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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Bundespflicht zu entbinden. Die Bevölkerung aller drei Städte und Staaten würde, so weit sie militairpflichtig ist, sich weit besser zum See-, als zum Landdienste eignen, und wir sind fest überzeugt, daß sich mit ihr eine Anzahl von Kriegsschiffen bemannen ließe, die genügend wäre, die deutsche Handelsmarine allerwärts zu schützen, wo sie des Schutzes bedürfte, und der deutschen Nation als solcher gebührend Respect zu verschaffen. Alle seefahrenden Nationen kennen und achten den deutschen Seemann, dessen Trefflichkeit über alles Lob erhaben ist. Keine andere Nation, die englische nicht einmal ausgenommen, thut es ihm zuvor in Ausdauer, Ruhe, Besonnenheit und entschlossenem Wagen. Darum würde eine deutsche Kriegsmarine, die sich aus Seeangeborenen recrutirte, sich in sehr kurzer Zeit mit jedem übermüthigen Gegner auch auf dem Meere messen können.

Was uns in dieser Hinsicht die nahe oder ferne Zukunft etwa bringen mag, wer kann so kühn sein, dies jetzt schon bestimmen zu wollen? Die Verhältnisse können auch hier Vieles rascher ändern und zeitigen, als man hoffen darf. Bis dies geschieht, wollen wir uns wenigstens des Thatsächlichen freuen, und hier tritt uns eine Erscheinung entgegen, die uns erhebt, die unsern Muth stählt, und die wir deshalb so hoch schätzen, weil sie dem Schooße des freien deutschen Bürgerthums entkeimt ist. Wir meinen das Wachsen der deutschen Handelsmarine, die patriotischen Unternehmungen namentlich der hansischen Schwesterstädte Bremen und Hamburg, ihre Flaggen öfter denn je auf dem großen Ocean wehen zu lassen und die deutsche Post- und Packetschifffahrt frei von allem fremden Einflusse zu machen.

Es ist dies ein Fortschritt von unberechenbarer Wichtigkeit. Durch die Begründung und Eröffnung der beiden großen oceanischen Dampfschifffahrtslinien, welche der Bürgersinn Bremens und Hamburgs schuf, und durch die das gesammte Deutschland direct mit der großen nordamerikanischen Union in directen und zwar regelmäßigen Verkehr getreten ist, fängt der Deutsche erst wieder an heimisch zu werden auf dem Weltmeere. Die „Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actiengesellschaft“, die außer ihren fünf imposanten eisernen Schraubendampfern, deren jeder 400 Pferdekraft besitzt, auch noch eine Anzahl Segelschiffe stets in Activität erhält, und der Bremer „Norddeutsche Lloyd“ sind Unternehmungen von großer Tragweite. Beide sagen dem Auslande, daß die Deutschen gewillt sind, nach und nach eine gebietende Stellung unter den seefahrenden Nationen einzunehmen, und finden sie im Gemeinsinn ihrer stammverwandten Brüder nur die Unterstützung, welche beiden Unternehmungen gebührt, so wird man alsbald auch an den Küsten der neuen Welt mit größerer Achtung von uns sprechen.

Diese Betrachtungen drängten sich uns bei einem Besuche auf, den wir vor einiger Zeit Bremerhaven abstatteten. Der Name dieses noch nicht dreißig Jahre existirenden Ortes ist auch den Bewohnern des Binnenlandes bekannt und geläufig. Hamburg und Bremen, Cuxhaven und Bremerhaven sind Namen, die Jeder, auch der Ungebildete, in stiller Gebirgseinsamkeit Lebende hört oder liest. Nach einem dieser Orte bricht ja der Unzufriedene, gelockt von dem blendenden Schimmer der fernen Goldländer oder gerufen von vorangegangenen Freunden, die ein seltener Glücksstern leitete, auf, um sich nach den Gestaden der neuen Welt einzuschiffen. Jener Exodus von Hunderttausenden, der seit ein paar Decennien namentlich aus den deutschen Binnenländern sich nach den beiden Handelsemporien an der Elbe und Weser ergießt, macht die Hafenorte beider Seestädte so bekannt im Innern Deutschlands. Hier erblicken alljährlich Tausende zum ersten Male ein Seeschiff, hier ruht das erstaunte Auge befangen, voll banger Ahnungen auf dem schäumenden Strome, der seine grauen Wogen brandend gegen das Ufer rollt. Der Athem des Meeres weht sie hier an, und so weit beim Anblick der unübersehbaren Wassermasse das Herz Vieler werden mag, Manchem dürfte es auch vor Bangigkeit stärker schlagen, als zuvor.

In der alten Welt gehören schnell wachsende Städte zu den Seltenheiten. Orte älteren Ursprungs vergrößern sich wohl in entsprechender Weise, wenn die Verkehrsverhältnisse ihnen günstig waren, neu entstandene Ortschaften haben dagegen fast immer lange zu kämpfen, ehe sie sich eine gewisse Bedeutung erringen. Eine Ausnahme hiervon macht Bremerhaven, dessen Entstehung in das Jahr 1830 zurückdatirt, und das gegenwärtig nicht blos eine schöne, sondern auch eine sehr belebte Seestadt bildet, die noch täglich wächst, und der ohne Frage eine sehr bedeutende Zukunft bevorsteht.

