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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Helena saß, sagte Beethoven, auf den Schluß-Trauermarsch deutend: „Ich hab’s ihm vorher gesagt!“

Will man etwas Drolliges und Treffliches von ihm hören, das sich zugleich alle Künstler vorzüglich merken, und wodurch sie ihn zum Patron erwählen können? – Sein Bruder war ein reich gewordener geldstolzer Bet… (nicht mehr!). Am Neujahrstage sendete derselbe an den Meister eine Karte: „Johann van Beethoven, Gutsbesitzer“; Ersterer nahm sofort ein Stück Papier, schrieb darauf: „Ludwig Beethoven, Gehirnbesitzer“, und sendete dasselben dem Herrn Bruder. – Gutsbesitzer! welcher stolze, erhebende, permanente Titel! Freilich langt er weder für den Gothaer Hof-, noch für den Adelskalender aus. Aber Beethoven strebte nicht ernstlich hinein, trotz seiner Dankbarkeit für die hohen Gönner, die ihn schützten und stützten. – Als die Wiener Adelskammer in der berüchtigten Proceßangelegenheit wegen seines Neffen um den Adelsbrief fragen ließ und wo er ihn habe, deutete er auf Kopf und Herz und rief! „Hier!“ Kraft dieser trefflichen Urkunde verschmähte er einst auch einen Orden für eine dem König von Preußen gesendete Symphonie. Als der Gesandte, Graf von Hatzfeld, undiplomatischer Weise anfragen ließ, was er vorziehe, einen Orden oder 50 Ducaten, rief Beethoven, daß es der Graf im Nebenzimmer hören konnte, rasch und laut: „Fünfzig Ducaten!

Das war ein Mann, der den Werth seiner selbst und die Würde eines Ehrenzeichens zu schätzen wußte. Wo er seinen Adelsbrief trug, dort war er auch mit Orden geschmückt! Seine „Vittoria-Schlacht“ zum Besten der deutschen Krieger bei Hanau wurde von Meistern, wie noch kein musikalisches Werk zuvor, aufgeführt. Schuppanzigh spielte die erste Violine, Spohr die zweite und Maiseder die dritte. Saliere leitete die Pauken und Kanonaden, Hummel führte die Trommel. Das war eine Schlacht voll Sieg und Eichenlaub! Er war eine Größe für die Welt, er war aber auch, mitten in seiner Größe, ein schlichter, bescheidener Sohn! Die Welt vergnügte sich damit, sein Genie mit einer hohen Geburt zu verbinden, man nannte ihn einen natürlichen Sohn Friedrich Wilhelm’s II. – Beethoven, anstatt hieraus Vortheil ziehen zu wollen, gab sich die erdenklichste Mühe, um Gegenbeweise herbeizuschaffen und nach seinen eigenen rührend-zärtlichen Worten „die Rechtlichkeit seiner Mutter“ herzustellen.

Denken Sie an St. Marc-Girardin, den Franzosen und Feder-Virtuosen der Neuzeit, der öffentlich seinen Vater auf der Höhe suchte und seine Mutter in die Tiefe des Schlammes drängte! Denken Sie an den armen deutschen Künstler gegenüber der heiligen Gestalt seiner Mutter!

Sie ruht in Frieden zu Bonn bei ihrem Gemahl, dem kurfürstlichen Tenoristen, begraben, zu Bonn, wo der erzene Beethoven auf dem Markte prangt, wo der Unsterbliche 1770 wie ein schwacher Morgenschimmer auftauchte, emporwachsend zur lichterfüllenden, strahlenreichen Sonne, die im vollsten Schmucke unterging und gleich einem versengten Baume im Walde das Gerippe zurückließ, das hier unter dem Steine mit der Überschrift „Beethoven“ liegt.

Wie „Vittoria!“ weht es um den Namen und liebend hat sich die Seele oben sicherlich jenen geeint, die in reizender Gestalt, mit Sehnen und Unerreichbarkeit verbunden, auf Erden wandelten!

Der liebenswürdige Bruder, der dem sterbenskranken das Bündel Heu versagte, ist sicher nicht darunter. Es handelte sich um ein Heu-Bad. „Mein Heu ist nicht kräftig genug!“ lautete die Antwort. – Welcher Heukenner! – Buridans Genosse hätte nicht scrupulöser sein können!

Weniger tragisch und weniger komisch, weniger hoch und tief war Schubert’s Leben. Wie eines seiner kurzen anmuthigen und bewegenden Lieder war es. Er war der Sohn eines Wiener Schullehrers. Er lebte, wirkte und starb. Das Trefflichste und Schmerzlichste sagt die Inschrift seines Grabdenkmales:

Die Tonkunst begrub hier einen reichen Besitz,
Aber noch viel schönere Hoffnungen.
 Franz Schubert liegt hier!
Geboren 31. Jänner 1797, gestorben 18. November 1828.
 31. Jahre alt.

Einunddreißig Jahre alt! In diesen Worten liegt das Bewältigendste der ganzen Kunde. Diesem Manne stand kein Hof, kein Potentat, kein weltbewegendes Ereigniß, keine Neuerung zur Seite, – so jung, so hülflos, so schlicht war er, und er zieht ein Sieger durch die ganze Welt!

Das ist die Kraft der Weihe, die Gewalt der Empfindung, das Göttliche der wahren Kunst, was uns vor dieser erzenen Büste beugen macht und jedes Hälmlein an den Kränzen, die Verehrer an sie hängen, heilig erscheinen läßt!

Wem die Thräne der Wehmuth an dieser Stelle über die Wange rieselt, der braucht sich nicht zu schämen, diese sofort unter der Thräne zum Lächeln zu verziehen. Wir wenden uns rasch zu dem Grabe eines andern Musikanten, und das Wort „Musikant“ liegt so nahe dem Begriffe „Durst“, daß man durchaus diese alte Verbindung hier nicht zu stören braucht.

Der alte Clement würde sofort aufstehen, uns eine Prise aus einer goldenen Potentatendose schenken, die er so oft „versetzt“, und über die Sonderbarkeit des Zusammenhanges zwischen Durst und Musik mit uns lachen!

Wenn Bläser ihr „Mundstück“ statt an Metall zur Abwechselung an Gläser zu setzen versuchen, darf uns dies nicht wundern, wie kommen aber die Geiger dazu? – Das muß der Baum, der noch vor-geigen-zeitig sog und Flüssigkeit verlangte, das müssen die Darmsaiten machen!

Clement würde keinen Augenblick angestanden haben, diese Lehre anzunehmen. Er war Anlaß der Bewunderung für Deutschland und England, in denen er reiste, aller Größen des Wiener Congresses. Kaiser Alexander von Rußland war sein Hauptverehrer. Bei einem Hoffeste spielte Clement, die Anwesenden waren entzückt, Kaiser Alexander nähert sich dem wunderbaren Geiger, denn er meint, das kostbare Instrument müsse mit Schuld an den überraschenden Tönen sein – er prüft Clements Geige, und siehe da, sie ist die elendeste Groschengeige, die man sich denken kann! Der Kaiser läßt sofort dem Wundermanne ein kostbares Instrument überreichen. Nächster Tage verlangt Alexander, den Mann mit der kostbaren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_188.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2023)