Seite:Die Gartenlaube (1859) 140.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

der um meinen Leib befestigt war, der Tribusser und der Fleißner, den seine Gefährten den Bürgermeister nannten, einige Schritt von uns, seine kurze Pfeife rauchend, stand frei in der Mitte des Graths der Eder, schweigsam dem Gespräch zwischen uns Dreien zuhörend. Der Tribusser schlug den Rückweg vor, da wir ja die erste Spitze erreicht, die zweite nicht viel höher (circa 40 Fuß), der Uebergang zu ihr aber das Schlimmste bei der ganzen Sache sei. Er malte mir sehr unzeitgemäß aus, daß Einer den Andern dabei in die Tiefe reißen könne, ich daher als Urheber des Ganzen für unser Aller Leben verantwortlich sei. Der Fleißner stimmte so ziemlich bei. Ich entgegnete aber, daß es mir gleich sei, ob wir bis zur ersten Spitze oder nur zur Hütte der letzten Nacht gekommen, in beiden Fällen hätten wir den höchsten Punkt des Glockner nicht erreicht, und dies sei meine Absicht.

Der Eder fiel mit den Worten ein: „Der Herr hat Recht, und nun vorwärts.“

Er ging darauf über den Grath und der Meißner folgte ihm, während ich mit dem Tribusser an der Eiswand zurückblieb, der das an mir befestigte Seil fortwährend hielt. Darauf ließ Fleißner den Eder am Seile in den Grund hinab, der beide Spitzen trennt, sich selbst an der oben gedachten kleinen Eiswand haltend. Nach sehr langer Zeit kam Eder an diesem Seile wieder empor, verkündete, daß Alles bereit sei und ich kommen solle. Nun hieß es: die schmale, bordlose Kante überschreiten. Hier überfiel mich ein neues Grauen. Ich überzeugte mich, daß ich außer Stande war, den Steg zu überschreiten, deshalb kniete ich nieder, legte mein Gesicht dicht auf meine Hände, sah nur auf diese, weder rechts noch links und kroch so über den Grath, während an beiden Enden der Tribusser und der Meißner standen, jeder ein um meinen Leib befestigtes Seil haltend. Am Ende, bei der kleinern Eiswand, oder, um es richtiger zu sagen, dem kleinern vielfach ausgezackten Eishügel angekommen, mußte ich aufstehen.

(Schluß folgt.)


Erziehung im Hause.[1]
Nr. 3. Vater und Mutter.

Mag auch die Erziehung überwiegend der Mutter zugewiesen sein, selten finden wir eine Mutter, welche allein im Stande wäre, ein günstiges Ziel zu erreichen, der Vater muß sie unterstützen. Ebenso wenig werden wir anders, als ausnahmsweise, Fälle entdecken, in denen der Vater allein erwünschte Erziehungsresultate erreicht. Der Vater allein, der Mann, erzieht wohl leichter den Knaben zum Manne, die Mutter allein, das Weib, besser das Mädchen zum Weibe. Knaben ohne männliche Erziehung werden in der Regel Flegel oder Weichlinge. Mädchen, ohne weibliche Erziehung, fehlt meistens die echte Weiblichkeit. Allein, nur unter der Einwirkung von Vater und Mutter, welche sich in ihren Extremen mildern, ihre Lücken ergänzen, ihre Fehlgriffe verwischen, vermag die häusliche Erziehung ihre süßesten und segensreichsten Früchte zu reifen. Glücklich darum auch in dieser Weise die Kinder, denen Vater und Mutter zur Seite geblieben, bis sich die Erfahrung gereift und der Charakter geklärt!

Die gemeinsame Erziehung der Eltern vermag das höchste Ziel zu erreichen. Warum muß sie es nicht? – Warum sprechen die täglichen Erfahrungen unsern Angaben Hohn? – Warum tönt uns jeden Tag das bedeutungsvolle Wort „ungezogen“ entgegen, und bilden „Ungezogenheiten“ stets die überwiegende Menge dessen, was uns die Jugend zeigt? – Auf diese Einwürfe gibt es mehr als eine Antwort, allein ich will für diesmal nur eine geben. Zuvor nur noch die Frage: „Gibt es denn keine Beispiele von guter häuslicher Erziehung?“ – Es wäre Frevel, solches zu behaupten; allein in vielen Fällen sieht man nur deren Resultate, nicht, wie man es angestellt, sie zu erzielen.

Greifen wir jetzt in das Leben hinein, um die Wirksamkeit der Eltern auf ihre Kinder in ihren beiden größten Gegensätzen uns zu vergegenwärtigen!

