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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

ich neben und zwischen den Moränen fand (den Fels- und Schuttwällen, welche der Gletscher vor sich her schiebt).

Durch allerlei Fragen hatte, wie ich bereits gemerkt, Eder meine Kräfte jeglicher Art zu prüfen versucht. Mehr als meine Antworten schienen ihn die Erklärungen des Fleißner zu beruhigen, daß er mich ja von früher her kenne, und ich schon aushalten würde. Es wurde nun, nachdem die Eiseisen angelegt, das Eis betreten, zuvor mir noch der alte Tyroler-Spruch: „Laß Zeit“ eingeschärft. Als Laie würde ich des Gletschers Breite bis zur hohen Warte auf fünf Minuten geschätzt haben, als alter Gletscherwanderer würdigte ich sie ganz richtig auf zwei Stunden.

Er war von vielen Spalten durchrissen, bei denen uns zur Hülfe kam, daß die meisten und kleineren mit jungem und gefrornem Schnee, wenigstens oben, ausgefüllt waren, auf dem wir sie, Einer dem Andern vorsichtig folgend, überschritten. Indessen sahen wir auch manchen offenen und dunklen Schlund, darunter einen, in dem ein Vierspänner spurlos verschwinden konnte. Kein Unfall traf uns, denn den einen Führer, der in einen Spalt durch den Schnee brach, vermochten wir glücklich herauszuziehen, weil der Spalt sehr bald so eng wurde, daß er nur etwa bis zum Halse hineinsinken konnte. Nach etwa 1½ stündiger Steigung wurde der Gletscher so steil und, da Schnee nicht haften konnte, so glatt, daß wir die Seile umlegen und uns einander emporziehen mußten. Dabei fanden wir große Erleichterung durch einzelne Felsblöcke, welche sich von der hohen Warte herabzogen und aus dem Eise herausragten. Nach halbstündiger Wanderung war der Fuß der hohen Warte erreicht, welche uns von der höher liegenden Eiswelt trennte, und die an dieser Stelle kaum zwanzig Fuß hoch ist, auch wegen hervorragender Felsecken leicht erstiegen werden kann. Ich war bei dem Marsch im Sonnenschein, den wir auf dem Eise hatten, so warm geworden, daß ich schon auf der Mitte die leider noch immer nasse Jupe ausziehen wollte. Die Leute protestirten indeß dagegen, mich auf die dunkeln Nebel, welche auf der hohen Warte lagen, verweisend. Sie hatten sehr wohl gethan.

Mir war aufgefallen, daß der Sonnenschein, das klare Wetter gerade bis auf die hohe Warte reichte und dort ohne Uebergang von dem schwarzen Nebel begrenzt wurde. Deshalb kletterte ich hinauf und trat in diesen Nebel, auf das neue Eisfeld, fuhr aber entsetzt vor dem Unwetter zurück, welches mich hier packte. Zwar war es unten an der hohen Warte schon sehr kalt geworden, aber man befand sich doch noch im hellen Sonnenschein und fühlte diesen noch. Auch in den Nebel getreten, sah ich die Sonne noch durch den gelben Schein, den ich bei den ersten Schritten um mich herum wahrnahm. Er wurde aber bei jedem Schritte dunkler. Eine eisige Kälte hatte mich sofort empfangen, und ein die Haut verwundender, noch nie wahrgenommener Hagel, aus Eisspitzen bestehend, wie von zerbrochenen Nadeln, ließ mich eilig den Rückweg suchen.

Die Führer lachten, als sie mich wieder kommen sahen, und unter dem Schutze der Felswand ließen wir uns nun zum Frühstück, aus allerhand Fleisch, harten Eiern und Wein bestehend, nieder. Hier überzeugte ich mich, wie thöricht ich gewesen, den Führern ihre Verpflegung gegen besondere Bezahlung zu überlassen. Denn unmöglich konnte ich sie hier an ihrem Schnaps und trocknen Brode zehren lassen, während ich Wein, Backhähnel und andere Delicatessen vertilgte. So mußte denn für Vier herhalten, was für Einen bestimmt war.

Der Frost ließ uns nicht lange rasten, obwohl wir uns eng aneinander gesetzt hatten. Ich hatte mir schon unten ein schwelgerisches Mahl hier oben, über 10,000 Fuß hoch, ausgemalt; wir vermochten aber nur wenige Minuten auszuharren, und mußten eilig für unsern Leib sorgen.

