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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

übrigen Heerden nothdürftigen Schutz gegen die Winterstürme gewährte – aber nur von den Seiten, nicht von oben, denn es war nicht überdacht. Und doch besaß das Gut, in dessen Kern wir uns befanden, nicht weniger als 16,000 Morgen Flächeninhalt und gegen 10,000 Stück Vieh, vorzugsweise Schafe. Aber nur 100 Dessätinen[WS 1] (400 Morgen) davon waren mit Getreide bestellt, alles Uebrige freie Weide, jungfräuliches Land. Hier ist noch Raum für kommende Geschlechter, und Jahrhunderte wird es dauern, bis sich die Nachbarn mit den Ellnbogen stoßen, wie so häufig bei uns.

Zwei lebhafte Klepper der kleinen Steppenrace, die sich aus den kirgisischen und don’schen Pferdeschlägen gebildet hat, in Doppelpony-Größe, führten uns alsbald in rascher Spazierfahrt durch das weitläufige Besitzthum; sieben Werst hatten wir zu fahren, bis wir die Grenze erreichten, längs deren sich in verhältnißmäßig schmalem Streifen das cultivirte Land hinzog, wo der stattliche Ghirka-Weizen eben in voller Ernte befindlich war. Und hier durfte ich auch zum ersten Male erstaunen aber die wunderbare Fruchtbarkeit des Steppenbodens, denn ich vermochte den mitgebrachten Maßstab der Cultur der gepriesensten Länder anzulegen.

Das ganze Südrußland, vorzugsweise Neurußland geheißen, weil es zu den jüngsten Erwerbungen des großen Czarenreiches gehört, ist in der Urzeit unstreitig ein unermeßlicher See gewesen, dessen östliche und westliche Ufer in dem Hindukuschgebirge Asiens und in den Karpathen Ungarns emporstiegen. Als die gewaltige Wassermasse, Bahn brechend, ablief, ließ sie auf den Trillionen von Schalthieren des Untergrundes eine ungeheuere Masse von Schlamm zurück, gebildet aus verwesten Organismen und fein geschlämmten Erden in inniger Vermischung; dieser Urschlamm bildet jetzt den berühmten Tschernosem, die unerschöpfliche schwarze Ackererde des Landes, welche sich in der Mächtigkeit von wenigen Zollen bis zu 15 Fuß und darüber auf dem Muschelkalk abgelagert hat. Diesem Boden verdankt es der Landstrich, daß er, fast ohne alle jene künstliche Hülfe, welche bei uns die Pflanzenproduction erheischt, die noch lange Zeit ausreichende Quelle der Körnergewinnung für einen großen Theil der übrigen Welt ist. Freilich gehört noch ein wesentliches Agens zur völligen Entwickelung dieser Fruchtbarkeit, nämlich genügende Feuchtigkeit; denn hier brennt die Sonne mit heißestem Strahl und versengt in kurzer Frist die junge grüne Saat zu bleichen verschrumpften Greisenhalmen, wenn von den Niederschlägen des Frühjahres nicht ein genügender Ueberrest im Boden geblieben ist. Wenn aber dies der Fall oder der Vorsommer zeitweilig erfrischende Schauer bringt, dann entwickelt sich die Vegetation in fast unglaublicher Ueppigkeit. Die ganze Steppe überzieht ein dichter Teppich hochhalmiger Gräser, deren Aehren und Rispen sich manchmal bis zur Mannshöhe erheben; durchflochten ist er in saftigem Gewirr mit allerlei Kräutern, Ranken und Stauden, aus welchen prächtige Blumen bald einzeln die Köpfchen strecken, bald sich zu ganzen bunten Matten, Steppengärten, vereinen. Mit Verwunderung erblickt der fremde Wanderer da und dort Kinder der Flora wild und gedeihlich emporwachsen, die er daheim kümmerlich in Töpfen hegt; mit Entzücken pflückt er im engsten Umkreise einen Strauß, wie ihn zierlicher kein civilisirter Garten zu bieten vermag. Wie man inmitten der Alpengletscher zuweilen einen kahlen Fels mit Dammerde bedeckt und darin die prächtigsten Alpenblumen wuchern sieht – die sogenannten Gletschergärten – so schmücken sich auch in der Steppe vorzugsweise nur einzelne Stellen mit Farben und Düften, ohne daß man wüßte, wie und warum; vielleicht muß man wieder weit wandern, ehe man ein zweites, ähnliches Plätzchen findet.

