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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Rindenstücken, die das Dach bildeten, wirbelte der blaue Rauch hervor, und die Insassen mußten also daheim sein.

Rasch war jetzt seine Disposition getroffen, und die kleine Schaar so vertheilt, daß aus der Hütte Niemand mehr entkommen konnte, ohne wenigstens ihrem Kreuzfeuer ausgesetzt zu sein. So vorsichtig aber schlichen sie an, daß sie von denen in der Hütte nicht einmal bemerkt wurden, und wie sie nun die Thür besetzt und die übrigen Wände umstellt hielten, wußten sie sich ihrer Beute sicher.

Tolmer selber spähte jetzt durch einen schmalen Ritz der einen Seitenwand, konnte aber nur eine Person im Innern erkennen. Es war das ein Mann, der vor dem Kamin auf einer dort liegenden wollenen Decke saß und sich gerade jetzt eine kleine Thonpfeife stopfte. Außerdem schien er auch das Frühstück zu bewachen, denn eine Theekanne stand auf den Kohlen, und die zusammengescharrte Asche verrieth, daß ein „Damper“[1] darunter backe.

Sonst war die Hütte leer – das kleine enge Gemach ließ sich leicht genug überschauen, da in der einen Wand zwei große Rindenstücken fehlten, und der leere Raum als Fenster diente. War das nun Mulligan? Hatten ihn seine beiden andern Gefährten auch verlassen, und war er hier allein zurückgeblieben? Jedenfalls mußten sie sich seiner so rasch als möglich bemächtigen, und Tolmer sah sich jetzt nur noch nach Waffen um. Er konnte nichts erkennen als eine einzelne Muskete, die in der Ecke lehnte.

Der Mann am Feuer war dabei so in seine Pfeife vertieft, daß er keine Ahnung von der ihm drohenden Gefahr hatte. Der Thür drehte er gerade den Rücken zu, und da diese halb geöffnet stand, glitten Tolmer, Borris und einer ihrer Leute hinein und warfen sich – zu verhindern, daß der Ueberfallene nach der Muskete springen könne – plötzlich und geräuschlos auf den Buschrähndscher.

„Na, zum Donnerwetter,“ rief dieser, der gar nicht Miene machte, emporzuspringen, „Ihr werdet mir die Pfeife zerbrechen. Prächtiges Stück Arbeit nachher, und keine andere wieder zu kriegen in dem verdammten Busch.“

„Hallo, der nimmt’s kaltblütig,“ lachte Borris.

„Bindet ihm nur die Arme auf den Rücken,“ sagte Tolmer ruhig, „wenn er glaubt, daß er uns sicher machen will, irrt er sich.“

„Nur nicht ängstlich, old cove,“ lachte der Mann, in dem sich der Matrose nicht leicht verkennen ließ. „Halt da, mates,[2] schnürt mir die Arme nicht in Stücken.“

„Und was zum Henker machst Du hier, Camerad?“ sagte Tolmer, der mit seinem Fang nicht besonders zufrieden schien, denn der Mann betrug sich nicht wie ein ertappter Verbrecher, und das Gesicht war ihm vollkommen fremd.

„Was ich mache?“ sagte der Seemann vollkommen kaltblütig. „Ich passe auf, daß der blutige, steinharte Dumper da in der Asche nicht zum Teufel geht, und hätte jetzt meine Pfeife geraucht, wenn Ihr nicht wie die Wilden über Einen hergefallen wäret. Steck sie mir einmal Einer von Euch in’s Gesicht, und lege eine Kohle darauf.“

„Wie heißt Ihr?“ fragte Tolmer, während ihm Borris lachend willfahrte, und der Gefangene indessen an der Pfeife zog.

„Bill - dank’ Euch, Mate,“ lautete die Antwort. „Weshalb zum Henker, habt Ihr mir die Finnen hinten festgeschnürt? Mit den Füßen kann ich den Damper nicht aus der Asche nehmen.“

„Was treibt Ihr hier im Busch?“ frug aber Tolmer weiter, ohne seinen Einwand zu berücksichtigen.

„Verdammt wenig,“ brummte der Bursche, „koche, wie Ihr seht – Hutkeeper, glaub’ ich, nennen’s die Burschen hier im Land.“

„Das ist keiner von den „Birds“,“ flüsterte Borris seinem Vorgesetzten in’s Ohr.

„Ich glaub’ es auch nicht,“ sagte dieser eben so leise zurück, und setzte dann laut hinzu: „Wer wohnt hier noch mit Euch?“

„Zwei Andere.“

„Und wo sind die jetzt?“

„Ausgegangen, ein Wallobi zu schießen – wenn sie das nicht bekommen können, bringen sie ein Schaf mit.“

„So? – Haben sie eine eigene Heerde?“

Der Matrose lachte und sah still vor sich nieder.

„Wie lange seid Ihr schon auf der Insel?“ fuhr Tolmer fort.

