Seite:Die Gartenlaube (1859) 189.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Geige wieder zu hören; aber Clement kann nicht spielen – er hat nun gar keine Geige mehr – er hat alle beide, die Groschen- und die kostbare Geige, auf irgend einem Altar (mit Trankopfer) dargebracht! Der zweiten Großmuths-Geige soll es nicht besser ergangen sein, bis Alexander dem umgekehrten Diogenes beiläufig sagen ließ: „Gehen Sie gefälligst aus meiner Ducaten-Sonne, nehmen Sie Ihre Tonne in Acht, denn so viel Geld, als Sie dafür brauchen, habe ich nach dem Kriege gar nicht.“

Clement war schon Geigenvirtuose im siebenten Jahre und von allen Höfen gehätschelt. Sein Vater, ein herrschaftlicher Tafeldecker, lehrte ihn selbst das Geigen, die Catalani reiste längere Zeit mit ihm, bei Haydn’s großem Doctorfest in London war er der erste Solist, König Georg sein Gönner, in Prag wirkte er an der Seite C. M. v. Weber’s, in Wien an der Seite Seyfried’s, bei welchem Capellmeister er treu zur Rechten ruht als erster Geiger.

Es mußte die unerhörteste Macht des Weines sein, wenn er ankämpfend gegen ihn so weit unterlag, daß er irgend eine durchgelesene Partitur nicht ohne hineinzusehen trefflich dirigiren konnte, und jener Wein war gar nichts werth, der ihn nicht so inspirirte, daß er alles mögliche einmal Gehörte in vollster Reinheit und bewältigendster Tonfülle wiedergab. – Die alten Fiaker in der Nähe des Theaters an der Wien und dessen Wirthshäusern wußten in den dreißiger Jahren schon im dichtesten Dunkel der Nacht, wen eine sorgsame Frau mit den schwierigsten sonderlichsten Manövern dahintransportirte – es war der „Congreß-Geiger“, den seine Frau kummervoll und frierend vor einer Wirthshausthüre bis tief in die Nacht erharrt hatte, um ihn vor Schaden zu wahren.

Wenn der liebe Herrgott nach des Dichters Ausspruch „griff in das Paradies um einen Weinstock süß“, so hat sich Clement sicher in jener Gegend angesiedelt und spielt dafür allen Engelschaaren oben die erstaunlichsten Passagen und Variationen. – Und wenn Haydn, Mozart, Gretry, Cherubini, Mehul, Beethoven etc. etwas in ihren Werken vergessen haben, so wenden sie sich sicherlich an den alten Seyfried, der darin noch besser Bescheid wußte, als sie selbst. Bei Nacht erheben sich wahrscheinlich Beethoven und Schubert und klopfen dem Capellmeister leise auf die Schulter; und sobald der nahe Geiger klopfen hört, erhebt er sich auch im Sternenschimmer und setzt sich mit der Geige auf sein Grab, und die Vöglein hören im Traume aus den Flageolett-Tönen, welche Stümper sie sind, und es entstehen ringsum die wunderbarsten Sänge, Chöre und Klänge. Das schlafende Wien nicht und kein menschliches Ohr vernimmt es; wenn die Sterne verglimmen und aus der Nacht der Tag sich gebärt, da ist Alles wieder still und starr – ein Leichenplatz – ein Friedhof!

Beethoven – Schubert – Seyfried – Clement, es spricht sich, wie von den vier Saiten einer gewaltigen Lyra, die Welt oder wenigstens „Herz“ heißt. – Hier bedeutet das Ganze nur eine Spanne Friedhofssand.

Die Männer, die sich im Leben nahe waren, ruhen nun fast nebeneinander in Frieden. Die umstehenden zahlreichen Kreuze und Steine sind wie ein rastlos horchendes Publicum, das diesen Meistern und ihren Concerten zuhört. Stürzend und zu ihren Füßen rollend unterbrechen sie manchmal, sonderbar applaudirend, die Stille. Sie werden fast sämmtlich zerbröckelt sein und vergehen; aber diese Steine wird eine ehrfurchtgebietende Macht erhalten und unangetastet stehen lassen, wie jenen Gellert’s zu Leipzig an der Stelle, wo ein Friedhof war und alle Gräber verschwunden sind, bis auf das eine.

Treten wir zurück von diesem stillen, geweihten Orte, gedenken wir, das Gitter schließend und dem Gewirre der Stadt entgegen gehend, nur jener Worte eines Isis-Tempels, die Beethoven mit eigener Hand sich abschrieb und vor sich auf den Schreibtisch stellte: „Ich bin, was da ist, ich bin Alles, was war und sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben!“




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_189.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2023)