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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

brauste eine große Heerde prächtiger Trappen dahin und senkte sich, vollkommen in Sicht, ein paar tausend Schritte weiter. Und jetzt hoben sich überall, nah und fern, die spitzen, lauschenden Köpfe der stattlichen Vögel über die Halme empor, viele Hunderte konnte man mit einem Rundblick gewahren. Gerechter St. Hubertus, und ich hatte keine Büchse! Vor ungeduldiger Aufregung vermochte ich kaum im Wagen sitzen zu bleiben. Ich gedachte der Trappenjagd im lieben Vaterland, wie man da lange vor Sonnenaufgang hinaus und Viertelstunden lang geduldig wie ein Fuchs zwischen Saaten und Kartoffelzeilen dahin kriechen muß, um das überaus scheue und seltene Hochwild, das in Deutschland von Jahr zu Jahr mehr verschwindet, zu beschleichen, und wie doch am Ende alle Mühe, alle Anstrengung vergeblich ist. Hier war es anders, die Thiere schienen vorsichtig, aber wenig scheu, oft ließen sie den Wagen bis auf zwanzig Schritte herankommen, ehe sie aufflogen. Es ist ein weit verbreiteter Irrthum, daß die Trappe eines Anlaufs bedürfe, ehe sie sich zum Flug zu erheben vermöchte; ich habe hundertmal gesehen, wie sie sich, erschreckt, augenblicklich in die Luft wirft, und diese sehr kräftig und rasch durchschneidet. Die Zahl der in den Saaten hausenden Trappen war eine außerordentliche und es ist bei ihrer Größe und Schwere leicht begreiflich, welchen ungemeinen Schaden sie thun. So sehr man dies auch einsieht, so ist man doch eines Theils daran gewöhnt, andern Theils spendet die Natur hier ihre Gaben in so reicher Fülle, daß man sich nicht die Mühe gibt, dem Uebel eifrig Einhalt zu thun.

Also ein Paradies für Jäger! Wäre es uns doch beinahe gelungen, eine junge Trappgans lebendig zu fangen. Dicht vor den Pferden lief das verwirrte, tölpische Ding quer über den Weg,

„Fangt sie!“ rief mein Begleiter, der die Zügel führte; mit einem Satz war ich vom Wagen, der uns zur Seite reitende Verwalter vom Pferde, und wir hätten sie ganz gewiß erhascht – denn sie hatte noch einen Monat Zeit bis zur vollkommenen Flugfertigkeit – aber der schöne Weizen dauerte uns denn doch zu sehr, als daß wir nicht bald, trotz der nachgerufenen Anfeuerung des Besitzers, von der athemkostenden Hetze abgelassen hatten. Aber kaum zurückgekehrt, ging es an die Auswahl einer Flinte unter den vorhandenen, sehr übel behandelten Waffen des Landsitzes; dann mußte sie geputzt, probirt, Schrot zusammengesucht und Patronen gemacht werden, denn eine Trappe wollte und mußte ich schießen. Daheim war mir’s, trotz öfterer Versuche, niemals gelungen.

Der nächste Tag war ein Sonntag. Frühzeitig am Morgen schon machte ich mich ganz allein, ohne Jemand ein Wort zu sagen; weil ich große Begleitung fürchtete, auf den Weg hinaus in die Steppe. Es war ein prachtvoller, aber heißer Tag, zu Allem eher geeignet, wie zu einem Pürschgang, Allein der erwachte Jagdeifer ließ mich Alles vergessen, selbst, daß ich auf’s Gerathewohl in die weite Oede wanderte, wo kein Markzeichen vor dem Verirren schützt. Die Entfernung bis zu den Getreidefeldern, wo ich mein edles Wild vermuthen konnte, war groß; ziemlich ermüdet und von der Sonnengluth gedrückt, erreichte ich endlich das Revier. Der Weizen war zum großen Theil abgebracht und stand in Mandeln. Vorsichtig schlich ich von einer zur andern, um das Terrain zu recognosciren, Plötzlich gewahrte ich die Trappen. Etwa tausend Schritte feldein äßte sich eine große Heerde, sorglos, als wisse sie, daß heut ein Tag des Friedens sei, zwischen den aufgethürmten Getreidehaufen. Vor allen Dingen suchte ich jetzt das plötzlich eingetretene Fieber, das sich mit hämmerndem Herzklopfen bemerkbar machte, zu bewältigen; es gelang mir nicht ganz, obgleich ich ein ziemlich versuchter Jäger bin. Alsdann begann ich das Anschleichen, den Wind brauchte ich nicht zu berücksichtigen, denn die Luft war vollkommen still. An der Erde hinkriechend, jeden höheren Stoppelbusch, jede vergessene Distel als Deckung benutzend, unbeweglich, so lange ich die Hälse der Trappen verdächtig emporgereckt wähnte, schob ich mich von Mandel zu Mandel. Langsam aber sicher rückte ich dem Wilde näher, die peinigende Ungeduld mit Mühe bezähmend. So war ich vielleicht auf hundert Schritte hinzugekommen, mit äußerster Behutsamkeit spähte ich hinter meinem Versteck hervor nach den stattlichen Vögeln, bis zu welchen die kurzen Rohre meiner Doppelflinte nicht reichten –, denn ich will es gestehen, daß ich, allem Waidmannsbrauch entgegen, Schrot führte und nicht die edle Kugel, die solchem Wild gebührt. Die Trappen gingen träg und anscheinend arglos hin und her, zuweilen ein Korn vom Boden aufpickend, dann wieder die Köpfe hoch emporstreckend, um zu sichern; ein gutes Geschick schien sie auf ihrer Promenade meinem Stand entgegen zu führen. Ein alter, gravitätischer Hahn mit gewaltigem Schnurrbart à la Haynau schritt dem Volke voran; er war ihm nicht blos Führer, sondern auch Wächter. Eben, als ich wiederum nur mit dem halben Auge vorlugte, um die noch übrige Entfernung prüfend zu messen, blieb er plötzlich stehen – offenbar sah oder witterte der erfahrene Schelm etwas Ungehöriges. Und richtig, ich war verrathen – denn plötzlich breitete das ganze Geschwader, wie auf ein gegebenes Zeichen, die Fittige aus, und dahin flohen die scheuen Vögel und ließen mir ein ärgerliches Nachsehen. Was half es, daß ich sie in nicht großer Weite wieder einfallen sah? Zwar versuchte ich, indem ich einen Haken schlug, ein abermaliges Beschleichen, aber es mißlang noch weit schneller, als das erste; denn einmal erschreckt, ist die Trappe das vorsichtigste Wild, welches es gibt, und auch dem geduldigsten Schützen wird es dann nicht mehr gelingen sie zu berücken.