Der Mann und die Jungfrau lernen sich kennen, nicht blos im Salon, nicht im blendenden Ballputz allein, nicht einseitig noch oberflächlich; auch im Kreise der stillen, häuslichen Wirksamkeit, im bescheidenen Hausgewande, alles prunkenden und täuschenden Flitters baar. Sie lernen sich hochschätzen mit ihren Vorzügen, ohne gegen die entdeckten Schwachheiten blind zu sein, und aus dieser gegenseitigen Hochachtung entspringt jene goldechte Liebe, welche allein ein dauerndes eheliches Glück verbürgt. Eine solche glückliche Ehe und das Familienleben, welches in ihrem Schooße ruht, ist allein der Garten, in welchem eine gute Erziehung gedeihen kann. – Das Wort des Pfarrers am Trauungsaltare: „Ihr müßt eure Kinder erziehen!“ verhallt nicht im Taumel des ersten Glücks, mahnt sie vielmehr seiner Zeit an ihre Pflicht, und doch nicht als Pflicht, als ein angenehmes Vorrecht, als eine Quelle neuen Glücks betrachten sie die Erziehung ihrer Kinder, und ist es denn nicht der edelste und schönste Acker, dessen aussprießende Keime, wie deren allmähliche Entfaltung und endliche Reife uns Augenblicke und Stunden seligen Genusses gewähren, wenn wir die Mühe und Sorgen des Gärtners nicht scheuen? – Darum genügt es ihnen nicht, wie tausend Andern, auf’s Gerathewohl in die Erziehung hineinzupfuschen, in dem guten Glauben, so, wie es Jeder mache, sei es eben am besten. Sie begreifen, daß, wenn schon jeder Gärtner, Landmann, Handwerker erst lernen muß, bevor er seine Sache versteht, es wahrhaftig wohl Roth thue, sich auch über die Erziehung zu belehren. So greifen sie denn gemeinsam zu den Werken, welche Belehrung bieten, erholen von gediegenen und erfahrenen Leuten sich praktische Rathschläge, und auf diese Weise befestigen sich in ihnen vernünftige und bewährte Grundsätze der Erziehung. In traulich ernsten Gesprächen werden diese Grundsätze, das Ziel ihres Strebens und der Weg, auf welchem sie dieses erreichen wollen, ihnen gemeinsam. Nur, wenn Vater und Mutter ein und dasselbe wollen und auf ein und dieselbe Weise, wenn beide stets nur wie aus einem Munde sprechen, erwächst im Bewußtsein der Kinder jener wahre Respect vor den Eltern, der, entfernt von Furcht, den liebenden Gehorsam und das sichere Vertrauen gegen die Eltern gebiert.

Voll Vertrauens gegen einander gehen Vater und Mutter sicheren Schrittes vorwärts auf der betretenen Bahn. Es ergreift sie kein Zagen und Schwanken, welches die Kinder als Schwachheit gegen sich auslegen und leicht benutzen. Sie haben keine Ursache, Maßregeln des Anderen zu mißbilligen oder zu widerrufen, viel weniger noch einander Vorwürfe zu machen. Jeder hat vollständig den Respect, den beide genießen, mithin wird keiner von ihnen in Versuchung kommen, den Andern zur Unterstützung seiner Autorität, oder zur Ergänzung des eigenen Verfahrens durch Executionen und dergleichen herbeizurufen. – Die Ergebnisse ihrer Beobachtungen bei den Kindern theilen sie sich sorgsam mit, die auf dem Gebiete der seelischen Entwickelung gleich genau, ja noch genauer, als die Erscheinungen in ihrem Körperleben. Sie führen dadurch gegenseitige Belehrung und Verständigung im Einzelnen herbei, welche sie vor Fehlgriffen zu behüten geeignet ist. Durch eine solche fortgehende Anregung und sich ausbildende Erweiterung des Gesichtskreises mittelst neuer Erfahrungen wird das Interesse für die Idee der Erziehung stets lebendig erhalten, dergestalt, daß selbst Täuschungen bitterer Art dasselbe nicht abzustumpfen im Stande sind.

So gehen Vater und Mutter Hand in Hand, so allein können sie ihre väterliche und mütterliche Einwirkung zur vollen Geltung bringen. Niemand kann sehnlicher, als ich, wünschen, daß in allen Familien Vater und Mutter so aufrichtig, vertrauend und sorgsam Hand in Hand gehen möchten!

Was hindert sie daran?

Wenn den Neuvermählten erst nach den Rosentagen, Wochen oder Monden die Augen aufgehen, nachdem ein flüchtiger Reiz oder allerlei äußere Convenienzen und Rücksichten den unauflöslichen Knoten geschürzt, von welchem der Dichter singt: „Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang!“ wo sollte denn da, in der Nüchternheit der Enttäuschung nach dem Rausche der Vergötterung, Gemüth, Frieden, Lust und Muth herkommen, sich wahren Ernstes der Erziehung der Kinder zu widmen! Nicht zu gedenken dessen, was

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_140.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)
  1. Siehe die Artikel in Nr. 4 und 30. (1858).