Neben dem Nützlichen und dem Schönen erhebt sich aber auch das Widerwärtige und Schädliche; das ist der Burian, unter welchem Gesammtnamen man alle unnützen Stauden der Steppen begreift. Merkwürdige, geheimnißvolle Gewächse sind darunter: die Steppennadel, deren spitzer, mit Widerhaken gezähnter Samen den Thieren durch Haut und Muskeln dringt in ihr Herz und Eingeweide, so daß sie elendiglich erliegen müssen; das „betrunkene Kraut“, dessen Genuß die Pferde toll macht und lähmt, während es den Rindern nicht schadet; die Choleraklette, welche zum ersten Male mit der Seuche erschienen und ein specifisches Heilmittel gegen diese und die Hundswuth sein soll, und der Kurai. Letztere Pflanze, das gemeine Salzkraut, verdient besondere Erwähnung, da sie zu einem sonderbaren Phänomen Anlaß gibt, von dem ich mehr als einmal Augenzeuge gewesen bin.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Bücher-Absatz in Deutschland. – Seit Jahrzehnten hat in Deutschland kein belletristisches Werk einen solchen Erfolg gehabt, als Freytag’sSoll und Haben“. Eine aus guter Quelle geschöpfte Uebersicht über die verschiedenen Ausgaben des genannten Romanes vom Tage seines Erscheinens an bis auf die letzten Wochen wird dies deutlicher machen. „Soll und Haben“ erschien zuerst Ende April 1855 in einer Auflage von 1000 Exemplaren. Schon im Juli desselben Jahres folgte eine zweite, nicht ganz zwei Monate darauf eine dritte Auflage, jede von 750 Exemplaren. Acht Wochen später verließ die vierte, wieder 1000 Exemplare stark, die Presse, und ehe ein Jahr nach dem Erscheinen der ersten verflossen war, wurde eine fünfte nöthig, welche in 1500 Exemplaren abgezogen wurde. Man konnte nach den bisherigen Erfahrungen annehmen, daß damit der Bedarf des Publicums, welches fünf Thaler für einen Roman zahlen kann, so ziemlich erschöpft sein werde. Es war nicht so, und im November veranstaltete der Verleger eine sechste Ausgabe, welche 2000 Exemplare stark war.

Inzwischen war der Wunsch laut geworden, der Roman möge auch den weniger bemittelten Schichten des Volkes zugänglich gemacht werden. Diesem Wunsche entsprach die Ausgabe, welche in der Ostermesse 1858 die Presse verließ. Sie war zu dem Preise von 1 Thlr. 10 Ngr. zu haben, und daß sie ein Bedürfniß erfüllte, bewies sich dadurch, daß binnen sechs Wochen die 5000 Exemplare, aus denen sie bestand, abgesetzt waren. Eine weitere Auflage, ebenfalls 5000 Exemplare stark, war fast eben so rasch vergriffen, und soeben verläßt die dritte, wiederum in 5000 Abzügen, die Presse. So sind denn binnen 3½ Jahren nicht weniger als 7000 Exemplare der Ausgabe zu 5 Thlr. und 15,000 der Volksausgabe von „Soll und Haben“ auf den Büchermarkt gelangt – ein Phänomen, welches allerdings kein absoluter Beweis für den Werth des Buches, wohl aber ein entschiedener Beweis dafür ist, daß dasselbe mit seiner Sprache den Geschmack und mit den in ihm verkörperten Gedanken und Bestrebungen die Gedanken und Bestrebungen eines sehr großen Theils unserer Nation, und zwar nicht blos der Vornehmen und Reichen, getroffen hat.

