Seite:Die Gartenlaube (1859) 152.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Vertrauen des Regierungsrathes auferlegt hatte, und sah fast mit Bangen der Zeit entgegen, wo ihr die Kinder wieder genommen werden würden.

Herr von Sieveringk war mit seiner Gattin abgereist. Wohin, das wußte Niemand. Ein dumpfes Gerücht nannte als Ziel seiner Reise „das Irrenhaus“!

Ein Schauer des Entsetzens durchlebte die sonst so starke Brust der Justizamtmännin, als sie diese Nachricht hörte. Es schien ihr nach dem Charakter des stolzen Edelmannes glaublich, daß er lieber vor den Augen der Welt eine irrsinnige Frau besitzen wollte, als eine verbrecherische. Und dann, hatte er denn Unrecht, Olga’s Fehlen als eine wahnwitzige Idee zu betrachten? Es lag Wahnsinn in ihrem Beginnen, obwohl ihr übriges Thun genugsam Verstand aufwies, um den Trieb dazu bekämpfen zu können. Aber der Gedanke blieb doch entsetzlich, eine junge schöne, dem weltlichen Leben blind ergebene Frau in’s Irrenhaus zu liefern, um sie in Ehren los zu werden. Denkbar war es, daß er es that. Er war herzlos, er war ein Spötter, ein Gottesleugner, ein Bonvivant, er war stolz, hochmüthig und gefühllos – genug, Herr Fabian von Sieveringk wurde unter der Voraussetzung, daß er seine Frau unschädlich machen und unter jeder Bedingung ganz aus seinem behäbigen Lebenskreise entfernen wollte, durch die Phantasie der ehrenwerthen Frau Justizamtmann Starkloff ein Unmensch, gegen den selbst die Kannibalen mit ihrer Neigung zum Menschenfleische wahre Engel waren. Sie redete sich ordentlich in Wuth, wenn sie ihrer Nichte den Egoismus zergliederte, von dem sich dieser entsetzliche Mann leiten ließe, und die entwürdigenden Vergehen der Frau Olga, deren gespenstisches Schleichen und scheues fremdartiges Wesen sie nie hatte ausstehen können, schrumpften unter den Vergleichungen mit ihrer möglichen Strafe zu einem Nichts zusammen. Sie schwor mit kräftigen Ausdrücken dem Herrn Fabian von Sieveringk eine derbe Empfangsrede zu, wenn er es sich hätte einfallen lassen, sein armes, beklagenswerthes Weib in ein Irrenhaus zu bringen, wo ihr partieller Wahnsinn durch die Zwangsjacke erst zu förmlichem Irrsinn ausgebildet werden würde.

Mit diesen welterschütternden Vorsätzen erwartete Frau Starkloff den Regierungsrath, allein er blieb klüglich so lange aus, daß ihre Entschlüsse Zeit hatten, zu verrauchen und bessern Einsichten Platz zu machen.


IV.

Der Regen strömte vom Himmel herab, als wollte er den Winter mit seinem Eis- und Schneemantel mit Gewalt von der Erde vertreiben, als an einem Februarabende der Bahnzug ganz gemüthlich daher schob und unter dem Wetterdache des Bahnhofes anhielt. Sogleich öffnete sich das Fenster eines Waggons und ein Herr rief mit der Herrscherstimme eines wohlgeschulten und eingeübten Reisenden: „Eine Droschke!“

Dicht neben ihm öffnete sich gleichfalls das Fenster, aber der Herr, welcher dort herausschauete, musterte blos verwundert die Stelle, von wo der Befehl erschallt, und zog dann mit leichten Gebehrden des Zweifels sein junges, wohlfrisirtes Haupt wieder zurück.

Gleich darauf wurden vom Schaffner die Thüren geöffnet, der zweite Herr sprang eilig heraus und kam gerade zu rechter Zeit, um dem andern hülfreich die Hand bieten zu können.

„Wahrhaftig! Ich habe mich also nicht getäuscht, als ich meines ehrenwerthen Onkel Fabian’s Stimme zu erkennen glaubte!“ rief Cécil. „Das ist doch aber grundkomisch, daß wir wahrscheinlich Rücken an Rücken einige Dutzende von Meilen gefahren sind, ohne es zu wissen. Wo bist Du denn gewesen, Onkel?“

„Das frage ich Dich, mon cher Cécil!“ erwiderte der Regierungsrath. „Du kommst mir sehr gelegen, um mir die erste schmerzlich trübe Einsamkeit meines Hauses weniger fühlbar zu machen. Du fährst mit mir! Meine Leute erwarten mich. Wir finden aufgewärmte Zimmer und erquickliche Speisen.“

Dem jungen Manne kam diese Beschlagnahme seiner Person nicht „gelegen“. Sein Herz hatte sich an Träumereien erquickt, deshalb brauchte er keine Speisen zu diesem Zwecke. Aber der Ton, womit sein Onkel sprach, klang ihm sonderbar. Auch verstand er die Worte nicht zu deuten, und als jetzt der volle Lichtglanz einer Gaslaterne auf das Gesicht desselben fiel, da erschrak er vor seinem bleichen und hohlen Antlitze, das sich um zehn Jahre älter auswies.

