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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Mal gefragt hatte, so frug er nochmals. „Gelogen hat sie nicht, denn die Kundl lügt nicht! Sie kann mir doch nicht abspenstig worden sein seit Sonntag! Hat mich so lieb angeschaut und mir die Hand gedrückt und hat gesagt: schau, Stephl, Du bist mein Leben! und ich hab’ drauf zu ihr gesagt: Kundl, und Du das meine! – Und z’ Gehnacht, hab’ ich gesagt, lassen wir uns ’s erste Mal bei der Musik sehen; da werden s’ schauen! Ist zwar dem Vater nit ganz recht, aber haben muß Dich ich, Kuni, nit der Vater! – Und darauf hat sie mir die Hand wieder drückt und hat mich g’fragt, ob’s mein Ernst ist, und ich hab’ g’sagt, ja freili! und nachher sind wir auseinander gangen, und ich hab’ mich die ganz’ Woche gefreut, und heut’ kimmt sie nit, die spaßige G’sellin!“

Es wollte sich das Gefühl verschmähter Liebe und gekränkten Stolzes in ihm regen; der Gedanke, daß er, der von allen Mädeln Gefeierte, schnöde behandelt werden könne, machte ihm das Blut ganz heiß. Mißmuthig verließ er sein Versteck und ging den Fußpfad auf dem Wiesengrunde vorwärts dem Dorfe zu. Er mußte am Forsthause vorbei. Auf einmal geht die Hausthüre auf und Stephl gab’s einen Riß durch alle Glieder. Er horchte und suchte mit seinen Falkenaugen die Dunkelheit zu durchdringen. Man flüsterte. „Ist das nicht Kuni’s Stimme? – Und mit wem schwätzt sie, während ich Stunden lang auf sie warte?“ – Vorsichtig schlich er vorwärts und kam unbemerkt bis an das Stachelbeergesträuch’, welches den Gemüsegarten des Försters umzäunte. Hier kniete er nieder mitten in einem Gebüsche von Giftlattich, welcher dort üppig wucherte und dessen Geruch ihm schier den Athem raubte. Er strengte alle Sinne an, um durch die Lücken des Laubes Alles zu sehen und zu hören. Hätte man ihn nach einer Weile gesehen, so ballte er die Fäuste krampfhaft und machte ein gar grimmiges Gesicht. Die Flüsternden waren Kuni und ihr Bruder Franz; sie saßen auf der Bank vor dem Hause, und durch Lachen sich selbst häufig unterbrechend, erzählte Franz der Schwester, er habe heute auf Neureiter’s Hochalm dem groben Bauer eine Geis’ erschossen und beim Heimgehen dem Alten das abgeschnittene Schwänzchen derselben gezeigt, worüber er schrecklich zornig geworden sei. Kuni meinte, dem reichen Bauer, der vor keinem Jäger Respect habe, schade das nicht; aber Franz möge sich vor dem Stephl, dem groben Lümmel, in Acht nehmen, denn dieser sei verwegen und hochmüthig zugleich. „Heut’, denk’ Dir’s nur,“ fuhr sie fort, „heut’ wollt’ mich der grobe Klotz zum Tanz führen; er hat am letzten Kirchentag so verliebt gethan, wie eine Turteltaube!“

„Du hast’s ihm doch nicht versprochen?“ sagte Franz.

„Das wohl, aber ich hab’ gleich im Sinn’ gehabt, nicht hinzugehen!“

„Brav, Kuni! Da wird der junge Bär brummen, wenn Du nicht kommst. So ist’s recht! Die Bauernfünfer bildeten sich am End’ noch gar ein, sie seien Unsereinem gleich und dürften unsere Schwestern zu Geliebten haben!“ – Und er gab der Kuni aus Freude einen Kuß, daß es klatschte.

Der Stephl biß bei diesem Laut die Zähne übereinander, daß sie knirschten. Zugleich erhob er sich aus dem Giftbette; er hatte genug gehört, um vernichtet zu sein. Unbemerkt wollte er sich entfernen, aber das mißlang ihm. Die Hunde des Försters hatten ihn bereits gewittert, schlugen nun heftig an und begannen, umher zu schnuppern. Stephl fing an zu laufen, denn um keinen Preis mochte er sich ertappen lassen; er schämte sich auch, gelauscht zu haben. Der Jägerbursche aber machte sich den Spaß, den schönen großen braunen Hühnerhund des Försters auf den wegeilenden Unbekannten zu hetzen und das Thier setzte ihm nach; aber nach ein paar Minuten drang ein Wehegeheul desselben durch die Nacht.

Franz rief den Hund herein, als er aber nicht kam, eilte der Bursche mit einer Laterne fort, um ihn zu suchen. Ohne Mühe fand er den schönen Kastor, mit einer klaffenden Wunde in der Brust, verendet. Franz wollte um jeden Preis den frevelhaften Thäter kennen lernen und erbittert rannte er deshalb dem Wirthshause zu, um dort Umschau zu halten. Schlau genug aber sprach er von dem geschehenen Frevel kein Wort; denn er wußte gut, daß außerdem jede Entdeckung vereitelt sei, weil die Burschen zusammenhalten, zumal gegenüber einem verhaßten Jäger. Er trat in alle Stuben und betrachtete Den und Jenen, ob er keine besondere Aufregung oder etwa auch Blutspuren an Einem bemerke. Wie zufällig frug er um den Neureiterstephl.