Der Erfolg von „Soll und Haben“ hat sich aber nicht auf Deutschland beschränkt. Zunächst erschienen sehr bald nach den ersten Leipziger Auflagen mehrere Nachdrucke in Amerika. Der erste war der in H. Börnsteins „Anzeiger des Westens“, welcher den Roman im October 1855 brachte. Ein zweiter erschien im März des nächsten Jahres in der von G. Schneider und Daniel Hertle redigirten „Täglichen Illinois-Staatszeitung“, und ein dritter um dieselbe Zeit als Band für sich in der Buchhandlung von Ed. Bühler u. Comp, zu St. Louis. Letzterer, 1 Band in einer Art Lexikonformat, ist auch in typographischer Beziehung ein Muster der Art, wie man nicht drucken soll.

Inzwischen machte der Roman auch im Auslande von sich reden und bald hörte man von verschiedenen Uebersetzungen. Zuerst erschien 1856 bei Heckenast in Pesth eine ungarische, dann folgte 1857 eine schwedische, in demselben Jahre eine französische im „Moniteur“, die dann auch apart in 2 Bänden erschien, im Herbst desselben Jahres drei englische, denen 1858 noch eine vierte folgte, die später von einer New-Yorker Firma nachgedruckt wurde. Neuerer Zeit[WS 2] sind noch eine holländische und eine italienische Uebersetzung angekündigt.

Der Erfolg des Freytag’schen Buches steht übrigens nicht vereinzelt da. Stolle’s historischer Roman „1813“ wurde in drei Auflagen gedruckt, deren jede mindestens 1000 Exemplare anzuschlagen sein dürfte. Später erschien derselbe Roman in der Gesammtausgabe der Stolle’schen Schriften in 5000 Exemplaren, die nach drei Jahren bereits vergriffen und von zwei neuen Auflagen von je 1000 Exemplaren ersetzt wurden. Außerdem erschienen holländische und französische Uebersetzungen. Wir können also annehmen, daß auch dieser Originalroman in 10,000 Exemplaren in Deutschland allein verbreitet ist. In Amerika ist er vielfach nachgedruckt worden.

Freytag’s Erfolge, so bedeutend diese auch sind, bleiben indeß noch weit hinter denen Wilh. Hauff’s zurück. Dessen Roman „Lichtenstein“ erschien zuerst (bei Brodhag in St.) in zwei Auflagen, die uns zu 3 und 4000 Exempl., zusammen also auf 7000 Exempl. angegeben werden. Diesen beiden Auflagen folgten, wie wir aus bester Quelle schöpfen, im Jahre 1840–41 eine dritte Auflage von 10,000, 1846 eine vierte Auflage von abermals 10,000 Exempl. und 1853 die fünfte (sogenannte Classiker-)Auflage von 15,000 Exempl., in demselben Jahre eine sechste Auflage mit Stahlstichen von 2000 und 1856-57 eine siebente Stereotyp-Auflage von 5000 Exempl., der in diesem Jahre, da der Vorrath zu Ende geht, eine achte Auflage folgen muß. Der Gesammtabsatz in Deutschland – der amerikanische Nachdruck nicht zu rechnen – darf also auf 50,000 Exempl. geschätzt werden, ein Resultat, dessen sich in Deutschland kein zweiter Romanschriftsteller rühmen kann.

Das Glück eines unserer Dichter ist auch das Glück der Nation, der er angehört, auf die sein Ruhm zurückfällt. Goethe – um Großes mit Kleinerem zu vergleichen – wies, als man ihm von dem Streite, ob er oder Schiller der Größere, redete, die Frage als müßig ab. „Die Deutschen sollten Gott danken, daß sie zwei solche Kerle hätten.“

B. K.


Berichtigung. In Nummer 9 ist auf Seite 121, Spalte 1, Zeile 34 von oben ein Druckfehler stehen geblieben, den die geehrten Leser gefl. berichtigen wollen. Der Dichter des Liedes: „Wir hatten gebauet“ heißt nicht Bieger, sondern Binzer.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist das russische Flächenmaß Dessjatine. 100 Dessjatinen entsprechen ca. 1100 ha.
  2. Vorlage:Zeitt
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_160.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2023)