Mit einigem Widerstreben folgte er der herrischen Einladung. Wollte denn das Geschick durchaus die Kette nicht lösen, die ihn an den Mann fesselte, der stets auf seine Entschließungen dämonisch einwirkte? Was half ihm seine längere Abwesenheit, was halfen ihm die Schritte, die er zu seinem eigenen Besten ohne Vorwissen seines Onkels gethan hatte, um auf immer aus seiner Nähe zu kommen, und wo möglich das Glück seines Lebens vor seinen Spottblicken zu retten und zu sichern, was half ihm das? Gleich beim ersten Schritte in die heimathlichen Fluren packte ihn das Schicksal wieder und gab ihn dem Schlepptau seines Peinigers anheim.

Die befohlene Droschke kam vorgefahren und unter dem schönsten herniederrauschenden Regengusse stiegen beide Herren ein, um den ziemlich halbstündigen Weg zur Stadt zu fahren.

Zuerst schwiegen Beide; der Regierungsrath unter dem Drucke seiner unangenehmen Verhältnisse, die er mindestens dem Neffen gegenüber vom Schleier des Geheimnisses befreien mußte; Herr Cécil aber unter der Einwirkung eines stillen, grimmigen Trotzes, der ihm vortreffliche Rathschläge zuzuraunen beflissen war.

Das polternde Geräusch des Regens oberhalb ihrer Köpfe war eben nicht ermunternd zu einer vertraulichen Conversation, da sie jedenfalls mit übertriebener Lungenanstrengung verknüpft gewesen wäre, also schwiegen sie!

Endlich ließ das Prasseln nach und der Wagen fuhr etwas langsamer in einen aufgeweichten Fahrweg ein.

„Wo kommst Du her, Cécil?“ fragte Herr von Sieveringk, nun sich aufraffend, mit einiger Hast. „Bist Du bis jetzt beim Vetter Hanstein gewesen?“

„Nein,“ entgegnete der junge Mann kurz und fest. „Ich verließ die Oberförsterei, sowie mein Zustand besser wurde. Gerade heut vor vier Wochen!“

„Hast Du Dich mit Bella verlobt? Hast Du Helene von Kursen vergessen?“

(Schluß folgt.)




Eine Besteigung des Großglockner.
(Schluß.)

An dem kleinen Eishügel angekommen, mußte ich aufstehen. Eine schlimme Partie, denn nachdem dies geschehen, hatte ich nicht, wie vorher, wenigstens auf einer Seite eine Wand, gegen welche ich die Augen wenden und mich vor Schwindel schützen konnte. Der Hügel reichte mir nur etwa bis zur Mitte des Leibes; ich konnte es trotz aller Mühe nicht vermeiden, rings herum in die Tiefen zu schauen. Ich hatte gehofft, daß der Grund zwischen beiden Spitzen breiter sein würde und ich mich dort, vor Besteigung der zweiten Spitze, von aller Aufregung recht würde erholen können, indessen war es leider nur ein schmaler Sattel, sehr wenig breiter als der Grath, auf dem ich stand. Von diesem war der Abfall ganz steil und bestand in einer senkrechten Eiskante, etwa so breit, wie ein Männerrücken. Der Uebergang wurde in folgender Art bewerkstelligt:

Der Fleißner, gleich mir an dem Eishügel lehnend, befestigte sich mit dem Seile an demselben. Inzwischen hatte sich der Tribusser an uns vorbeigedrängt; nachdem ihm das Seil um den Leib gelegt worden, setzte er sich auf den senkrechten Abfall, und so ließ ihn der Fleißner einige Fuß hinabrutschen, wobei sich der Tribusser hinten an den Kanten der Eiswand festhielt. Nunmehr setzte ich mich, vom Fleißner am Seile gehalten, auf den Abfall, die Füße auf des Tribussers Schultern gestützt, so daß ich seinen Kopf zwischen denselben hielt. Ein anderes Seil, oben am Eise befestigt, wurde am andern Ende von dem untenstehenden Eder gehalten. Es diente vorzugsweise dem zuletzt Herabkommenden und dem zuerst wieder Aufsteigenden, doch wurde mir gesagt, daß auch ich nach demselben fassen sollte, falls der Tribusser mich nicht mehr aufhalten könnte. Der letzte Fall trat auch ein. Er konnte sich am Eise nicht fest

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_152.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)