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wegen seiner zukünftigen Laufbahn. Einstweilen nahm er durch Schiller’s Vermittlung die Stelle eines Erziehers in dem Hause der bekannten geistreichen Frau von Kalb an, aber ungeachtet diese Freundin Schiller’s gewiß Alles aufbot, ihm seine Stellung angenehm zu machen, so verließ er dieselbe schon nach kurzer Zeit, um sich nach Jena zu begeben, wohin er durch Fichte’s berühmte Vorlesungen und durch den Verkehr mit Schiller sich mächtig gezogen fühlte. Der Letztere nahm den lebendigsten Antheil an den poetischen Arbeiten seines jüngeren Landsmanns, von dem er mehrere Gedichte und ein Fragment des Hyperion in der von ihm herausgegebenen neuen „Thalia“ veröffentlichte.

Da Hölderlin in Jena trotz seiner und Schiller’s Bemühungen kein gesichertes Einkommen sich verschaffen konnte, so mußte er wieder in die Heimath und zu seiner Mutter zurückkehren, die es nicht an liebevoller Unterstützung fehlen ließ. Mit der Vollendung des Hyperion und kleinerer literarischer Arbeiten beschäftigt, erhielt er auf die Empfehlung seines Freundes Sinclair das Anerbieten, eine Hofmeisterstelle in einem angesehenen Hause in Frankfurt a. M. zu übernehmen. Dies Verhältniß entschied über sein Geschick, und legte wahrscheinlich den Grund zu seinem nachfolgenden Wahnsinn. Bald machte die Frau vom Hause, eine geborne Hamburgerin und nach dem einstimmigen Urtheile Aller, die sie gesehen, mit einem vortrefflichen Charakter edles Zartgefühl und eine hohe Bildung vereinend, den tiefsten Eindruck auf die jugendliche Phantasie des Dichters. Anfänglich übte diese Neigung den vortheilhaftesten Einfluß auf Höderlin aus; wozu auch der erneuerte Umgang mit Hegel viel beitrug, der ebenfalls in Frankfurt eine Stelle als Hauslehrer gefunden hatte. Die Liebe zu jener ausgezeichneten Frau, welche er unter dem Namen „Diotima“ verehrte, schien seine poetische Schöpferkraft von Neuem anzufeuern; er dichtete mehrere bedeutende Gesänge, welche er Schiller mittheilte. Dieser verfolgte mit wahrhaft väterlich freundschaftlicher Gesinnung die Entwicklung des jüngeren Hölderlin, über dessen Wesen er schon damals folgenden höchst charakteristischen Brief an den minder für ihn eingenommenen Goethe schrieb:

„Es freut mich, daß Sie meinem Freunde und Schutzbefohlenen nicht ganz ungünstig sind. Das Tadelnswürdige an seiner Arbeit ist mir sehr lebhaft aufgefallen; aber ich wußte nicht recht, ob das Gute auch Stich halten würde, das ich darin zu bemerken glaubte. Aufrichtig, ich fand in diesen Gedichten viel von meiner eigenen sonstigen Gestalt, und es ist nicht das erste Mal, daß mich der Verfasser an mich erinnerte. Er hat eine heftige Subjectivität und verbindet damit einen gewissen philosophischen Geist und Tiefsinn. Sein Zustand ist gefährlich, da solchen Naturen so schwer beizukommen ist.“

Nur zu richtig hatte Schiller Hölderlin’s Zustand beurtheilt, obgleich derselbe vorläufig sich in seinen neuen Verhältnissen überaus glücklich fühlte. Er hatte einen Verleger für den ersten Theil seines „Hyperion“ gefunden, und beschäftigte sich mit der Vollendung dieses eigenthümlichen Romans, der, was Schönheit der Sprache und Tiefe der Gedanken betrifft, zu dem Vorzüglichsten gerechnet werden darf, was die deutsche Literatur aufzuweisen hat, und, wenn auch hier und da an Heinse’s Ardinghello anklingend, diesem in sittlicher und ethischer Beziehung unendlich überlegen ist, obgleich das lyrische Element auf Kosten der epischen Verwicklung vorwaltet. Die erhabensten Gefühle, Liebe, Freundschaft und Begeisterung für das Vaterland, geben dem Inhalt eine hohe Bedeutung für alle Zeiten.

Auch auf dem dramatischen Gebiete wollte Hölderlin wirken, und lange beschäftigte er sich mit dem Plane zu einem Trauerspiele, welches den König Agis von Sparta zum Helden haben sollte.

