Seite:Die Gartenlaube (1859) 149.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 11. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Onkel Fabian.
Ein Lebensbild von Ernst Fritze.
(Fortsetzung.)


Frau Starkloff, abgewiesen und zur Ruhe gebracht, entfernte sich mit ihrem Blumenwedel und dem nassen Schwamme, der eine kleine Pfütze auf dem Fußboden hinterlassen hatte. So wie sich die Thür hinter ihr schloß, sprang Helene auf, schob den Riegel vor und überließ sich nun einem verzweiflungsvollen Weinen.

„Liebe ihn doch nicht mehr!“ befahl die Stimme der Vernunft in ihr, „achte ihn doch nicht mehr, hasse ihn doch!“

„Ja, ja!“ antwortete die Stimme des Herzens, „ja, ich will ihn hassen, will ihn nicht mehr lieben, will ihn verachten!“

Und dabei weinte sie fort, bis der Kopf ihr schmerzte, bis die Augen halb blind waren und eine schwere Mattigkeit sie umfing.

„Womit habe ich mein Schicksal verdient?“ fragte sie sich jammernd. „O, daß ich meinen Blicken erlaubt habe, Verrath zu üben, daß ich meiner Zunge nicht Stillschweigen gebot, als er leidenschaftliche Fragen an mich richtete – er wird, er muß mich ja jetzt verhöhnen mit meiner Hingebung. – „Morgen früh,“ sprach er mit einem Blicke voller Zärtlichkeit, „morgen früh!“ Und er reiset zum Hause des Mannes, dessen Tochter auf seinen Antrag wartet? Und er bleibt Tage lang dort? Es ist vorbei! Keine Entschuldigung möglich – es gibt keine im ganzen, großen, weiten Weltall – vorbei!“

Sie trocknete ihre Augen und setzte sich wieder ruhig an ihre Arbeit.

„Für solche Sünden gibt es keine Strafen,“ sprach sie eine Stunde später ganz gefaßt, „die Folgen derselben müssen also nicht lebensgefährlich sein. Geduld und Demuth werden mir beistehen, wenn ich ihre Nachwirkungen zu überwinden trachte.“

Aber sie senkte nicht ihr „rosig blühendes Köpfchen,“ wie der Regierungsrath ironisch gemeint hatte, sondern sie hob die Stirn im Gefühle ihrer Unschuld und zeigte sie in gewohnter Klarheit, als sie ganz grundsätzlich an demselben Abende zu einem Balle sich bereit machte, wo Cécil natürlich nicht erschien, wohl aber der Regierungsrath von Sieveringk mit seiner auf das Kostbarste geschmückten Frau.

Was sie dabei empfand, als sie mit sehr bezeichnendem Erstaunen überall von der Verlobung des Assessor Cécil von Sieveringk mit Fräulein Hanstein reden hörte, wollen wir nicht weiter erörtern, aber angesehen hat ihr Niemand die Thränen, die sie vorher darüber geweint.

Dem Verbreiter dieser Nachricht entging dadurch der Triumph, ein liebesieches Herz verspotten zu können, und es durchschlich ihn ein leises Gefühl der Achtung, indem er die vollkommene Selbstbeherrschung des jungen Fräuleins beobachtete.



III.

„„Der Mensch versuche die Götter nicht“ sagt ein gewisser Schiller, der den „Taucher“ gedichtet haben soll,“ sprach der Regierungsrath, laut lachend einen Brief zusammenfaltend, den er eben gelesen hatte. „Liegt mon cher Cécil fieberheiß beim Vetter Hanstein zu Bette und läßt sich von acht weichen Mädchenhänden pflegen! Da wird denn wohl ein Fieber vom andern vertrieben werden und eine Hochzeit mit Schönbella steht in Aussicht! Das ist trostvoll für mich, denn ich fürchtete schon, als Menschenmörder vor das Forum der allgemeinen Menschheit gezogen zu werden! Das war der erste Brief, der mir in die Hand fiel – hier liegen noch einige,“ fuhr er fort und griff zur Scheere, um sie aufzuschneiden.

Er las, und sein Lachen verstummte. Er las noch ein Mal, und der Spott verkroch sich. Er las zum dritten Male und stampfte wüthend auf den Fußboden. Beim dritten Briefe dasselbe Manöver; beim vierten schlug er verzweiflungsvoll die Hände über den Kopf und begrub dann sein Gesicht darin.

Spötter, Spötter, Dein kaltes Herz zittert Dir in der Brust, die rächende Nemesis preßt Dir das Blut in diesem kalten Herzen zusammen, daß es zu zerspringen droht. Was begegnete Deinem Auge, daß Du ohnmächtig und machtlos zusammenbrichst?

Herr von Sieveringk raffte sich auf und stürzte wie ein Wahnsinniger zu seiner Frau hinüber. Sie war allein. Er legte die Briefe vor ihr nieder und flüsterte athemlos:

„Was heißt das? Ist das wahr? Was steht da – lies – lies – lies, daß ich es höre –!“

Frau Olga neigte das Haupt und las nicht. Sie wußte ja schon, was da stand.

„Lies!“ befahl Sieveringk.

Sie folgte dem Befehle nicht, aber sie weinte und zitterte auch nicht, sondern saß nur still und geduldig da.

„So will ich lesen,“ knirschte der Mann zwischen den Zähnen hervor.

„Rechnung über ein Armband – ohne unser Wissen unserm Lager entnommen – ist das wahr?“

Frau Olga neigte ihr Haupt tiefer.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_149.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)