf dem reichbevölkerten Dichterparnaß Oesterreichs ragt unbedingt Moritz Hartmann als eine der ersten Größen mächtig unter seinen Zeitgenossen hervor. Er hat das Glück, nicht nur in Oesterreich, sondern auch im „Reich“, wie die echten Oesterreicher sagen, anerkannt zu sein, und sein Name wird nicht nur in Deutschland, sondern auch im Auslande mit großer Achtung genannt.

Da der Dichter mit seinen Werken „auf die Straße“ hinausbaut, so ist es gewiß der richtigste Vorgang, wenn man sein Leben aus diesen Producten, die es, insofern sie organisch sind, getreu wiederspiegeln müssen, musivisch zusammenbaut. Die hier folgende biographische Notiz ist ein auf diesem Wege gewonnenes Resultat.

Moritz Hartmann ist am 15. October 1821 zu Duschnik, einem kleinen Dorfe in Böhmen, das mitten im Walde liegt, geboren und stammt aus einer gewerbthätigen, dort angesehenen Familie. Er schildert die Erinnerungen aus seiner Kindheit in seinem Buche: „Der Krieg um den Wald“ und zugleich die alten Traditionen, die sich dort noch an das Andenken des Kaisers Joseph knüpfen, der mit den dynastischen auch die Interessen des Volkes, das er beherrschte, im Auge hatte.

Den ersten Unterricht erhielt Moritz Hartmann von Hauslehrern, die weitere Ausbildung auf den Gymnasien von Jungbunzlau und Prag. Für ein begabtes und strebsames Talent war in jenen Lehranstalten nicht in reichem Maße gesorgt; man verfolgte den Schlendrian einer hergebrachten dürftigen Methode, die der Jugend jene kräftige Geisteskost vorenthielt, an der sich in Ländern mit freien Institutionen die Talente für das praktische Leben und für die Wissenschaft und Kunst leichter entwickeln. Die Erziehungsresultate dieser Anstalten wurden eben in ihrer dienstwilligen Zahmheit für die Bureaukratie verwendet. Die jungen Leute, deren Ehrgeiz darüber hinausging, wurden als verloren aufgegeben und hatten keine Anwartschaft auf Aemter und Würden. Unser junger Poet war einer von diesen Paria’s; die geringen lateinischen und griechischen Kenntnisse, die ihm die amputirten Schulbücher gestatteten, erweiterte er möglichst auf eigene Faust und eröffnete sich damit den Eingang in die classische Welt, von deren Zaubern er bald so mächtig ergriffen wurde, daß er, unter dem bezwingenden Eindrucke homerischer und horazischer Rhythmen, die sogenannten Brodstudien an den Nagel hing. Mit der deutschen Literatur und ihren Großwürdenträgern wurde er nur aus Fragmenten und Sammelwerken bekannt; von ihren jüngsten Bestrebungen wußte er, als er nach Prag kam, auch nicht das Geringste; so bekam er von Lenau, mit dem er später in so intimem Verkehre stand, nur durch ein fliegendes Blatt Notiz;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_269.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2023)