Unterdeß aber wuchs die Leidenschaft zu der Mutter seiner Zöglinge in einem Grade, daß er füglich nicht länger in ihrem Hause bleiben konnte, ohne sich und die Frau, welche seine Liebe erwiderte, zu verderben. Nach schweren Kämpfen, von denen seine Gedichte und die Briefe aus jener Zeit Zeugniß ablegen, riß er sich mit blutendem Herzen von ihr los. Er fand eine Zuflucht bei seinem treuen Sinclair in Homburg, der Alles anwendete, um den an Leib und Seele kranken Freund zu zerstreuen und herzustellen. Mit ihm wohnte Hölderlin dem bekannten Congresse in Rastadt bei, wo er jedoch weniger den politischen Vorgängen, als seinen literarischen Arbeiten Aufmerksamkeit geschenkt zu haben schien. Die deutsche Versunkenheit und Zerfahrenheit indeß, welche damals in grauenhafter Weise zuerst zum Vorschein kam, konnte sicher ihm nicht entgehen, und der Schmerz über diese erbärmlichen Zustände hallte in seinen spätern Gedichten klagend nach. Dieses Weh über den Verfall des Vaterlandes und die Gesinnungslosigkeit des deutschen Volkes steigerte sich in Hölderlin, dem die ideale Heldengröße des alten Hellas vorschwebte, zu einer Bitterkeit und Verstimmung, welche nicht ohne Einfluß auf seine spätere Geistesstörung blieb. Noch aber siegte seine Willenskraft über die äußeren und inneren Bedrängnisse; obgleich in seiner Jugendkraft gebrochen und vielfach tief verletzt, ließ er es nicht an neuen Versuchen fehlen, um sich mit dem Leben wieder auszusöhnen. Zunächst suchte er in neuen Arbeiten Trost; er schrieb den zweiten Theil des Hyperion, ohne jedoch den befriedigenden Abschluß für den Roman zu finden; auch vollendete er das Trauerspiel Agis, das leider durch einen Zufall im Manuscript verloren gegangen ist. Dagegen wurden die Fragmente einer andern Tragödie, „Empedokles“ erhalten, die trotz ihrer wunderbaren Gedankentiefe und der bedeutenden ihr zu Grunde liegenden Idee ein mehr lyrisches als wahrhaft dramatisches Talent bekundet. –

Mit diesen poetischen Beschäftigungen wechselten verschiedene Pläne, um sich eine gesicherte Existenz zu begründen. Zuerst beabsichtigte Hölderlin die Herausgabe eines periodischen Journals, das indeß nicht zu Stande kam; ebensowenig gelang es ihm, eine Anstellung als Docent an der Universität Jena zu erlangen. Wie nicht unwahrscheinlich, trat ihm hier Goethe hindernd entgegen, dessen objektiv abgeschlossene Natur sich mit einem so subjectiv zerfahrenen Charakter am wenigsten vertragen konnte. Noch in seinem Wahnsinne zeigte Hölderlin einen gewissen Widerwillen, wenn man in seiner Gegenwart den Namen Goethe’s erwähnte.

Kränkelnd, unzufrieden und in seinen Plänen gescheitert, kehrte Hölderlin von Neuem in das Haus der liebevollen Mutter zurück. Er sah alle seine Schulfreunde, die das praktische Leben besser verstanden, mehr oder minder versorgt und untergebracht, geehrt im Staatsdienst oder durch eigene Thätigkeit unabhängig, während er im reifen Mannesalter noch immer zum Theil auf die Unterstützung der Seinigen angewiesen war, und es zu nichts gebracht hatte. – Sein Stolz und ein empfindlicher Ehrgeiz litten unter diesem Zustande; es duldete ihn nicht länger in der Heimath, und er nahm deshalb mit Freuden wieder eine Hauslehrerstelle in Bordeaux bei dem Hamburgischen Consul an. Hier fühlte er sich auch anfänglich zufrieden; die südliche Natur des Landes, der classische Boden, den er betrat, die zarte, rücksichtsvolle Behandlung schien einen günstigen Einfluß auf sein verwundetes Gemüth auszuüben. Da traf ihn aller Wahrscheinlichkeit nach, plötzlich und unerwartet die Nachricht von der Krankheit und dem Tode jener Frau, die er noch immer heiß und innig liebte. Dieser letzte Schlag genügte, um den in allen Lebenshoffnungen betrogenen Dichter zu vernichten; seine Willenskraft, die nie besonders stark gewesen, wurde vollständig gelähmt, sein krankhafter Geist nun gänzlich zerrüttet. Man braucht nicht, wie Waiblinger, der mit Hölderlin später viel verkehrte, zu sinnlichen Ausschweifungen seine Zuflucht zu nehmen, um den jetzt mit Gewalt hervortretenden Wahnsinn zu erklären. Minder wichtige Momente, als der Tod einer angebeterten Geliebten, das Scheitern aller Aussichten und der Jammer über den Verfall des Vaterlandes, genügen wohl selbst einen gewöhnlichen Menschen, geschweige einen solchen Dichtergeist wahnsinnig zu machen.

Nachdem Hölderlin seine bisherige Stellung heimlich verlassen und ohne Aufenthalt ganz Frankreich zu Fuß durchwandert hatte, erschien er plötzlich wieder in der Heimath und bei seinen Freunden. So erzählt der Dichter Matthisson, daß er ruhig in seinem Zimmer gesessen, als sich die Thür geöffnet und ein Mann hereingetreten, den er nicht gekannt. Er war leichenblaß, abgemagert, von hohlem, wildem Auge, langem Haar und Bart und gekleidet wie ein Bettler. Erschrocken steht Matthisson auf, das schreckliche Bild auffassend, das eine Zeit lang verweilt, ohne zu sprechen, sich ihm sodann nähert, sich über den Tisch hinüber neigt, häßliche, ungeschnittene Nägel an den Fingern zeigt und mit dumpfer, geisterhafter Stimme murmelt: „Hölderlin.“ Und sogleich ist die Erscheinung fort und Matthisson hat Noth, sich von dem Eindrucke dieses Besuches zu erholen.

Hölderlin blieb anfänglich im mütterlichen Hause, wo er sich auch zu erholen und, abgesehen von einigen Anfällen, ruhiger zu werden schien. Er kehrte sogar zu seiner Lieblingsneigung, der Poesie zurück, indem er sich bald mit eigenen Dichtungen, bald mit Uebersetzungen aus dem Griechischen beschäftigte, welche allerdings neben

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