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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 18. 1859.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Auch ein Zopfabschneider.
Keine erfundene Geschichte.

„Der Mensch denkt’s und der Neureiterstephl lenkt’s!“ so pflegten die Dirnen des Grünsteiner Gaues zu sagen; denn der Stephl war weitum der flotteste Bub’, brav und reich, sauber und flink. Der schöne große Hof am Roßanger war das Erbe, das ihm nicht entgehen konnte, weil er der einzige Sohn des alten Neureiter war. Aller Wald am Berg’ hinauf gleich hinter der großen Hauswiese, wohl 200 Joch, und was für Holz! – Leut’, sag’ ich Euch, ein schöneres steht nirgends mehr –, und eine Hochalm und eine Niederalm für 60 Kühe und 40 Geisen, und acht Rosse, und dazu noch aller Boden auf eine Stund’ herum, am Berg’ und im Thal, – es könnt’ ein frischer Bub’ sich müd’ laufen und er lief noch immer auf Neureitergrund, – das Alles erbte einmal der Stephl. Nun kann’s Niemand mehr wundern, daß der Stephl viel galt bei den Dirnen und daß sie sich um ihn rissen, wenn auf der Tenne des Gasthofs „zum lieben Lamm“ von Hagmair, wie der Wirth hieß, die Schwöglpfeife, die Trompete und Geige ertönten und die beflügelten Bergschuhe der frischen Gebirgssöhne in kernigem Taktsprung den dieligen Tanzboden bearbeiteten, daß das ganze Haus bebte.

So flott, wie der Neureiterstephl, zog kein Anderer auf, denn sein Wuchs war eichenmäßig, und blühende Gesundheit saß ihm auf den Wangen und leuchtete ihm aus den blauen Augen. Man hielt ihn für einen Vierundzwanziger und doch streifte er schon an’s Dreißigste. Sein Kamisol von dunkelgrünem Tuch strotzte von Halbkronenknöpfen, der spitze Hut mit den schweren Goldtroddeln und dem üppigen Strauß von brennender Lieb’ oder Almrauschblüthe und dem reichen Federschmucke saß ihm immer keck auf dem viellockigen Blondkopfe. Ein mächtiger blonder Schnauzbart ließ einen Zaun von blendendweißen Zähnen durchblicken. Sein Leibstück[1] von grünem Seidenstoffe war mit Frauenzwanzigern besetzt, an den kurzen ausgenähten gemsledernen Hosen hing ein schweres Uhrgehäng’ mit Geiergewaff’ und Hirschkrönln, ein silbernes Tischbesteck stak in der Tasche und in den grünen Zwickelstrümpfen ein kernfestes Wadenpaar. Den kleinen Finger der Rechten zierte ein schwerer silberner „Fotzring“.[2] Seine Erscheinung zeigte den Sprossen eines urkräftigen Stammes. Dazu sang er wie eine Drossel, und im Juchheruf übertraf den Stephl kein Anderer.

Jetzt begreifst Du, daß er die Seele jeder Tanzbelustigung war, daß die Dirnen mit Eifersucht auf ihn schauten und daß er auch seinen Cameraden Gegenstand der Bewunderung oder des Neides wurde. Oefter, als jeder Andere, bestellte er eine Schaar,[3] und die Spielleute entsprachen seinen Wünschen gern, denn er war kein Knauser und er sparte die Thaler nicht; zum Tanze, den Stephl bestellte, wurde sogleich aufgespielt und wären drei andere vor ihm von Anderen bestellt gewesen.

„Der Mensch denkt’s und der Stephl lenkt’s!“ hieß es also mit Recht.

Sein alter Vater hatte die größte Freud’ am frischen Buben und wehrte ihm nicht, wenn er bei solchen Anlässen ’was Richtiges aufgehen ließ, sondern war stolz auf seinen Stephl und auf sein Geld. Seine Mutter lag seit fünf Jahren im Grabe; er war auch ihr Liebling gewesen.

Heute saß der alte Neureiter daheim hinter’m eichenen Tisch, rauchte seinen Knaster und sann hin und her, wie er noch das und jenes richten werde, ehe er in den Austrag gehe,[4] damit der Stephl nicht einmal sagen könne: „Mein Vater hätt’ das auch besser machen können.“

Erst jüngst war vom fürstlichen Forstamt ein Schreiben an ihn gelangt, welches unter Androhung dreifacher Strafe den Weidetrieb von des Neureiter’s Hochalm in einige fürstliche Waldtheile verbot. Nun verhielt es sich mit jenem Weidetriebe also. Seit Menschengedenken hatte man in jedem Sommer das Almvieh in den jetzt untersagten Forsttheil getrieben, wo eine prächtige Weide war, und nie hatte man einen Schaden für das Holz bemerkt und Jung- und Altholz befanden sich fürtrefflich. Auch war die Holzabfuhr ungemein schwer und sogar sogenannte Holzrutschen konnte man schwer anbringen und erhalten; selbst in schneereichen Wintern war der Schlitten hier nicht anwendbar, weil die Ueberbrückungen von den vielen Schnee- und Sandlanen[5] und Gießbächen alljährlich vernichtet wurden. Hunderte von Tannen und Fichten, mächtiges Schnittholz, welche der Sturm entwurzelt, konnten deshalb nicht weggeführt werden und mußten verfaulen. Die Holzabfuhr erschien, um es kurz zu sagen, als nicht lohnend, ja fast unmöglich.

Trotzdem hatte schon im vorigen Sommer der Neureiter das nämliche Verbot, wie heuer, empfangen, er war ihm aber, auf sein verjährtes Recht sich stützend, nicht nachgekommen und für jedes auf der verbotenen Weide betroffenes Stück Rind oder Geis um einen Reichsthaler gepfändet worden, that in Summa zwanzig Reichsthaler, – für den alten Neureiter eine Kleinigkeit, aber er mochte sie nicht zahlen und hatte sie bis heute nicht gezahlt.

„Sie sollen sich ’s Geld bei mir selber holen,“ sprach er, „das Sünden- und Blutgeld!“

  1. Weste.
  2. Schlagring.
  3. Eine Tour.
  4. Das Anwesen übergeben.
  5. Lawinen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_253.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)