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Zufall gebaut. Aber wie oft muß der Zufall helfen! Und einen völlig Unbekannten hätten Sie der Polizei nicht abgeleugnet. Schwarz mußte der zweite Dieb sein. Und mir blieb kein Zweifel mehr, daß er auch aus dem Hause entkommen war. Dieses war fortwährend besetzt geblieben, man hatte nur unverdächtige Leute hinausgelassen, allein unter diesen auch Ihren Bedienten, Herr Baron; man hatte den Mann nicht gekannt, aber Ihre Livree. Und dieser Bediente war – früh ausgegangen und nach einer Stunde noch nicht zurückgekehrt. Schwarz mußte in der Livree Ihres Bedienten das Haus verlassen haben. Und nun hatte ich auch seine weitere Spur. Er mußte sich vor allen Dingen der Livree entledigen, denn er konnte nicht zweifeln, daß sie sofort sämmtlichen Polizeibeamten Berlins signalisirt wurde; sein nächster Weg hatte ihn daher zu seinem gewöhnlichen Hehler führen müssen. Er hatte deren zwei; zu dem einen schickte ich Leute, zu dem andern begab ich mich sofort selbst. Und ich traf ihn da. Nicht nur ihn, sondern auch alle Sachen, die er Ihnen gestohlen hatte, mit Ausnahme derer der Kammerjungfer; wo er diese gelassen hat, weiß ich noch nicht. Bei dem zweiten Hehler hatten meine Leute die beiden Ihnen am gestrigen Nachmittage entwendeten Koffer gefunden.“

Der Baron begriff nun auch.

„Und was sagt dieser freche Dieb jetzt?“ fragte er.

„Er leugnet vorläufig Alles. Später wird er schon Ausreden genug haben, denn dumm sind die Berliner Diebe nicht.“

„Hm, hm,“ sagte der Baron.

Der Polizeihauptmann entfernte sich wieder. Der Baron und die Baronin waren wieder allein. Sie sahen sich an.

„Ich glaube beinahe, er hat Recht, meine Gemahlin. So dumm sind diese Berliner Diebe doch nicht.“

„Aber auch die Berliner Polizei ist nicht so dumm, mein lieber Freund.“

„Hm, meine Liebe, da könnte man doch noch einige Bedenken haben. Was hat denn dieser Polizeihauptmann, der freilich kein Dieb, sondern ein wirklicher Polizeihauptmann ist, eigentlich gethan? Ueberall ist ihm der Zufall zu Hülfe gekommen. Und, bei Lichte besehen, bin ich es, der ihm diesen Zufall zu Hülfe geschickt hat. Denn hätte ich nicht den klugen Einfall gehabt, den Dieb, der sich für einen Grafen Schimmel ausgab, die Nacht über hier bei uns aufzunehmen, jener Polizeihauptmann mit der ganzen Berliner Polizei würde nie darauf gekommen sein, daß er in diesem Hause den Einbruch verübt hatte. Also mir allein verdankt man den Erfolg.“

„Du hast Recht, lieber Baron. Kehren wir aber möglichst schnell nach Hinterpommern zurück.“




Wanderungen im südlichen Rußland.

Von Dr. Wilhelm Hamm.
2. Die Steppe.

Sie dehnt sich aus von Meer zu Meere;
Wer sie durchritten hat, dem graust.
Sie liegt vor Gott in ihrer Leere,
Wie eine leere Bettlerfaust.
Die Ströme, die sie jach durchrinnen,
Die ausgefahrnen Gleise, drinnen
Des Colonisten Rad sich wand;
Die Spur, in der die Büffel traben,
Das sind, vom Himmel selbst gegraben,
Die Furchen dieser Riesenhand.

Wenige Minuten vor Thorschluß war es, als unser Reisewagen an der Chersoner Tamoschna, dem nordöstlichen Thore der Stadt Odessa, hielt. Bekanntlich hat dieselbe zur Zeit noch einen Freihafen, es darf demnach Niemand die Stadt verlassen, ohne sich einer Visitation nach zollpflichtigen Gegenständen unterworfen zu haben, und Punkt acht Uhr des Abends im Sommer fällt der Schlagbaum, der jeden Ausgang überhaupt verbietet, es sei denn in Kronangelegenheiten oder mit einer Specialerlaubniß des Gouverneurs. Wir ergaben uns gehorsam der Untersuchung, die Koffer, welche unter dem Schutz des leibeignen Dieners Ilia in einem besondern offenen Wagen, einem der berüchtigten Perekladnoi, folgten, mußten geöffnet, der Paß und Passagierschein vorgewiesen werden – Alles dies ging rasch und zu völliger Zufriedenstellung beider Theile vor sich. Wir hatten vier Postpferde vor einem trefflichen Brougham aus dem berühmtesten Pariser Atelier von Bender, die Postillone kannten den Edelmann, welchen ich begleitete, und seine Trinkgelder sehr gut, und so hatten wir über die Beförderung keineswegs zu klagen. Auf allen Poststationen waren die Pferde im Augenblick bereit, und geschont wurden sie nirgends. Es war eine wunderschöne Julinacht; unvergeßlich ist mir insbesondere eine Strecke vor der ersten Station Staraja Dosinofka, wo wir so dicht am Ufer des brandenden Meeres hinfuhren, daß die Wellen bis unter die Räder spülten.