„Oh, der Stephl,“ rief Einer, „der sieht sich heut’ nimmer gleich, er ist ganz vertattert, weil der verliebte Loder[1] sein Dierndl nit gekriegt hat, die Kundl, Deine Schwester, und ’n Stoßring zum Schlag’n, und ’n Dierndl zum Lieben, muß jeder Bua hab’n!“ – „Trink, Jager, wo hast denn heut’ die Kundl? Hast sie doch sonst an Kirchtagen allemal bei Dir im Bierhäusl!“ – „Die Kundl wird heut’ dem Förster die Flöh’ hüten!“ rief jetzt eine kräftige Baßstimme, und eine breite Hand schlug auf des Jägers rechte Schulter, daß er sich unter dem Streiche bog. Als er sich umschaute, ließ er die zur freundlichen Erwiderung schon erhobene Faust wieder sinken, denn zornglühend und hoch in die Brust geworfen stund der Stephl leibhaftig vor ihm, ein Gegner, vor dem Jeder Respect hatte.

Während Franz so dreinschaute, unschlüssig, was er thun und sagen sollte, fiel Stephl’s Rechte auch auf die andere Schulter, und ihm den gefüllten mächtigen Zechkrug[2] vor die Nase haltend, schrie er ihm in’s Ohr: „Nur, damit Du nit einseitig wirst! Trink’, Jagerknecht!“ – Dabei lachte er hell auf und die umstehenden Buben lachten alle mit; der Franz aber mußte zum schlimmen Spiel’ ein gutes Gesicht machen und trinken. Sonst gab’s heut’ Schläge genug, das merkte der in solchen Dingen nicht unerfahrene Waidmann wohl. – „Spielleut’, Spielleut’!“ rief der Stephl, „hierher!“ – Und ohne Zaudern kamen drei Musikanten mit Trompeten und Schwöglpfeife vom Orchester, und nach einer lärmenden Einleitung begann der Neureiterstephl zu singen:

Die Gams auf’n Bergen
Und ’s G’wild umanand,
Die g’hör’n alle Menschen,
’s ist ja bekannt.

Aber ’s sell Evangeli,
Wo man lesen dös ko,
Zieh’n d’ Herrn nimmer füri,
Das wissen wir scho!

Die Jager fürwahrli
Seind prächtige Herrn,
Weil ihnen nit ’s G’wild nur, –
Die Geisen auch g’hör’n.

Und wenn sie kein Gamsbock
Können derjag’n,
So thuen sie um’s Zizzelfleisch[3]
Fleißig umfrag’n.

Ja, d’ Jager, ös Buab’n,
Seind fürnehme Leut’, –
Sie schinden uns Bauern,
Das ist ihre Freud’!

Nach jedem Gesetzl machten die Spielleute einen höllenmäßigen Tusch und jauchzten die Buben durcheinander und der Jägerfranz mußte aus dem dargereichten Kruge trinken, und dazu stieß ihn bald der Eine, bald der Andere, so daß er am ganzen Leibe von Bier triefte. Der kalte Schweiß stund ihm auf der Stirn, er wechselte oft die Farbe und zitterte vor Wuth am ganzen Körper. Und doch mußte er ruhig bleiben, nein, so arg, wie heute, war er sein Lebtag noch nicht eingegangen. Vergebens suchte er wegzukommen, sie umringten ihn immer enger, vergeblich auch spähte er nach Jemand, den er mit der Meldung von seiner Gefahr in’s Forsthaus schicken könnte.

Sonst war Stephl ein zwar lustiger, aber friedlicher Bub’; Jedermann konnte es merken, daß seiner heutigen Aufregung etwas Besonderes zu Grunde liege. Er wurde gar nicht satt, dem Franz Spottreden zu geben, und da er der Angesehenste in der Zeche war, so unterstützten ihn die Andern fleißig in dem Bemühen, den Franz zum Losplatzen zu reizen. Aber alle directen und indirecten Bemühungen, seine Geduld zu schöpfen, wollten nicht verfangen.

Wer die schlichten Gebirgsbuben für Leute geringer Fassungskraft hielte, würde bei solchen Anlässen enttäuscht werden. Sie wußten recht gut, daß Franz nur deshalb ruhig bleibe, weil er sich ohne Gefährten sah. Plötzlich nun ging die falsche Nachricht von Mund zu Mund, der Förster mit vier dasigen und benachbarten Jägern träte eben in’s Bierhaus und würde gleich da sein, auch die Kuni sei bei ihnen. Der Stephl rief: „So macht noch geschwind einen Extrafeinen auf, Spielleut’, frisch!“ Und dann sang er:

„Sag’, Jager, wie thut’s denn Dir da bei uns schmeck’n,
Wie ist Dir, Du geisiger Schütz’[4]
Hast trunk’n schon viel und noch will’s Dir nit kleck’n,
Was macht D’r denn gar so viel Hitz’? –
Die Jager auf d’ Geis’ und auf Dierndln hab’n Schneid,
Ein’m schneidigen Buab’n doch geh’n s’ aus’m Weg weit!“

Wildes Jauchzen folgte der trotzigen Herausforderung, für Franz jedoch war’s nun zu viel, denn schon lang’ hatte er mehr verschluckt, als ein gesunder Jägermazen sonst verträgt. Er hielt es auch wohl für möglich, daß der Förster mit anderen Jägern zum Hagmair gekommen sei. Das half dem sonst trotzigen Muth’ desselben wieder auf die Beine, und so schleuderte er den Zechkrug zu

  1. Bube.
  2. Ein eigenes Trinkgeschirr für die in näherer Verbindung miteinander stehenden Buben.
  3. Ziegenfleisch.
  4. Ziegentödter.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_255.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)