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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

auf mich ein. Ich kann das an Thieren nicht leiden, geschweige an der hoffnungsvollen männlichen Jugend des Vaterlandes. Schon die Uniformirung der Schnepfenthäler Zöglinge in rothen Jacken ist mir zuwider.“

„Es liegt gar nicht in meiner Absicht, Dich in die Erziehungsanstalt zu führen, obgleich ein köstliches, heimliches Plätzchen, das ich mit Dir aufsuchen will, in sehr naher und enger Beziehung zu ihr steht. Ich darf Dir versprechen, daß jenes Plätzchen voll der von Dir gesuchten Poesie ist. Und das trauliche Plätzchen ist nah, dort im Walde auf der sanften Anhöhe, über die sich die beiden zusammenhängenden Dörfchen Schnepfenthal und Rödchen hinziehen.“

Otto folgte dem Freunde.

„Diese Gegend des thüringer Landes,“ fuhr Bernhard im Weitergehen auf der schmucken Chaussee, die am Fuße des Geizenberges hinläuft, fort, „ist vor allen Ländern Deutschlands reich an Culturstätten; ich pflege sie mit einem dem Pflanzenreiche entnommenen Worte Knotenpunkte der Geistesentwickelung zu nennen. Es sind dies die gesegneten Localitäten, wo der heilige Geist der Menschheit oder, wenn Du lieber willst, des Deutschthums, sich offenbarte, um ringend und strebend, wie es seine Art ist, sich weiter zu entwickeln, zu wachsen in die Tiefe und Höhe und sich räumlich auszubreiten.

Der Schnepfenthaler Friedhof.[1]

„Nur kurz sei an die nahe Wartburg als wichtige Culturstätte des Mittelalters erinnert. Luther’s Stamm- und Zeugungsort Möhra, wo sein ehernes Standbild jetzt leuchtet, finden wir am südlichen Abhang des Gebirgs, nur wenige Stunden von hier; seine ersten Bildungsstätten, Eisenach und Erfurt, liegen uns westlich und östlich nur in geringer Entfernung. Dazwischen Gotha, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein glänzender Knotenpunkt des Geistes, und jenseits Erfurt, das einst eine der trefflichsten Hochschulen besaß, steht Weimars erhabenes Gestirn am deutschen Geisteshimmel. Eine Stunde nördlich von hier findest Du das ehemalige Lustschloß Friedrichswerth, den Lieblingssitz der herrlichen Herzogin Louise Dorothea von Gotha, wo alle Geistesblüthen der französischen Literatur dufteten, und dicht dabei liegt das alte Dorf Sonneborn, und in seiner Mitte das stattliche Gutshaus, in welchem der Dichter Thümmel zu Ende des vorigen und zu Anfang unseres Jahrhunders seinen berühmten Roman „Reise in die mittägigen Provinzen von Frankreich“ schrieb. Und so war auch die Erziehungsanstalt Schnepfenthal ein Pflanzgarten der Geistescultur und Humanität, was Du auch mit Andern gegen die eigenthümliche Gestaltung ihrer Formen einwenden magst, und die treuen, strebsamen und wahrhaftigen Sonnenpriester, die edlen Männer, die da eng verbunden zusammenstanden und als Lehrer, Erzieher und Schriftsteller an der Anstalt wirkten, haben jeder auf seine Weise redlich und unermüdlich das Gute, Wahre und Schöne nach Kräften gefördert und des Segens genug verbreitet, so daß es uns zukommt, ihrem Andenken eine dankbare Verehrung zu weihen, wenn auch der Geistesstrahl der Idee, welche die Anstalt in’s Leben rief, nicht mit der vollen Reinheit, Frische und Wärme, die wir wünschen möchten, zur Erscheinung kam. Aber, mein Freund, ist es nicht das Schicksal jeder großen Idee, daß sie nicht in ihrer reinen Vollkommenheit sich verkörpern kann? Enthält doch die Idee selbst das Göttliche und Ewige, aus dem sie hervorquillt,

  1. Die berühmte Erziehungsanstalt feierte vor einigen Wochen ihr 75jähriges Jubiläum, wozu von allen Seiten Freunde und ehemalige Zöglinge derselben herbeigeeilt waren. Wie wir hören, erfreut sich das Institut seit 1848, in welchem Jahre der jüngere Ausfeld dasselbe übernahm, eines bedeutenden Aufschwunges.   D. Redact.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_213.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2023)