Die ersten Strahlen der Morgensonne beleuchteten eine weite, von Hügeln durchwellte Ebene, welche schon den Charakter der Steppe trug, aber deren noch engbegrenzter Horizont nicht das Gefühl der Unendlichkeit hervorrief, das die eigentliche Steppe sicher kennzeichnet. Einen Büchsenschuß weit von der einsamen Poststation erhoben sich wunderliche Steinkreuze aus dem Gestrüpp, hier war ein verlassener Friedhof. Ich hatte Muße, zwischen diesen Denkmälern eine Viertelstunde umherzuwandeln; die Gräber sind von einem ovalen, regelmäßig geschichteten Steinhaufen überragt, erst aus diesem erhebt sich das griechische Kreuz mit seinem doppelten Querbalken und seinen kreisrunden Enden. Ein quadratischer Platz war mit einer Brustmauer umgeben; hier, erklärte mein Reisegefährte, hat früher ein Kirchlein gestanden, und die Stätte des Altars ist auf ewige Zeiten hinaus geheiligt, daher sie sorgsam vor der Entweihung durch den Fuß unreiner Thiere geschützt wird.

Nachdem uns unterwegs der aus der Krim zurückkehrende Prinz Albrecht von Preußen begegnet war, erreichten wir bei guter Zeit des Morgens das Plateau, von dessen mäßiger Höhe ein wundervoller Blick verstattet ist über die silberne Riesenschlange des Bug und jenseits die große Kriegsstadt Nicolajeff, deren Halbinsel der mächtige Strom in weitem Bogen umgürtet. Eine merkwürdige, während des Krimkrieges von dem genialen General Tottleben construirte schwimmende Brücke aus lauter Baumstämmen führt über den Fluß, welcher hier breiter ist, als der Rhein an irgend einer Stelle. Schwerlich hat jemals ein Deutscher nach dem Erbauer Zeit und Gelegenheit gehabt, diesen Brückenbau so zu studiren, wie ich; ich muß jedoch die Erzählung des merkwürdigen Abenteuers, das mich einen ganzen Tag lang (15. Juli 1858) von früh neun Uhr bis Abends sieben Uhr auf und zum Theil halb unter demselben festhielt, auf ein andermal verschieben.

Das Unheil, welches uns betroffen, nöthigte zur Rast in Nicolajeff, wir waren auch viel zu erschöpft, um eine zweite Nacht im Wagen zubringen zu wollen. Erst um die Mittagszeit des nächsten Tages verließen wir die großartige Schöpfung des vorigen Kaisers, der hier binnen kürzester Frist eine Stadt von ungeheurer Ausdehnung aus dem Boden gezaubert hat, deren Arsenale und Marinevorräthe selbst dem Erstaunen abzwingen müssen, der Woolwich und Toulon gesehen hat. Aber still ist es geworden in den Straßen und in den Werkstätten, die hohen Essen dampfen spärlich oder nicht mehr, die ungeheueren Hämmer der Ankerschmiede rasten, und zwischen den Tausenden von eisernen Schiffskanonen, die hier in langen Gallerien friedlich lagern, sprossen Blumen hervor und Gras. Wer ein Stück von der großen Wunde sehen will, die der Pariser Frieden Rußland geschlagen hat, der braucht nur nach Nicolajeff zu reisen; aber welcher Politik er auch angehören mag, er wird trauern darüber, daß so tüchtige Männer – viele Tausende – und mit ihnen eine Stadt von mehr als hunderttausend Einwohnern plötzlich, durch ein einziges Machtwort, von der Höhe tüchtiger, gewerblicher Thätigkeit in den faulen Sumpf des Nichtsthuns, der Armuth und des Siechthums geschleudert worden sind.

Wolkenlos war der blaue Himmel, als wir abfuhren, aber kaum nach einer Stunde bedeckt mit schweren dunklen Massen, und aus ihnen entlud sich ein furchtbares Gewitter in einer Heftigkeit, von welcher der Nordländer gar keinen Begriff hat. Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag folgten einander fast ohne Unterbrechung, der Regen schoß herab nicht wie ein Regen, nein, gleich einem Wasserfall, in wenigen Augenblicken erschien weit und breit umher das Land als ein See, und der Weg als ein reißender Bergbach.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_158.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2023)