Bekanntlich liegt die Mutterstadt dieses Ortes, das alte berühmte Bremen, zu tief im Lande, um Seeschiffe im Stadthafen einlaufen zu sehen. Eine Seehandelsstadt von Bremens Bedeutung mußte diesen Uebelstand stets schmerzlich empfinden, und derselbe mußte sich ihr desto unerträglicher gestalten, je größer die Fortschritte des Schiffsverkehres durch die zweckmäßigere Bauart der Schiffe wurden. Vegesack lag zwar nahe und auf Bremer Gebiet, aber auch hier fehlte der Weser noch die erforderliche Tiefe, um großen Schiffen das Aussegeln im Strome bis dahin zu gestatten. Einen passenden Platz zur Anlegung eines wirklichen Hafens für tiefgehende Seeschiffe bot erst die Mündung der Geeste in die Weser. Bis soweit aber erstreckte sich nicht das Territorium der alten Hansestadt. Der silberne Schlüssel im rothen Felde konnte wohl an der Gaffel vorüberziehender Schiffe wehen, an einem Flaggenstocke auf festem Lande durften ihn die Bremer nicht aufhissen. Das flache Land an der Geeste stand unter der Botmäßigkeit Hannovers, das ein Fort daselbst erbaut und mit Kanonen schweren Calibers besetzt hat, welche das Fahrwasser des sich bereits verbreiternden Stromes bequem bestreichen können.

Einer der bedeutendsten Bürger Bremens, hervorragend durch Geist, Bildung und praktischen Blick, der im Jahre 1857 verstorbene Bürgermeister Smidt, von vielen seiner Mitbürger Vater Smidt genannt, erwarb sich vorzugsweise das Verdienst, das so wichtige Stück Land an der Mündung der Geeste seiner Vaterstadt zuzuwenden. Seinem diplomatischen Talent gelang es schon 1827, Hannover zur Abtretung eines Gebietstheiles an der Weser und Geeste an die unternehmende Handelsstadt zu bewegen, und hier wurde die neue Hafenstadt nebst den wichtigen dem Handel und der Seeschifffahrt dienenden großartigen Anlagen erbaut.

Der Ort blühte alsbald auf, breite, regelmäßige Straßen, wohnliche, zum Theil stattliche Gebäude entstanden in Menge, und so wuchs Bremerhaven dergestalt, daß man die Zahl seiner jetzigen Einwohner – ohne die ansehnliche Menge der Fremden – schon auf 6000 schätzt. Drei kurze Jahre nach erfolgtem Ankaufe genügten, den mit nicht geringen Schwierigkeiten verbundenen Hafenbau zu beendigen, so daß derselbe 1830 bereits Seeschiffe aufnehmen konnte. Dieser Hafen, einer der zweckmäßigsten und gesichertsten an den flachen Ufern der Nordsee, zerfällt eigentlich in drei besondere Häfen, von denen das neue Bassin, mit besonderem Eingange, die größten und tiefgehendsten Seeschiffe aufnehmen kann, der Außen- und Binnenhafen aber für kleinere Schiffe von geringerem Tiefgange, so wie für die eigentlichen Weserkähne bestimmt ist.

Ein sehenswerthes Bauwerk bietet namentlich die große Schleuße dar mit ihren kolossalen zwei Paar Fluth- und Ebbethüren, die je nach Bedürfniß sich öffnen und schließen, eine sogenannte Fächerschleuße. Ihre ganze Länge beträgt 285 Fuß, die des eigentlichen Schleußenbassins allein 141 Fuß. Der Binnenhafen besitzt eine Länge von 2600 Fuß bei einer Breite von 216 Fuß. Diese räumliche Ausdehnung gewährt mindestens vierzig großen Schiffen Platz zu bequemem Anlegen, ohne den Verkehr hin- und wiedersegelnder Fahrzeuge im Hafen selbst zu behindern. Es herrscht hier Jahr aus, Jahr ein, so lange die Schifffahrt nicht durch strenges Frostwelter unterbrochen wird, ein ungemein reges Leben. Schiffe aller Größen und von der verschiedensten Bauart kommen und gehen, bald mit im Winde sich blähenden Segeln, bald von keuchenden Dampfern geschleppt. Schraubendampfschiffe neuester Construction, deren schwarze Riesenleiber mit ihren im Verhältniß zu den schlanken Masten nur kurzen Schloten alle anderen, auch die größten Segelfahrzeuge überragen, fesseln das Auge des Fremden und sind namentlich ein Gegenstand der Bewunderung für die gewöhnlich bedeutende Anzahl Auswanderer, welche auf kleineren Schiffen von Bremen herabkommen, um in Bremerhaven an Bord der Packetschiffe zu gehen, die sie den Orten ihrer Bestimmung zuführen sollen.

Zum großen Theile hat Bremerhaven sein rasches Gedeihen und den Wohlstand seiner Bevölkerung der Auswanderung zu verdanken. Kein anderer deutscher Hafenplatz zeigte sich regsamer und sorgte so früh für prompte und sichere Ueberfahrt auswandernder deutscher Brüder. Den Bremer Rhedern bleibt der Ruhm unbenommen, daß sie es zuerst waren, die auf möglichste Sicherheit Auswanderungslustiger Bedacht nahmen. Ihre gut eingerichteten Schiffe machten der über England geleiteten und meistentheils durch Agenten betriebenen Auswanderung, die wieder mit amerikanischen Gesellschaften in Verbindung standen, Concurrenz, Es ward dadurch

für alle Auswanderer ein wesentlicher Vortheil erreicht, da die Bremer

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