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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

die eine Patrone mit Flanell-Futteral hinein, auf diese wird der viereckige Eisenblock, durch welchen das Zündloch in einem stumpfen Winkel läuft, wieder festgerammt. Das Zündloch in dem Blocke endigt in eine Kupferscheibe mit Höhlung, unmittelbar vor dem Blocke angebracht. In diese Höhlung wird eine andere kleine Patrone gesteckt, die blos den Zweck hat, die große inwendig zu entzünden, da diese wegen des winkeligen Zündloches nicht direct getroffen werden kann. Deshalb sind auch zwei Zünder nöthig, deren chemische Composition noch als Geheimniß bezeichnet ward. Die Bombe oder Kugel ist ein Cylinder, hinten eiförmig, vorn mit einem Zünder im Maule, von bleiernen Bändern umgeben, die bei der Entladung so ausgequetscht werden, daß sie das ganze Geschoß mit einer Bleidecke umgeben. Die Armstrong-Kanone ist bei aller schweren Bedeutung im Zerstören ungeheuer leicht. Zwei Männer können die kleinere Sorte tragen. Man will damit in einer Entfernung von fünf Meilen sechs Fuß tief in eine Reihe hintereinander aufgeschichteter Eichenbreter geschossen haben. Nach der Erklärung des Kriegsministers im Unterhause schleuderte man mit fünf Pfund Pulver eine 32 pfündige Bombe fünf Meilen weit genau in das bestimmte Ziel. Dies kann man auch, nach einem Patente Armstrong’s, in dickster Nacht, also blindlings, sicher treffen.

Sir W. Armstrong, viele Jahre gewöhnlicher Ingenieur in Newcastle, ist wegen seiner Kanone bereits geadelt und der Königin vorgestellt worden. – Wegen Erfindung eines Lebensrettungsmittels wird Niemand unter die Edeln erhoben. Leben retten kann ja jeder gewöhnliche Doctor. Sir Armstrong ist auch Haupt-Ingenieur der neuen Regierungs-Rifle-Kanonen-Fabrik in Newcastle, wo das Princip seiner Erfindung in großen Kanonen weiter ausgeführt werden soll.

Früher mit ihm geschäftlich Verbundene entzweiten sich, weil sie über den Gewinn nicht einig werden konnten, und verkauften die Armstrong’sche Erfindung auf eigene Rechnung an Frankreich und Amerika. Die Russen, die immer Sachverständige in aller Welt haben, sind umsonst dahinter gekommen.

Vielleicht haben aber die englischen Kriegswerkstätten doch noch manch Geheimniß für sich, wie die anderer Potentaten die ihrigen. Hier ist wenigstens eine Liste der merkwürdigsten und fürchterlichsten:

Neue Stahlkanone von Shortridge; Parke’s neues, sechsfach (?) das gewöhnliche übertreffende Schießpulver; Longridge’s gußeiserne, drahtumschmiedete Kanone; Lawrence’s „Bombenmischung“; Forrester’s Mörser von canadischem Holzkohlen-Eisen; Disney’s „infernale Flüssigkeit“, die, aus Bomben spritzend, Alles umher in Brand steckt; Capitän Norton’s „Flüssig-Feuer-Rifle-Bombe“ (Phosphor in Schwefelkohle aufgelöst u. s. w.), die beim Probiren auf Shoebury-Neß ganz durchnäßte Wollsäcke in Brand steckte, und mit welcher der Erfinder jedes Linienschiff unlöschbar in Flammen aufzulösen verspricht; Dundonald’s seit fünfzig Jahren geheimnißvoll besprochener und jetzt ausgeführter „Devastator“, der das Motto verwirklichen will: „Es muß Allens verrungenirt werden“; Wade’s „Congreve-Raketen-Bomben-Drache“, bestehend aus Platzbombe mit je ein Dutzend daran gebundenen Congreve-Raketen; Robert’s Mörserschiff, schwimmende Batterieen von Eisen; Norton’s Bomben, die ohne Kanone oder Mörser von Congreve-Raketen unter die Feinde geschossen werden; Boxer’s Zünder für Bomben, jeder mit 400 Kugeln; Shaw’s Rifle-Batterie, die mit einem Druck des Fingers 1000 und mehr Gewehre abfeuert; Mackintosh’s Stinkflüssigkeit, auf das Meer für die feindliche Flotte auszugießen und diese damit zu ersticken. Ist’s genug der Erfindungen christlicher Liebe für unsere Mitbrüder? Wir haben vorläufig genug, aber die Kriegsverständigen arbeiten noch Tag und Nacht an deren Vermehrung und Verfürchterlichung.

Die Versuche und Proben neuer Mordinstrumente während der letzten fünf Jahre haben in Woolwich und Shoebury-Neß allein über neun Millionen Pfund Sterling gekostet. Sie wurden größtentheils in Versuchen des Riesigen und Kolossalen verplatzt. Die „Lancaster-Oval-Kanone“ sollte Sebastopol und sogar Kronstadt zertrümmern. Man machte solche Kanonen mit Eifer und Bomben dazu à 30 Pfund Sterling. Die Kanonen platzten aber größtentheils bei erster Probe, und die, welche hielten, spieen die Bomben in höchst bedenklichen Richtungen aus, so daß man mit ein paarmal hunderttausend Pfund verunglückten Versuchen sich einstweilen für zufrieden erklärte. Jetzt regnete es neue Erfindungen: gußeiserne, schmiedeeiserne, gerifelte, glatte, ovale, hinten geladene, von der Seite geladene Kanonen, runde, ovale, eiförmige, cylindrische, spitzige Kugeln und Bomben. Wir erwähnen nur einige Ausführungen derselben und deren Schicksal.

