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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

den Staat nach und nach an den Abgrund brachte, die reichen Hülfsquellen desselben erschöpfte, und ihn der allgemeinen Auflösung entgegenführte.

Er fand einen ebenbürtigen Gehülfen in diesem verderblichen Werke an Johann Christoph Wöllner, welcher der Sohn eines lutherischen Predigers in der Nähe von Spandau war. Als Hauslehrer in der Familie des Generals von Itzenplitz knüpfte er ein Verhältniß mit der Tochter desselben an, die er entführte und schließlich heirathete. Durch diese Verbindung gelangte er in den Besitz ansehnlicher Güter; er bildete sich zum praktischen Landwirthe aus. Als solcher wurde er dem Prinzen Heinrich, Bruder Friedrich des Großen, empfohlen und von diesem zum Kammerrathe ernannt. Später unterrichtete er den Kronprinzen in der Staatswirthschaft, worin er sich einige oberflächliche Kenntnisse erworben hatte. Wie Bischofswerder, gehörte er dem Orden der Rosenkreuzer an und verfolgte dieselbe mystische Richtung; unter dem Namen „Chrysophyron“ war er in die Verbindung aufgenommen worden und als theurgischer Schriftsteller aufgetreten.

Durch seine Bekanntschaft mit Bischofswerder und die deutlich ausgesprochene Neigung zu jener pietistischen Frömmelei, welche der König beförderte, gelang es ihm, sich eine hervorragende Stellung zu verschaffen und sich von Stufe zu Stufe emporzuschwingen. Er wurde Geheimer Oberfinanzrath, Intendant der königlichen Bauten und in den Adelsstand erhoben. Kein Mittel war ihm zu schlecht, um zu seinem Ziele zu gelangen; der ehemalige Theologe und Wiederhersteller der preußischen Rechtgläubigkeit kroch in dem Vorzimmer der Lichtenau mit gekrümmtem Rücken und dedicirte der bekannten Maitresse seine Bücher, um sich ihrem Schutze zu empfehlen. So kam es, daß er bald eine fast unbeschränkte Macht gewann und in Berlin allgemein nur „der kleine König“ genannt wurde. Gebildeter und systematischer, als Bischofswerder, trat er als der entschiedene Gegner jener großen Erbschaft auf, welche Friedrich der Große dem preußischen Volke hinterlassen hatte. Wöllner war der erbitterte Feind der Aufklärung und Toleranz, die der Held des Jahrhunderts als die Stützen des protestantischen Staates für ewige Zeiten hingestellt hatte. Diese zu untergraben, mit Gewalt und List zu brechen, betrachtete der Frömmler als die Aufgabe seines Lebens. Er begann seine Wirksamkeit damit, die Werke Friedrich des Großen in keiner anderen Absicht herauszugeben, als das Andenken desselben damit verhaßt zu machen und der neuen Regierung zu schmeicheln. Zu diesem Zwecke ließ er sich die hinterlassenen Papiere des großen Verstorbenen schenken; er verkaufte sie und ließ Alles abdrucken, was die öffentliche Meinung, nach seiner beschränkten Ansicht, verletzen mußte: all’ die kecken Ausfälle auf die theologische Unduldsamkeit, die Spöttereien auf die Geistlichkeit und die nicht immer zu billigenden Sarkasmen, welche sich der Schüler und Freund Voltaire’s zuweilen gegen die Religion selbst erlaubte, die er nur zu oft mit ihren blinden und verkehrten Bekennern verwechselte. Sogar die in vertrauten Briefen hier und da zerstreuten harten Aeußerungen über noch lebende Zeitgenossen, unbedeutende Aufsätze und Gedichte, welche für den intimsten Kreis geschrieben waren, wurden so der Oeffentlichkeit preisgegeben, um den Widerspruch herauszufordern und Angriffe gegen den todten Genius zu veranlassen. Der Erfolg entsprach indeß keineswegs den gehegten Erwartungen, indem gerade das Gegentheil eintrat und die herausgegebenen Schriften Friedrichs nur die Bewunderung für den Unsterblichen vermehrten.

Während Wöllner das Andenken des hohen Geistes zu verdunkeln suchte, strahlte der Stern desselben nur um so heller; die Lüge und Heuchelei selbst wurden gezwungen, der Wahrheit und der echten Größe zu dienen. Erst jetzt sah Wöllner seinen Mißgriff ein; er wollte sogleich den Weiterdruck hindern, aber die Buchhandlung berief sich auf ihren mit ihm selbst abgeschlossenen Vertrag. Wöllner konnte es nicht ändern, doch ließ er aus den gedruckten Exemplaren der Supplemente mehrere Seiten – herausschneiden. Das hinderte indeß keineswegs die weitere Verbreitung, da in Basel sogleich ein Nachdruck erschienen war.

Im Jahre 1788 wurde Wöllner an Stelle des aufgeklärten und freisinnigen Zedlitz zum Minister der geistlichen Angelegenheiten ernannt. Dieser Berufung hatte der Staat jenes berüchtigte Religions-Edict zu verdanken, welches in neuerer Zeit an den bekannten „Regulativen“ gewissermaßen einen Nachtrag erhalten hat. Unter dem Vorgeben, die Freiheit des Gewissens nicht beschränken, nur dem Unglauben und der Sittenlosigkeit entgegentreten zu wollen, wurden die größten Bedrückungen in diesen Ordonnanzen ausgeübt und die schwersten Strafen über Alle verhängt, welche sich diesem Zwange nicht fügen und ihrer besseren Ueberzeugung folgen wollten. Das Edict befahl sämmtlichen Geistlichen und Lehrern der Monarchie, fortan sich streng nach den symbolischen Büchern zu richten.

