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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

ehe sie in denselben eingeschlossen werden konnten; sie sind Bausteine zum Gebäude des Meteoriten und mußten früher dagewesen sein, als dieser selbst. Sie haben also als kleinere Meteoriten ein älteres Dasein und wir erhalten sie nur in einem späteren eingelagert als Meteoriten in Meteoriten.

Wie aber sollen wir uns die Hergänge hierbei denken? Welchen Weg haben wir einzuschlagen, um aus einem Labyrinthe uns herauszufinden, in das die Himmelssteine uns hier verstricken? Wie uns Licht in dieser Finsterniß, wie Verständniß in diesen Widersprüchen uns verschaffen, ohne in’s Schwankende und Haltlose der Muthmaßung uns zu verlieren? – Versuchen wir es, in rückwärts gehender Zergliederung der uns vorliegenden Thatsachen aufwärts zu klimmen und, den Faden feststehender und sicherer Gesetze der Physik nicht aus der Hand lassend, zu sehen, wie weit der kleine Mensch mit seiner starken Logik und seinem unermüdlichen Fleiße vorwärts zu dringen vermag in der Erkenntniß der Urkräfte des Universums und der Geheimnisse des Weltbaues.

Wir fangen damit an, daß wir alle die Gebilde einzeln aus den Meteoriten heraussondern und sie nach einander unter’s Mikroskop bringen. Da finden wir, daß die Schwefelkiese durchaus krystallinisches Gefüge besitzen; daß die Eisenkörnchen innere Linien darbieten; daß die Kügelchen Blätterdurchgang haben; daß alle die Olivine, die Augite, die Hornblenden u. s. f. durchaus Krystalltextur besitzen, kurz, daß Alles an den Meteoriten von krystallinischer Structur ist; daß durchaus nichts Amorphes (Gestaltloses) in ihnen sich findet; daß die kleinsten und feinsten Theile unter dem Gesetze der Krystallisation ihre Entstehung und Gestaltung erhielten, daß mit einem Worte die Meteoriten ein zusammengesetztes Gebilde der Krystallisationskraft sind.

Damit sind wir um einen großen Schritt weiter. Wir lernen daraus, daß das Gesetz der Kristallbildung, sein Dualismus und seine Polarität, seine Fernwirkung und seine Anziehung, umgekehrt seine Abstoßung und Wahlfähigkeit nicht blos bei uns auf der Erde, sondern weit fort durch das ganze Sonnensystem, so weit die Bahnen der Meteorsteine sich erstrecken, herrschen und über die Bewegung des Stoffes gebieten. Wir erfahren, daß das Krystallisationsgesetz durch das Weltall waltet, so gut wie die Gravitation.

Von da können wir wiederum einen Schritt weiter versuchen. Die Physik lehrt uns, daß kein Körper sich krystallisiren kann, es seien denn zuvor alle seine componirenden Bestandtheile bis in ihre letzten Atome hinaus lose und beweglich. Das eben macht die Grundbedingung der Krystallisation, daß die feinsten Bestandtheile (die Moleküle) der Körper frei beweglich ihrem inneren Antriebe zur Gestaltung ungehindert müssen folgen können. Das aber ist nur möglich, wenn diese Elementartheile von einander unabhängig, ohne Zusammenhang, gelöst und alle einzeln sich selbst überlassen sind. Der ganze Meteorit, alle seine Bestandtheile mußten also, ehe sie zu Krystallen zusammentraten, gelöst und in freier Schwebe gewesen sein, wie der Zucker im Wasser, wie der Wasserdampf in der Luft. – Was konnte aber möglicherweise das Lösungsmittel für die Meteoritenstoffe sein? Es konnte nach unsern geläufigen Begriffen nur ein tropfbarflüssiges oder ein luftförmiges sein, andere existiren unseres Wissens nicht. Tropfbarflüssig konnte es unmöglich sein, man müßte denn die Heimath der Meteoriten für Meere halten, die das Ende der Welt umflössen; das wäre eine Absurdität, die einer Widerlegung nur bei den Bekennern der griechischen Mythologie bedurft hätte. Luftförmig? Was müßte das für eine Luft sein, welche Eisen, Chrom, Kobalt, Mangan, Kupfer, Zinn, Kohle, Schwefel u. s. w. alle durcheinander aufgelöst in sich trüge? Dies widerspricht unseren chemischen Kenntnissen. Und wenn sie wirklich aus wässerigen und gasförmigen Medien sich gebildet hatten, die man sich irgend wo im Räume vorstellig machen wollte, so würden sie aus ihnen nie haben heraustreten können, sie würden nach den Gesetzen der Schwere, die erwiesenermaßen durch das Universum herrschen, in oder bei ihnen haben bleiben müssen. So wenig eine Wolke oder ein Hagelkorn aus unserer Atmosphäre hinaus in die weite Welt fliegen kann, ebensowenig würde ein Meteorit seine Mutterlauge haben verlassen können. Wir würden also in solchen Fällen niemals den Besuch eines Aèrolithen erlebt haben. – Kann nun ein solches Erzeugniß weder aus Wässerigem, noch aus Luftigem sich herausgebildet haben (zu einer erschütterten Wagenachse wird, denke ich. Niemand seine Zuflucht nehmen wollen): woher sollen dann endlich diese Kristallisationen kommen? Die Physik droht uns im Stiche zu lassen. Nur Eins bleibt noch möglich, und das ist, daß die Atome der Meteoritenbestandtheile aus gar keinem Medium kommen, daß sie in ihrem dunkeln Ursprünge für sich selbst lose und frei waren, daß alle ihre Substanz im Gaszustände sich befand, daß die Atome frei im Welträume schwebten. Das ist nicht nur nicht unmöglich, sondern wir wissen in der That, daß die meisten Körper sich in Gaszustand versetzen lassen, ja, daß es gar nicht sehr schwierig ist, das Eisen selbst zu gasificiren. Daß die Welt etwas wie Anfang gehabt haben muß, das sehen wir daran, daß sie einen Fortgang hat. Die Paläontologie (Urweltkunde) lehrt uns, daß sie einen Entwickelungsgang nimmt. Es mußten Pflanzen da sein, ehe Thiere leben konnten; es mußten Thiere da sein, ehe der Mensch leben konnte; sehr spät erst kommt er in der Schöpfung zum Vorscheine. Rückwärts blickend, sehen wir die feste Welt mit Krystallen beginnen, und damit diese Krystalle sich bilden konnten, mußte ein Stoffzustand vorangegangen sein, in welchem alles Ding gasförmig war. Hier beginnt für uns die Welt; weiter zurück wird menschliches Forschen nie mehr dringen können. Aber auf dieser Höhe kommen wir mit Consequenz an; wir verlassen keinen Augenblick den Codex der Physik und bis hierher gehen wir sicheren Schrittes an der Hand logischer Analyse.