Der Ingenieur Nasmyth, Erfinder des weltberühmten Dampfhammers, erbot sich, ungeheuere Kanonen mit seinem Hammer zu schmieden, damit uns ein andermal irgend ein Sebastopol nicht so lange aufhalte. Die Regierung gab ihm Geld und er fing nun mit seinem Achtzig-Centner-Dampfhammer an, 8 Fuß lange und 4 Fuß dicke Eisenmassen zusammen zu schmieden, in welche dann ein Loch gebohrt ward. Nachdem die Masse außen gedrechselt und polirt war, lag die erste schmiedeeiserne Kanone da. Man schleppte sie mit ungeheurer Anstrengung von Pferde-, Dampf- und Hebelkräften nach Shoebury-Neß, lud sie mit einer zehn Centner schweren Halbkugel (auch Erfindung) und schmetterte sie in alle Winde, nämlich die ganze Kanone. Es ergab sich, daß beim Schmieden der ungeheueren Masse ein Theil des Eisens crystallinisch, also von leichterer Textur geworden war. Einige Nasmyth-Kanonen hielten zwar hernach, aber die ganze Sache ist für ein paar hundertausend Pfund aufgegeben.

Das Monstrum der Mersey-Eisen-Compagnie, 15 Fuß lang, 44 Zoll Durchmesser, auch geschmiedet, 480 Centner schwer, zerschmetterte mit einer 300pfündigen Kugel dicke Eisen- und Balkenmassen, kostete aber 3000 Pfund, so daß man für diesen Preis kein zweites schmieden ließ. Der „Palmerston-Mörser“ von 36 Zoll Bohr, aus Schmiedeeisen-Reifen, 9 Zoll breit und 3½ Zoll dick zusammengehämmert und mit 520pfündigen Bomben einer Compagnie geladen, flog beim ersten Versuche in tausend Stücke.

Eine schmiedeeiserne Bombe, von Mr. Britten erfunden und gemacht, sollte mit der Hälfte Pulver noch einmal so weit gehen, als die gewöhnlichen. Versuche in Shoebury-Neß sollen gelungen, aber die weitere Ausführung der Erfindung aufgegeben worden sein.

Die Polygonal-Rifle-Kanonen des Manchester Ingenieurs Whitworth, neunkantig inwendig, aus einzelnen Winkelstückchen zusammengesetzt und dann mit Schmiedeeisenringen gebunden, barsten auch größtentheils, wenn auch erst bei der vierten bis neunten Abprotzung.

Die „Vierviertel-Cylinder-Schmiedeeisen-Kanonen“ des Ingenieurs Dundas waren ein Triumph, aber nur in der Theorie. Jede kostete mehr, als ein mit Gold beladener Esel, durch welchen man nach Alexander dem Großen auf eine minder gefährliche Weise Festungen einnehmen kann.

Auch kam einmal die Stahlkanone des Herrn Krupp[WS 1] aus Essen am Rhein nach Shoebury-Neß, von der Regierung für 1500 Pfund angekauft: inwendig von Stahl und mit einer Gußeisenjacke bedeckt, 180 Centner schwer. Man lud sie mit einer konischen Bombe, 260 Pfund schwer, und – protzte das Ganze in die Schöpfung hinein. Stahl und Eisen, Alles lag in kleinen Stücken umher.

Das sind einige Andeutungen aus der kanonischen Abtheilung. Dabei haben wir an die sieben Meilen langen Dampfräderschafte zu denken, die in Woolwich Tag und Nacht drehen, bohren, hämmern, gießen, schmieden und in einem Jahre Mordgewalt für jedes einzelne Individuum der jetzt lebenden Menschheit schaffen können.

Wir ahnen nun, wie mörderisch, wie wissenschaftlich gründlich und satanisch ein nächster Krieg ausfallen würde. Es sieht beinahe aus, als müßten die feindlichen Heere im Felde oder auf dem Wasser gegen einander rücken, irgendwie mit einem Fingerdruck etwas loslassen, sich damit plötzlich gegenseitig vernichten und dann Frieden schließen. Die Soldaten liegen nach einer halben Stunde größtentheils alle zerrissen und zerschmettert, die Feldherren setzen sich einen Lorbeerkranz auf den Kopf, und reiten durch Ehrenpforten und weißgekleidete Jungfrauen nach Hause zum Festessen.

Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt, aber auch umgekehrt, wie man just schreitet. Das fürchterliche, wissenschaftlich ausgebildete Verderben, das Alle in Kriegsbereitschaft haben, nimmt dem Kriege vielleicht just seine Schrecken: man führt am Ende gar keinen Krieg mehr, oder der ausgebrochene endet mit einer Schlacht und doppelten Niederlage. Hoffen wir, daß die höchste wissenschaftliche Bosheit der Vernichtungs-Industrie gerade in ihrer Spitze abbrechen und sich in sich selbst auflösen werde.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Krapp
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_246.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2023)