„Drei Wochen,“ lautete die Antwort.

„Und wo kommt Ihr her?“

„Hm,“ brummte der Mann, der hier nicht recht mit der Sprache heraus mochte, „gehört Ihr zur Wasserpolizei?“

„Nein.“

„Gut, dann geht’s Euch nichts an.“

„Von einem Schiff weggelaufen?“ fragte Tolmer.

Der Matrose schwieg und zog an seiner Pfeife.

„Hört einmal, Camerad,“ sagte Tolmer, der jetzt keinen Augenblick mehr zweifelte, daß er es blos mit einem weggelaufenen Matrosen zu thun hatte. „Seid Ihr nur einem Schiff ausgekniffen, so hab’ ich damit allerdings nichts zu thun, und es wird Euch nichts geschehen, aber wir müssen die beiden andern Burschen fangen. Wollt Ihr uns dabei helfen? Denn ich kann mir nicht denken, daß Ihr mit den Verbrechern weiteren Verkehr gehabt habt.“

„Mit gebundenen Armen soll ich Euch helfen.“

Tolmer löste ohne weitere Antwort seine Bande, und Bill fühlte seine Arme kaum frei, als er vor allen Dingen seine Pfeife etwas fester stopfte.

„Daß es mit den Beiden nicht ganz richtig sei,“ sagte er dabei, ohne seine Stellung zu verändern, „hab’ ich mir etwa gedacht. – Hol’ sie der Henker, ich bin froh, daß ich mit guter Manier von ihnen fortkomme.“

„Wie bald können sie zurück sein?“

„Jeden Augenblick. Das Beste ist dann, Ihr stellt Euch hier im Innern der Hütte auf, denn ich weiß nicht, von welcher Seite sie kommen.“

„Ist die Muskete Euer?“

„Nein – sie gehört dem Einen – John nennt er sich.“

„John Mulligan?“

„Was weiß ich, wie sein ganzer Name ist; John genügt, um ihn zum Essen zu rufen.“

„Da kommt Einer!“ flüsterte in diesem Augenblicke Borris rasch, der indessen schon an die verschiedenen Theile der Hütte Wachen gestellt hatte. Die Rinde war an unzähligen Stellen gesprungen, und man konnte überall hindurch sehen.

„Ist das John?“ frug Tolmer, der dem Matrosen winkte, den Ankommenden zu beobachten. Dieser schüttelte den Kopf.

„Nein,“ sagte er, „das ist der lahme Tom – hat richtig ein Schaf erwischt – wird sich unendlich freuen, wenn er hier so angenehme Gesellschaft findet.“

„Und wo ist der Andere?“

„Weiß nicht – sind Beide zusammen fortgegangen.“

„Bst– er kommt – ruhig jetzt!“ warnte Tolmer, und schweigend sammelten sich die Polizeileute im Innern der Hütte an beiden Seiten des Eingangs, auf den der Buschrähndscher, ohne Ahnung dessen, was ihn erwartete, langsam zuschritt.

Er war in die gewöhnliche rauhe Buschtracht gekleidet, jetzt aber in seinen Bewegungen gehindert, da er das schon geschlachtete Schaf auf den Schultern trug und dabei mit der rechten Hand seine Muskete festhielt.

„Holla, Bill!“ rief er, indem er, dicht vor der Thür, mit dem einen Fuß dagegen trat. „Zum Teufel auch, mach Einem den Deckel auf – oder schläft die Canaille schon wieder?“

Tolmer sagte kein Wort, aber wie er dem Matrosen winkte, die Thür zu öffnen, zeigte er ihm ein gespanntes Pistol als Warnung, was ihm selber drohe, wenn er sie verrathen wolle. Bill dachte aber an nichts Derartiges, denn, selber ein ehrlicher Kerl, hätte er schon lange die Gesellschaft dieser Burschen, die ihn gewissermaßen als Diener behandelten, gemieden, wenn er nur gewußt, wohin er sich wenden solle. Jetzt, da es sich herausstellte, daß seine bisherigen Gefährten das wirklich waren, wofür er sie seit den letzten Tagen heimlich gehalten, wäre er der Letzte gewesen, mit ihnen „in einen Topf zu springen.“ Ruhig öffnete er deshalb die Thür für den „lahmen Tom“, wie der Buschrähndscher von seinen Cameraden genannt wurde, weil er ein klein wenig hinkte.

„Da hier,“ sagte dieser, noch vor der Thür – „nimm mir einmal das Schaf ab – na, wird’s bald? Soll ich’s etwa noch eine Stunde auf dem Buckel haben?“

(Fortsetzung folgt.)
  1. Damper ist das im australischen Busch gewöhnliche Weizenbrod, das ohne Hefe oder Sauerteig nur mit Wasser angeknetet und in der heißen Asche gebacken wird.
  2. mate die gewöhnliche Anrede im Busch und so viel wie Camerad – old cove alter Bursche.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_268.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)