Schwer verdrossen, wanderte ich einer anderen Richtung der Steppe zu. Die Sonne brannte nunmehr scheitelrecht herab und mit jedem Schritte stieg die Schale der Jagdlust höher gegenüber derjenigen der Erinnerung an das kühle Gemach und den köstlichen Trunk des eisgekühlten Quaß, die mich erwarteten. Ich wandte mich zur Rückkehr; da kam quer über die Ebene daher ein einzelner Bauernwagen heran, gerade auf mich zu. Es war Sergei, der getreue Tabunschtschik (Roßhirt), welchen sein Gebieter nachgesandt hatte, um feurige Kohlen auf des Flüchtlings schon hinreichend glühendes Haupt zu sammeln, indem er mir das einzige Mittel zu einer wirklich erfolgreichen Jagd bot. Ich schwang mich auf den Strohsitz des schmalen Gefährts hinter den bärtigen Lenker, der mir, mehr durch Zeichen, als durch Worte, verständlich machte, daß ich mich nunmehr gänzlich seiner Discretion zu überlassen habe, in einem weiten Bogen führte er mich darauf durch die Steppe in eine andere Abtheilung der Getreidefelder, wo die Früchte noch auf ihrem Halme standen. Ehe wir den Rand derselben erreichten, bedeutete mich Sergei, abzusteigen und hinter der langsam fahrenden, von einem kleinen Klepper gezogenen Teljäga herzuschreiten. So kamen wir auf den schmalen Weg, welcher die einzelnen Weizenäcker von einander scheidet; die Flinte hatte ich vor mir auf den Wagen gelegt, der blos zur Brusthöhe reichte. Schon ehe ich selbst des erhofften Wildes ansichtig ward, gab die plötzliche Aufregung meines Führers mir davon deutlicher Kunde, als mir lieb war. Nicht eine Minute mehr konnte er ruhig sitzen bleiben, alle Augenblicke fuhr er herum, riß den Mund auf, kniff die Augen zu und machte so lächerliche Grimassen, daß ich kaum an mich zu halten vermochte; all mein zorniges Nicken und Faustdrohen war vergeblich; begütigend duckte er sich nur nieder, um im nächsten Augenblicke abermals herumzufahren und von Neuem Fratzen zu ziehen. Aber ich sah nicht mehr nach ihm, denn dort erschien das Wild. Ueber den Halmen reckten sich die bekannten Köpfe empor, und zwar auf beiden Seiten des Weges, weithin im Getreide vertheilt; ein Volk von wenigstens sechzig Stück Trappen ging hier auf der Aeßung. Der Wagen aber schien keinen besonderen Eindruck auf sie zu machen, denn nachdem sie ihn neugierig betrachtet, duckten sich da und dort die Köpfe wiederum nieder, um fortzufahren in der unterbrochenen Beschäftigung.

Die Flinte hatte ich schußfertig in der Hand – da plötzlich schlug es mir zur Rechten mit lautem Schall die Luft, ein starker Hahn stieg keine dreißig Schritte von mir auf – aber er sank auch eben so rasch wieder. Ich hatte einen glücklichen Schuß gethan, freudig erregt sprang ich der prächtigen Beute zu, während weit und breit die Schaaren der Räuber, auf so unerwartete Weise aus ihrem Reviere geschreckt, in großen Flügen enteilten. Der erlegte Vogel war ein ausgewachsener junger Hahn, gegen dreißig Pfund schwer, mit glänzendem, schwarz gewässert rostbraunem Gefieder auf dem Rücken, Hals, Kopf und Brust hellgrau, die Ständer fast armstark, überaus kräftig, die unten weißen, an der Spitze dunkelbraunen Schwungfedern hatten fingerdicke Kiele. Mit Hülfe Sergei’s, der sich wie närrisch gebehrdete und einen Kriegstanz um das erlegte Wild halten zu wollen schien, hob ich die Beute auf den Wagen, und vollkommen befriedigt traten wir den Rückweg an. Hierbei will ich zu erwähnen nicht unterlassen, daß das in Deutschland allgemein verbreitete Vorurtheil von der Ungenießbarkeit des Trappenfleisches – es sei denn einige Tage in der Erde vergraben gewesen – von den Russen nicht getheilt wird, und ich habe mich genugsam davon zu überzeugen Gelegenheit gehabt, daß es einen sehr schmackhaften, vortrefflichen Wildbraten abgibt, welcher dem des Auerhahns weit vorzuziehen ist. Allerdings legt man es gern

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