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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

er ebenfalls zu Grunde gehen könne. Wir nahmen ihm also sein Pflegekind nochmals und begruben es in unserem Garten. Nach wenigen Minuten war Koko wieder frei, durchsuchte klagend das Gehöft, alle Zimmer und den Garten, ohne sich ergreifen zu lassen, sprang über die Mauer des nächsten Grundstücks, durchsuchte dieses ebenfalls – und kam nie wieder. Gegen Abend hatte man einen Affen bei dem Dorfe Butri, wo keine wild vorkommen, im Walde gesehen.

Ich würde diese Geschichte, so anziehend sie mir auch erscheint, kaum der Mittheilung werth gehalten haben, wäre sie eine vereinzelt dastehende gewesen. Das ist aber nicht der Fall. Alle Affen, welche ich kennen lernte, zeigten dieselbe Liebe für kleinere und schwächere Thiere, alle denselben Hang, bei ihnen Pflegeelternstelle zu übernehmen. Ich besaß, ebenfalls im Ostsudan, eine weibliche Meerkatze, welche mit ihrem eigenen Kinde gefangen worden war. Die Mutter behandelte dasselbe so zärtlich, so liebevoll besorgt und so aufopfernd, daß sie hierin keiner Menschenmutter nachstand, wohl aber mancher als Muster hätte dienen können. Es scheint unter den jungen Affen viele Krankheiten zu geben; denn auch das Kind dieser Aeffin starb. Seine Mutter gebehrdete sich nicht so auffallend, wie Koko, sondern trug ihren Schmerz lautlos. Sie ließ es sich auch ziemlich ruhig gefallen, daß wir ihr das todte Aeffchen, welches sie ebenfalls fest in den Armen hielt, entrissen: – aber sie fraß von Stunde an keinen Bissen mehr, und war am zweiten Tage todt! Hierüber brauche ich nichts weiter zu sagen, diese Thatsache spricht für sich selbst.

Jedoch bin ich mit meinen Affengeschichten noch nicht zu Ende. Neben den Meerkatzen hielt ich, wie bemerkt, auch Paviane (namentlich Cynocephalus babuin, Desm. und C. Sphinx). Sie übertrafen die Meerkatzen in jeder Hinsicht an Verstand, und standen ihnen auch an Gemüth ziemlich gleich. Der klügste, den ich besaß, erhielt den Namen Atile. Kaum acht Tage waren hinreichend, sie an ihre Namen zu gewöhnen, von fünf, die wir zusammen besaßen, hörte und antwortete bald nur derjenige, welcher gerufen wurde. Um jedem seinen Besitzer und Herrn kenntlich zu machen, verfuhren wir höchst einfach so, daß ein Fremder dem Affen mit Prügeln drohete, und sein Herr ihn dann jedes Mal augenscheinlich in Schutz nahm. Dies war hinreichend, um das kluge Thier zu bewegen, bei der geringsten Veranlassung seine Zuflucht bei seinem Gebieter zu suchen. In Zeit von drei Tagen lernten alle Paviane auf einem Esel reiten, weil ihnen mit Schlägen gedroht wurde, wenn sie von dem Rücken desselben herabsprangen. Kunststücke der verschiedensten Art konnten ihnen nach drei- bis viermaliger Uebung stets beigebracht werden.

Perro war klug, nachdenkend, berechnend und erfinderisch. Sein Lieblingssitz war eine den Sonnenstrahlen ausgesetzte Mauer. Zur Mittagszeit hielt er sich eine kleine Strohmatte als Sonnenschirm über den Kopf. Auf einer Barke angekettet, trank er, indem er sich an seinem Strick über Bord herabließ, den einen Fuß in’s Wasser tauchte und dann ableckte. Er löste jeden Knoten und jedes zusammengebundene Stück Zeug ohne Umstände und immer regelrecht auf. Auch er, ebenfalls ein männlicher Affe, hatte die Leidenschaft, kleinere Thiere an sich zu nehmen, und sie mit ausgelassener Freude zu liebkosen und zu hätscheln. Bei unserem Einzuge in Alexandrien wurde er an dem Gepäckwagen angebunden. Unterwegs entdeckte er eine Hündin mit vier oder fünf mittelgroßen Jungen, welche, wie es in Egypten häufig zu sehen ist, von ihrer Mutter in einem mitten auf der Straße gescharrten Loche gesäugt wurden. Augenblicklich sprang der Affe vom Wagen herab, riß ein Junges weg, nahm es in einen Arm und vertheidigte sich mit außerordentlichem Muthe gegen die wüthenden Anfälle der Hündin. Dabei war er genöthigt, auf seinen beiden Hinterfüßen zu laufen, und zugleich auf die Bewegungen des Wagens zu achten, um nicht unter ein Rad desselben zu kommen, mußte der Hündin stets kampffertig gegenüberstehen, und durfte auch sein Pflegekind nicht vernachlässigen; aber alles dieses wußte er herrlich auszuführen. Ein unabsehbarer Menschenstrom folgte dem Wagen, da alle Araber lebhaften Antheil an diesem eigenen Schauspiele nahmen. Perro wurde von ihnen mit Schmeichelworten und Liebkosungen beglückt und in seinem Kampfe gegen die Hündin gelegentlich kräftig unterstützt.