„Man habe,“ lautet der Befehl, „schon seit längerer Zeit schmerzlich bemerkt, wie viele Geistliche des protestantischen Bekenntnisses sich eine zügellose Freiheit in Beziehung auf die Dogmen ihres Glaubens herausnehmen, indem sie die Grundwahrheiten der christlichen Religion im Allgemeinen leugnen und in ihren Predigten einen modischen Ton anstimmen, der dem Geiste des wahren Christenthumes widerspricht und die Pfeiler desselben zu erschüttern droht. Man erröthet nicht, die elenden Irrthümer der Socinianer, Deisten und Naturalisten zu befördern und diese im Namen der Aufklärung mit eben so großer Frechheit als Thorheit dem Volke zu empfehlen. Der König wolle innere Ueberzeugung nicht zwingen, ja selbst bekannte Neuerer nicht aus ihrem Amte treiben, aber Jeder solle von nun an dem einmal hergebrachten Kirchenglauben und den feststehenden Normen getreu lehren oder, im Falle der Uebertretung, mit Entsetzung vom Amte und noch härter gestraft werden.“

Zugleich wurde den Consistorien befohlen, die ihnen übergebene Geistlichkeit streng zu überwachen und bei der geringsten Abweichung von den bestehenden Glaubenslehren sofort Anzeige zu machen. Eben so ordnete das Edict an, die Lehrstühle an den Universitäten und Gymnasien nur mit strenggläubigen Candidaten zu besetzen und alle Neuerer auszuschließen oder sogleich zu entfernen. Allen Unterthanen wurde ein religiöses Leben anempfohlen und versprochen, bei jeder Gelegenheit den Gläubigen den Vorzug zu geben, weil die Ungläubigen schlechte Unterthanen sein müßten und niemals treue Staatsdiener werden könnten. Die Sonntagsfeier wurde streng gehandhabt, der geistliche Stand mit besonderen Privilegien bedacht und jede Beleidigung desselben als ein schweres Verbrechen angesehn.

Ein Ausbruch allgemeiner Entrüstung begrüßte dieses Religions-Edict, welches unwillkürlich an die Bestrebungen einer gewissen kirchlichen Partei in unserer heutigen Zeit erinnert. Die bedeutendsten Stimmen erhoben sich gegen einen Gewissenszwang, der seit der Herrschaft Friedrich des Großen in Preußen nicht mehr für möglich gehalten wurde. Es entspann sich ein erbitterter Kampf zwischen den Finsterlingen und den Freunden der Aufklärung, an deren Spitze der Buchhändler Nicolai, der Freund und Gesinnungsgenosse eines Lessing, stand. In der von ihm herausgegebenen „Allgemeinen Deutschen Bibliothek“, einer weit verbreiteten kritischen Zeitschrift, traten Nicolai und mehrere ihm gleichgesinnte Schriftsteller mit den Waffen des gesunden Menschenverstandes und einer mitunter allerdings trivialen Satire gegen das pietistische Treiben der neuen Dunkelmänner auf. Der Kampf, welcher in unseren Tagen in den „Hallischen Jahrbüchern“ gegen die Reactionsgelüste der sogenannten Romantiker auf dem politischen und kirchlichen Gebiete geführt wurde, war nur eine Wiederholung und Fortsetzung jener Wöllner’schen Periode geistiger Unterdrückung und Knechtschaft. Dieselben Mittel wurden schon damals angewendet, um die Stimmen der Freiheit und der Vernunft zum Schweigen zu bringen.

Durch ein königliches Decret wurden wegen der überhand nehmenden Schreibfreiheit alle im Inland erscheinenden Schriften einer vorläufigen Censur unterworfen. Wöllner selbst hatte die geeigneten Männer für dieses Amt bestellt; trotzdem vermochte er nicht, die öffentliche Meinung zu ersticken, die sich immer von Neuem Luft machte. So las der Minister am Schlusse einer so eben in Berlin unter dem Titel „Allgemeine Zustände“ erschienenen Flugschrift die Worte: „Wehe dem Lande, dessen Minister Esel sind!“ In höchster Entrüstung ließ er den Censor zu sich bescheiden, las ihm die Stelle vor und rief voll Zorn:

„Hab’ ich Sie deshalb angestellt, daß Sie dergleichen zum Druck verstatten?“

„Befehlen Excellenz vielleicht,“ entgegnete der Censor, „daß ich anstatt „Wehe“ drucken lassen sollte: „Wohl dem Lande, dessen Minister Esel sind!“?“

Indeß wurde die „Allgemeine Bibliothek“ durch das ministerielle Verbot gezwungen, von Berlin nach Kiel überzusiedeln, wie ungefähr fünfzig Jahre später die „Hallischen Jahrbücher“ von Halle nach Leipzig auswandern mußten.

Einen eben so ehrenvollen Widerstand gegen diese Wöllner’schen

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