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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Thieren gern einen Schabernack anthaten, kleinere beschützten, hegten und pflegten und sich selbst jede Lage erträglich zu machen wußten. Dabei lieferten sie täglich Beweise eines überraschenden Verstandes, wahrhaft berechnender Schlauheit und wirklich vernünftiger Überlegung, zugleich aber auch der größten Gemüthlichkeit und zärtlichsten Liebe und Aufopferung anderen Thieren gegenüber, so daß ich die komischen Gesellen täglich lieber gewann. Ich hatte in den Urwäldern des Inneren häufig Proben ihrer sprüchwörtlich gewordenen Mutterliebe und ihres gegenseitigen Zusammenstehens zu Schutz und Trutz gesehen, sollte sie aber doch erst in der Gefangenschaft gründlich kennen lernen.

Während einer Reise auf dem blauen Flusse brachten mir die Sudanesen eines schönen Nachmittags fünf frisch gefangene Meerkatzen zum Verkauf. Ich freute mich ungemein, mir gute Reisegesellschaft erwerben zu können, und brachte alle fünf gegen Erlegung der geforderten Summe von zehn Neugroschen unseres Geldes an mich. Aber ich hatte mich sehr verrechnet, indem ich geglaubt hatte, lustige Reisegefährten zu erhalten. Es waren Affen, denen ich das schwere Loos der Gefangenschaft zugedacht hatte, „metamorphosirte Menschen“, wie sie Wagler nennt. Die Thiere saßen stumm und traurig an einem Bord des Schiffes, wo sie der Reihe nach angebunden worden waren, und bedeckten sich das Gesicht mit beiden Händen, wie tief betrübte Menschenkinder. Die leckerste Speise blieb unberührt; und sehr schwermüthige Gurgeltöne drückten offenbar Klagen gegen das unerbittliche Schicksal aus. Wahrscheinlich beriethen sie sich auch nebenbei, was unter diesen schlimmen Umständen am zweckmäßigsten gethan werden könnte. Wenigstens schien ein darauf hindeutendes Ergebniß die Folge ihrer Gurgelei zu sein: am anderen Morgen war nur ein Affe auf dem Schiffe zu sehen, alle übrigen hatten sich Nachts auf- und davongemacht. Ich untersuchte die zurückgelassenen Stricke; kein einziger war zerrissen, wohl aber hatten die Thiere alle Knoten sorgfältig gelöst. Das konnte blos gegenseitig geschehen sein, sonst hätte sich der Zurückgebliebene auch befreit. Bei genauerer Prüfung ergab es sich, daß er von seinen Mitgefangenen nicht hatte erreicht werden können. Später sah ich es übrigens mit an, wie ein Affe den andren seiner Bande entledigte. Das heißt nun doch gewiß treue Hülfe in der Noth und echt menschlich – vernünftig gehandelt.

Der noch vorhandene Affe war ein Männchen und erhielt, wie so viele seiner Art, den beliebten Namen Koko. Er trug sein Geschick mit Würde und Fassung. Die erste Untersuchung hatte ihn gelehrt, daß seine Fesseln für ihn unlösbar seien; deshalb fügte er sich, als echter Weltweiser, gelassen in das Unvermeidliche, begann zu fressen und trieb Possen. Mit uns wollte er sich jedoch nicht befreunden; er biß heftig um sich, wenn sich ihm Jemand nahte. Doch sollte das bald anders werden. Sein Herz bedurfte eines Gefährten und Gespielen. Oft sah er verlangend nach am Schiffe vorübergehenden Hunden: – ich glaubte, das geschähe aus Groll, und that ihm damit großes Unrecht. Eines Tages bemerkte ich, daß Koko seine Wahl getroffen hatte. Sie war sonderbar genug. Meine Leute hatten aus demselben Walde, in dem der Affe das Licht der Welt erblickt hatte, auch einen jungen Nashornvogel aus dem Neste genommen, welcher aufgefüttert wurde. Derselbe hatte ungefähr die Größe eines starken Chinahahns, sah nichts weniger als anmuthig aus und war still und langweilig. Ihn hatte sich der Affe zum Pflegling auserkoren: das männliche Säugethier einen tölpischen, ungeschickten, größeren Vogel! Es ist unmöglich, die komischen Scenen alle zu beschreiben, welche nun folgten. Sobald sich der Vogel seinem Pfleger näherte, ergriff ihn dieser bei seinem ungeheueren Schnabel, zog ihn zu sich heran, streichelte ihn und begann dann die Schmarotzer, mit denen das Thier seine große Noth hatte, abzulesen.

Diese liebevoll gewährte Erleichterung schien ihm ungemein zu behagen und erwarb dem Affen bald sein Herz. Schon nach wenig Tagen ließ er sich von seinem vierhändigen Freunde Alles gefallen. Dieser legte ihn auf die Seite oder auf den Rücken, um ihn auf der Brust zu untersuchen, der Nashornvogel blieb liegen; er brachte die Federn in Unordnung; ihr Träger ließ es sich gefallen, ja, er sträubte sogar diejenige Stelle seiner Bedeckung, unter welcher sich der Affe zu schaffen machte; dieser packte ihn am Schnabel, am Halse, an den Beinen, den Flügeln, dem Schwanze, riß ihn an sich: er ließ Alles über sich ergehen. Tagtäglich besuchte er den Affen viele Male, fraß ihm das vor ihm liegende Brode weg, putzte sich in seiner Nähe und schien jenen fast herausfordern zu wollen, sich wieder mit ihm zu beschäftigen. Er verweilte stets so lange in der Nähe seines Freundes, bis er seinen Zweck erreicht hatte, und Koko mit dem alle Affenbeschäftigungen kennzeichnenden Ernste sein Reinigungswerk von Neuem begann.