In dem Hause, welches uns beherbergte, erhielt er nun eine Dachkammer eingeräumt, und wurde mit Futter für sich und seinen Pflegling wohl versorgt. Beim Anblick der leckeren Milch, welche zur Nahrung des Hundes dienen sollte, schien jedoch die Selbstsucht stärker zu sein, als die Liebe zu seinem Hündchen. Er trank die Milch allein, und hielt dabei das hungrige Pflegekind wohlweislich vom Napfe ab. Dieses befand sich überhaupt bei allen Liebesbeweisen in einer ziemlich traurigen Lage. Unbesorgt um das Wesen und die körperliche Beschaffenheit desselben Unternahm der Affe mit gewohnter Meisterschaft gymnastische Uebungen, welche sicher jeden Seiltänzer beschämt haben würden, das tölpische Thierchen jedoch oft augenscheinlichen Gefahren aussetzten. Wenn es winselte, hätschelte und wiegte er es in seinen Armen, bis es wieder ruhig geworden war, dann begann das alte Spiel wieder – und das Hündchen blieb immer hungrig dabei. Dies bewog uns, es sobald als möglich seiner rechtmäßigen Mutter zurückzugeben; allein es gelang uns erst während der Nachtruhe des Affen, diesem sein an das Herz gedrücktes Kleinod zu entreißen.

Nicht minder merkwürdig, als es diese Pflegelust der größeren Affen ist, erscheint mir auch das Betragen der gepflegten Affen. Meine Aeffin Atile, welche ich mit einer erwachsenen männlichen Meerkatze mit in die Heimath gebracht hatte, besaß die Leidenschaft zum Pflegen kleiner oder ihr schwach erscheinender Geschöpfe ebenfalls in hohem Grade. Alle Mütter unseres Dorfes lernten bald sich scheuen, mit kleinen Kindern in der Nähe des Affen vorüberzugehen, weil Atile stets die größte Sehnsucht an den Tag legte, an den Wickelkindern die Stelle einer Wärterin zu vertreten.

In Ermangelung solcher Pfleglinge begnügte sich die Aeffin mit anderen Thieren. Junge Katzen schien sie sehr zu lieben; jedoch verfuhr sie nicht immer sehr säuberlich mit ihnen. Einem Kätzchen, welches sie gekratzt hatte, untersuchte sie die Tatzen, und biß die ihr gefährlich erscheinenden Klauen ohne Umstände ab; ein anderes Kätzchen gab bald nach einer sehr stürmischen Umarmung den Geist auf. Mit unserm alten grilligen Hunde, welcher viele Jahre lang unbestritten das Recht des Alleinherrschens gehabt hatte, lebte sie in arger Fehde. Wenn sich derselbe zum Schlafe niedergelegt hatte, wurde er gewiß stets von ihr muthwillig aus seinen süßesten Träumen geweckt. Leise schlich sie sich an ihn heran und zog ihn plötzlich heftig am Schwänze. Der Hund fuhr wüthend auf und schnappte nach dem gehaßten Störenfried; dieser aber sprang gerade über den Erzürnten weg, und ergriff ihn wieder am Schwanze; der Hund drehete sich, der Affe mit, und beide lärmten und tobten dabei um die Wette, bis der Hund vor Wuth schäumte: dann ging Atile befriedigt von dannen. So konnte ihr nur noch die Gesellschaft der Meerkatze gestattet werden. Sie pflegte nun diese, Hassan mit Namen, mit aller Liebe, deren ihr Herz fähig war – und Hassan, der erwachsene männliche Narr, ließ es sich nicht nur sehr gutwillig gefallen, sondern suchte und verlangte die Pflege der größeren Aeffin. Er schlief stets in Atile’s Armen, und beide hielten sich dann so fest umschlungen, daß es aussah, als wären sie nur ein Wesen. Sobald es etwas kalt war, kam er und bat um Liebe, und Atile’s Herz konnte dann nie widerstehen. Beide unterhielten sich lange und umständlich mit höchst verschiedenen kurzen Gurgeltönen, deren Bedeutung auch wir einigermaßen verstehen lernten, da wir die verschiedenen Ausdrücke der Liebe oder des Hasses, des Zornes, Schmerzes, der Klage über Hunger oder Kälte u. s. w. bald richtig zu deuten wußten. Von dem Augenblick der Annahme Hassans behandelte ihn Atile ganz als ihr Kind, und Hassan bewies ihr auch in jeder Hinsicht kindlichen Gehorsam, wie jenes Aeffchen seinem Pfleger. Er folgte der Atile überall hin, wohin sie von uns geführt wurde, und kam sogleich in das sonst von ihm sehr gemiedene Zimmer, wenn seine Freundin dort verweilte. Da er vollkommen frei war, hatte er ein sehr weites Feld zu seinen Ausflügen; jedoch unternahm er nur in Gesellschaft seiner Pflegemutter größere Spaziergänge. Dabei verfolgte jeder seinen eigenen Weg; Atile, als Erdaffe, mied die Bäume, Hassan suchte sie auf; das störte jedoch das gute Einvernehmen keineswegs, und die Unterhaltung wurde auf so verschiedenen Wegen nicht abgebrochen.

Der kalte Winter endete Hassans frischfröhliches Leben im zweiten Jahre seines Aufenthaltes in Deutschland. Atile war sehr traurig und stieß Tag und Nacht auch Menschen deutliche Klagetöne aus. Andere Pfleglinge behagten ihr nicht mehr; deshalb überließen wir sie schließlich einem durchreisenden Affenbesitzer, welcher ihr andere Unterhaltung gewähren konnte. –

Ich könnte von meinen Affen noch sehr viel erzählen, wenn ich nicht fürchten müßte, den mir gestatteten Raum dabei zu überschreiten. Nur Eines noch glaube ich nicht verschweigen zu dürfen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_186.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2023)