Seite:Die Gartenlaube (1859) 267.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

günstig, so daß es große Schwierigkeiten haben möchte, sie wirklich einzufangen, wenn sie vorher gewarnt wären. Die größte Vorsicht blieb deshalb noch immer nöthig. Darnach handelte Tolmer.

Mit einem Regierungscutter durften sie nicht hinüberfahren und drüben anlegen; die Kunde davon würde sich blitzesschnell über die ganze Insel verbreitet haben. In Adelaide lag aber gerade ein kleiner Schooner, der neuseeländischen Flachs von Aukland geholt hatte und den man recht gut für eine solche Fahrt bekommen konnte. Der Gouverneur gab auch augenblicklich seine Erlaubniß dazu und bewilligte die nothigen Mittel, und drei Tage später segelte der Schooner mit Mr. Tolmer und zehn Leuten, auf die er sich vollständig verlassen konnte, an Bord. Diese hatte er theils als Bündelleute, theils als Matrosen gekleidet und alle weiteren Pläne aufgeschoben, bis er an Ort und Stelle selber das Terrain kennen gelernt hätte.

Der Schooner ging in Ballast, angeblich Wolle von drüben abzuholen und nach irgend einem der australischen Haupt-Stapelplätze, Sidney, Adelaide oder Melbourne, hinüberzuschaffen.

Borris hatte übrigens seinen hiesigen Aufenthalt vortrefflich angewandt, sich mit allen Schlichwegen im benachbarten Busche genau bekannt zu machen. Von Lindsay dabei nur mit dessen Erlaubniß auf Urlaub fortgegangen, konnte es natürlich nicht auffallen, daß er diese Gelegenheit benutzt, mit diesem Schooner zu seiner Station zurückzukehren. Er trat auch, so wie das kleine Fahrzeug landete, augenblicklich wieder in seine Stelle ein und verabredete sich nur vorher mit Tolmer, diesen wieder an Bord zu sprechen, wobei er sorgen wolle, daß Mr. Lindsay ebenfalls hinüberkäme.

Borris hatte Lindsay, ohne sich selber jedoch dabei zu verrathen, als einen durchaus rechtlichen und thätigen Mann kennen gelernt, von dem sie nicht zu fürchten brauchten, daß er sie verrathen würde. Besser blieb es aber immer, daß er so spät wie irgend möglich, in ihren Plan eingeweiht wurde, und die Zeit war jetzt gekommen.

Der Schooner ankerte gerade der Stelle gegenüber, an der Lindsay’s Station lag, und Tolmer, ebenfalls in Matrosenkleidung und mit glatt rasirtem Gesicht, um sich so viel als möglich unkenntlich zu machen, fuhr an’s Land, ließ sich bei Mr. Lindsay melden und frug an, ob der Gentleman seine Wolle vielleicht auf dem Schooner nach Adelaide verladen möchte.

Lindsay, der ihn nicht mehr kannte, nahm ihn mit in das Haus, und hier entdeckte sich ihm Tolmer, erklärte ihm, daß er gedenke, die Insel von allem Gesindel zu befreien, und bat ihn um seine Hülfe.

Der Squatter schien erst keine rechte Lust zu haben, darauf einzugehen, denn mißlang der Versuch, und wurde es bekannt, daß er die Polizei unterstützt hatte, so durfte er sich darauf verlassen, daß die Buschrähndscher sich an ihm rächten. Tolmer aber überredete ihn leicht, diese unnöthige Besorgniß schwinden zu lassen, und Lindsay versprach wenigstens, ihn gegen Abend auf seinem Schooner zu besuchen, dort – vollkommen sicher vor jedem Horcher – alles Weitere zu besprechen. Borris wollte er dann mitbringen.

Das geschah. Lindsay hatte ein eigenes Boot und ließ sich von Borris hinüberrudern, angeblich, etwas Tabak und einige andere Kleinigkeiten zu kaufen, die im Busch gebraucht wurden. Von seinen Leuten gehörte allerdings keiner mit zu den Buschrähndschern, oder würde sich ihnen angeschlossen haben. Sie Alle wußten aber, wo jene lagerten, und hätten sie nur den geringsten Verdacht geschöpft, daß das kleine Handelsfahrzeug da draußen von Polizei bemannt sei, so wären die „mates“ im Busch augenblicklich gewarnt worden.

Das Nähere, was jetzt Tolmer über die hier versteckten Verbrecher erfuhr, war, daß sie nicht mehr zusammen in einem Trupp wohnten, sondern sich vor etwa acht Tagen in Folge eines Zankes getrennt hätten. Mulligan – Lindsay kannte den Namen genau – hauste in einer kleinen Rindenhütte, etwa vier oder fünf englische Meilen von Lindsay’s Station entfernt, und die Uebrigen, wie Lindsay meinte und auch Borris bestätigte, „buschten“ es – d. h. sie hatten ihr Lager bei dem schönen Wetter mitten im Busch und unfern von einem kleinen Bach aufgeschlagen, da sie noch unentschieden sein mochten, welcher Richtung sie sich zuwenden sollten.

Borris wußte nur von fünfen, Lindsay behauptete aber, daß es im Ganzen sieben wären, John Mulligan mit zweien seiner Anhänger in der Rindenhütte und die vier Anderen, die draußen im Walde lagerten.