So lebten die beiden Freunde mehrere Monate lang miteinander. Wir waren nach Charthum zurückgekehrt; der Vogel lief frei im Hofe herum, während Koko angefesselt worden war; auch das that der Liebe keinen Abbruch, denn nach wie vor ging der inzwischen dem Gängelbande entwachsene Pflegling zu seinem Beschützer und Reiniger. Der Tod löste das schöne Verhältniß: Koko war wieder allein und langweilte sich. Mit vorüberschleichenden Katzen Freundschaft einzugehen, schien ihm nicht gelingen zu wollen; wenigstens kam es einmal zwischen ihm und einem mißliebig gestimmten Kater zu argem Kampfe, welcher trotz entsetzlichem Zischen und Miauen, Gurgeln und Schreien unentschieden blieb, obwohl er mit dem Rückzuge des wahrscheinlich unversehens von dem Affen ergriffenen Mäusejägers endete.

Da erhielten wir einen ganz jungen Affen von Koko’s Art zum Kauf. Unser Freund schien närrisch vor Freuden, als er das kleine Thierchen erblickte, und streckte verlangend die Hände nach ihm aus. Wir ließen den Kleinen los und er lief von selbst zu jenem hin. Welches Vergnügen drückten jetzt die Gurgeltöne des so lange vereinsamt Gewesenen aus! Er erstickte seinen angenommenen Pflegesohn fast mit Zärtlichkeitsbezeigungen. Zunächst begann er sodann die allersorgfältigste Reinigung desselben. Jedes Stäubchen wurde entfernt, jeder Stachel, jeder Splitter, wie sie in jenen kletten-, distel- und dornreichen Ländern immer im Haar der Säugethiere zu finden sind, wurde abgelesen, herausgezogen, weggekratzt. Dann folgten neue Umarmungen, neue Schmeicheleien und Liebesversicherungen in Gurgeltönen, neue Beweise unbegrenzter Zärtlichkeit. Wenn Jemand Miene machte, den Kleinen zu ergreifen, wurde der Alte ganz wüthend; wenn ihm einer von uns seinen Liebling abgenommen hatte, traurig und unruhig. Während das Aeffchen fraß, verwandte er kein Auge von demselben; der unbedeutendste Vorfall machte ihn besorgt. Der Kleine hing nun ebenfalls sehr bald mit großer Hingebung an seinem Wohlthäter und bewies ihm dann auch jenen kindlichen Gehorsam, welcher die Affen sehr auszeichnet, im vollen Maße. Ein Uneingeweihter würde den großen Affen nimmermehr für ein Männchen, den kleinen niemals für dessen Pflegekind, sondern jenen nur für die zärtlichste Mutter, diesen für das treugehorsamste Kind gehalten haben.

Koko hatte Unglück. Sein neuer, ihm so innig geist- und herzverwandter Pflegling starb bei aller ihm erwiesenen Sorgfalt. Ich habe oft tiefe Trauer bei Thieren (namentlich bei Vögeln) beobachtet, wenn ihnen der Gefährte entrissen wurde: etwas Aehnliches aber, als den nun sich äußernden Schmerz des armen Affen, sah ich weder früher noch später wieder. Zuerst nahm er seinen todten Liebling in die Arme, hätschelte und liebkoste ihn, ließ die liebevollsten Töne hören, setzte ihn dann an seinem bevorzugten Platze auf den Boden, sah ihn immer wieder zusammenbrechen, immer unbeweglich bleiben – und brach nun stets in wahrhaft herzbrechende Klagen aus. Die sonst so unangenehmen Gurgeltöne gewannen einen Ausdruck, wie ich ihn vorher nie vernommen hatte: sie wurden weich, ergreifend, ton- und klangreich und dann wieder unendlich schmerzlich, schneidend und verzweiflungsvoll. Immer von Neuem wiederholte er seine Bemühungen und erschöpfte sich in Liebesbeweisen; immer wieder sah er keinen Erfolg und von Neuem begann er zu jammern und zu klagen. Es war nichts Thierisches mehr an ihm zu bemerken; sein Schmerz hatte ihn vergeistigt, veredelt durch und durch. Ich ließ ihm seinen theuern Todten endlich wegnehmen und über die unser Gehöft umgebende Mauer werfen. Er gebehrdete sich, als ob er toll geworden wäre, hatte in wenig Minuten seinen Strick zerrissen, sprang über die Mauer hinweg, suchte sich seinen Pflegling, nahm ihn wieder in die Arme, drückte ihn liebevoll an sich und kehrte von selbst nach seinem Platze zurück, wo er alsbald seine Bemühungen, den Todten zu erwecken, wieder erneuerte. Der sonst so schlaue Affe schien Alles vergessen zu haben. Er ließ sich ohne Mühe wieder fangen und anbinden; nur wenn wir ihm seinen Liebling wegnehmen wollten, wurde er wüthend, biß und kratzte. Und doch mußte das endlich geschehen. Die kleine Leiche begann zu verwesen und verbreitete bald einen unleidlichen Geruch. Dazu kam, daß Koko weder fraß, noch sonstwie Lust am Leben zeigte und mir zu der begründeten Furcht Anlaß gab, daß

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