Nun laßt uns umkehren, laßt uns auf dem Wege wissenschaftlicher Begriffsverknüpfungen unser Ziel in’s Auge fassen! Mit Atomen, in unermeßliche Räume vertheilt, müssen wir nach physikalischen Gesetzen das All als beginnend uns denken. So ungefähr, nur vor siebzig Jahren mit weniger Klarheit, dachte es sich einer unserer scharfsinnigsten Denker, der große Laplace; er sprach unbestimmt von Nebeln, er kannte noch nicht unsere jetzt so vollendet entwickelten Lehren von den Atomen. An uns ist es nun, mit den neuen wissenschaftlichen Hülfsmitteln seine Vorstellungen zu verkörpern und sie zu Gedanken auszubauen. Was diesen Gaszustand alles Stoffes bedingte, das wissen wir freilich nicht. Das Princip der Abstoßung und Ausdehnung, das im Urzustände geherrscht haben muß, muß langsam von ihm gewichen sein und die Anziehung, die Vereinigung, die Kristallisation ihren Anfang genommen haben; das Werden der Dinge begann: kleine Körperchen gestalteten sich, die krystallisirend aneinander anschlossen[WS 1], wie wir dies täglich in unseren Werkstätten selbst erzeugen. Ja, ein recht gut zutreffendes Beispiel haben wir hier in Deutschland den ganzen Winter vor uns. Das in der klaren Luft befindliche Wassergas ist darin schwebend und unsichtbar. Die Bedingungen des losen Zustandes seiner Moleküle werden langsam aufgehoben und allmählich werden sie fest, schließen sich krystallisirend aneinander an und aus reinen Gaszuständen entwickeln sich kleine Wasserkrystalle, – es bildet sich Schnee. Wirkte keine Schwere auf ihn, keine Anziehung von Seiten der Erde her, so bliebe er in dem Räume schweben, in welchem er sich erzeugte, und bildete einen großen Schwarm von Eiskrystallen. Er wird aber heruntergezogen und bildet eine geologische Formation, ein Schneelager. Ganz in ähnlicher Weise denken wir uns die ersten Bildungen fester Körper. Kleine Krystallchen von Eisen, Nickeleisen, Schwefeleisen, Chromeisen, von Olivin, Augit, Hornblende, von Feldspath, Anorthit, Albit, Oligoklas haben sich zusammengethan. Milliarden haben sich so aus den Atomen und Moleküle herausgebildet, und da keine Schwere sie unter ihr Gebot nahm, wie es bei uns dem Schnee widerfährt, so blieben sie beisammen und existirten als ungeheure Schwärme fort.

Was mag nun aus ihnen geworden sein? Alle großen Weltkörper sehen wir in Bewegung, Wie das kommt, wer und was sie in Bewegung setzte, davon wissen wir freilich wenig. Allein so wie die festen Gestirnmassen, so müssen auch unsere Krystallschwärme in Bewegung gesetzt worden sein. Sie werden also, wie Alles, was am Himmel lebt, ihre rastlose Wanderung haben antreten müssen und unter das Machtgebot irgend eines großen Weltkörpers, eines Kolosses von einem Fixsterne gerathen sein, dem sie unterthan wurden. Auf diese Weise müssen ungeheuere Schwärme am Himmel herumziehen, die in vorgeschriebenen Bahnen sich bewegen.

(Schluß folgt.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: anschossen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_250.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2023)