Diese Trennung der Schaar mußte ihrem Plan nur förderlich sein, denn sieben entschlossene und zur Verzweiflung getriebene Menschen konnten einem so kleinen Trupp Polizei schon einen gefährlichen Widerstand entgegensetzen, noch dazu, da sie Alle gut bewaffnet waren. In zwei verschiedenen Trupps ließen sie sich aber weit leichter bewältigen, und die Männer beschlossen, am nächsten Morgen vor allen Dingen der Rindenhütte einen Besuch abzustatten, um gleich im Anfang den gefährlichsten von ihnen, John Mulligan, unschädlich zu machen.

Zu diesem Zweck mußte der Schooner aber wieder vor Tag unter Segel gehen, damit die Besatzung nicht in Sicht der Station zu landen brauchte. Lindsay bezeichnete ihnen weiter gen Osten ein kleines Vorgebirge, wo sie wieder beilegen konnten. Dort befanden sie sich nur höchstens anderthalb englische Meilen von John Mulligans Hütte, und Borris sollte sie an der Stelle erwarten, während Lindsay zu Pferde sie später im Busch selber traf. Je früher sie dabei aufbrachen, desto besser, denn um so viel sicherer durften sie erwarten, die Hüttenbewohner noch Alle zu Hause zu finden.

Nachdem dies verabredet war, fuhr Lindsay wieder mit Borris an’s Land zurück.

Am nächsten Morgen war der Schooner von seinem Landungsplatz verschwunden, ohne daß irgend Jemand Notiz davon genommen hätte. Derartige Fahrzeuge kamen oft an die Küste und hielten sich nie länger an einem Orte auf, als sie hoffen durften, ein Geschäft zu machen.

Borris hatte noch am Abend von Lindsay zum Schein einen Auftrag bekommen, mit einem Brief nach einer benachbarten Station hinüber zu gehen, und Mr. Lindsay ließ sich, wie er das gewöhnlich that, Morgens in aller Frühe sein Pferd satteln und ritt in den Busch. Dem Koch[1] sagte er, daß er zum Frühstück zurück sein werde.

Genau nach der Verabredung hatte Tolmer auch gehandelt, traf mit Borris an der besprochenen Stelle zusammen und schlug sich dann rasch mit seiner kleinen, bis an die Zähne bewaffneten Schaar in den Busch, wo ihnen Mr. Lindsay begegnete.

Nach kurzem Marsch erreichten sie die Gegend, in welcher die Hütte stand; zu weiterer Führung wollte sich aber der Squatter nicht verstehen.

„Ihr wißt nicht,“ sagte er, „was für ein verzweifelter Mensch dieser Mulligan ist, und fangt Ihr ihn nicht, so fahrt Ihr nachher wieder ruhig nach Adelaide hinüber, und wir haben die Geschichte hier auszubaden. Ich kann auch mein Pferd hier nicht anbinden, und nähme ich es mit, hörten sie uns schon von Weitem. Dort gleich hinter jenem Dickicht liegt die Hütte – ich selber will nach Cooley’s Station hinüberreiten – Ihr wißt, wo das ist, Borris. Habt Ihr den Mulligan, so kommt und laßt mich’s wissen“ – und damit wandte er sein Pferd und hielt langsam quer durch den Busch der Richtung zu, wo er die Straße wieder erreichen mußte.

Tolmer murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen durch. Fest entschlossen aber, das einmal Begonnene auch durchzuführen, ob mit oder ohne fremde Hülfe, gab er seiner kleinen Schaar die nöthigen Befehle, und rückte jetzt langsam und vorsichtig mit ihnen weiter, bis sie in Sicht der Hütte kamen.

Diese, wie tausend ähnliche im Busch, bestand nur aus einem leichten Gestell von Pfosten, mit Latten übernagelt, und mit breiten Stücken Rinde des Stringybark-Baumes gedeckt. Eben solche Rindentafeln bildeten die Wände, und rauh genug sah solch ein Wohnhaus aus. Im Busch werden aber keine Ansprüche an Bequemlichkeit gemacht; Schutz gegen Wind und Wetter gewährte sie, und was weiter konnte man hier von einer Wohnung verlangen?

Sie lag dabei mitten im Dickicht drin, und war von dem benachbarten Stationshalter erbaut worden, einem Schäfer Unterkommen zu bieten. Die Schafe vermehrten sich aber nicht so rasch, wie der Stationshalter geglaubt. Die Hütte wurde nicht benutzt, und John Mulligan, der sie auf seinen Streifzügen durch den Busch entdeckte, fand sie passend, ihm zum Aufenthalt zu dienen – wenigstens eine Zeit lang dort zu leben.

Tolmer war vorangekrochen, vor allen Dingen die Gelegenheit zu erspähen, und ein Blick auf die Hütte verrieth ihm, daß sie ihren Weg hierher nicht umsonst genommen hatten. Zwischen den

  1. Auf fast allen australischen Stationen verrichten Männer – gewöhnliche Arbeiter – das Kochgeschäft, die dann hut-keeper oder Hüttenwächter genannt werden.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_267.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)