In einer Felsspalte werden hier ein für alle Mal für den Nachfolger Eis- und Schneehacke aufbewahrt. Sie wurden hervorgezogen und frischen Muthes ging es nun in das Hagelwetter, in die eisige Dunkelheit hinein, immer noch besser als Regen, den es bekanntlich so hoch nicht mehr gibt. Es ging zwar steil, aber doch viel weniger steil in die Höhe, als während der letzten halben Stunde. Der tiefe Firnschnee war grobkörnig und trocken, wie er stets in dieser Höhe ist. Er erschwerte das Gehen nicht wenig, aber die Anstrengung war bei der furchtbaren Kälte eine Wohlthat für den Körper. Meine ganze bis dahin noch nasse Kleidung, vom Hut bis zur Gamasche, war sofort steif gefroren, mein Bart mit Eis überzogen und die Hände so erstarrt, daß ich den Alpstock nicht mehr zu halten vermochte. Abwechselnd steckte ich ihn unter den einen Arm, dessen Hand ich im Rock verbarg, um sie einigermaßen zu erwärmen, während der andere gleich einem Flügel in der Luft rudern mußte. Wenige Minuten nur konnte ich indessen die gut behandschuhete Hand im Freien lassen, sie mußte Schutz suchen und den andern Arm ablösen. Es war dabei so dunkel, daß man kaum das Zifferblatt der Uhr sehen konnte und, um die Stunde zu ermitteln, mit dem Finger nach dem Zeiger fühlen mußte. Die Sonne hatte uns aber auch hier nicht ganz verlassen, wenigstens für das Auge, wie wir an der gelbgrauen Luft wahrnahmen, die uns umgab. Eder fing an, über Augenschmerzen zu klagen, meinend, daß dieser dunkle, gelbe Schein hier oben den Augen weher thue, als das helle Sonnenenlicht. Ich selbst fühlte keinerlei Beschwerde, auch nicht an den Augen, und hatte letzteres wohl der blauen Schneebrille zu danken, die ich bereits auf dem Salmsgletscher aufgesetzt.

Nach etwa zweistündigem Steigen, von der hohen Warte ab, kamen wir an den Fuß der ersten Spitze, und hier beginnt nun die eigentliche Beschwerde, wenn auch noch nicht die Gefahr. Der Berg steigt jetzt in der Gestalt und Steile eines Zuckerhutes empor. Wir erreichten die Spitze vom Fuße dieser Stelle ab in 1 bis 1½ Stunden.

Um den Rückweg besser zu finden, und weil die Hände beim Klettern gebraucht werden sollten, den Alpstock daher nicht mehr halten konnten, wurden diese schon vorher von ½ zu ½ Stunde in das Eis gesteckt und stehen gelassen. Der Marsch war sehr beschwerlich. Vorauf ging der Eder, und hieb mit Beil und Hacke Stufen in das Eis, weil ohne solche kein Schritt gethan werden konnte. Ihm folgten der Fleißner, ich und der Tribusser, durch Seile mit einander verbunden, an diesen uns emporziehend. Wir mußten sehr langsam schreiten und nach etwa drei bis vier Schritten jedesmal eine Pause machen. Die Brust arbeitete wie bei der größten Anstrengung. Ich glaube, es war mehr die dünne Luft, die uns so angriff, als der Marsch. Der Hagel hatte sich längst in einen dick fallenden Schnee verwandelt. Je höher wir kamen, je gelber und heller wurde der Lichtschein um uns. Noch ehe wir die Höhe erreichten, ließ der Schnee nach, und es wurde völlig Tag. Etwa eine Stunde unter der Spitze, beim Beginn derselben, hatten wir einen Schmetterling, wenn ich nicht irre, einen Schwalbenschwanz, auf dem Schnee umherkriechend gefunden, den irgend ein Sturmwind heraufgebracht haben mußte. Sonst sahen wir an lebenden Wesen nur zwei Schneekrähen mit rothen Füßen und Schnabel. So hatten wir denn gegen zwei Uhr endlich die kleinere Spitze des großen Glockner erreicht. Sie besteht, so weit sie dem Auge sichtbar ist, aus reinem Firneise, und in einem etwa 25 Schritt langen Grath von circa einem Fuß Breite. Auf der südwestlichen Seite fällt der Berg ganz steil ab und bildet eine Wand von etwa 3000 Fuß. Auf der nordöstlichen Seite fällt der Berg nicht ganz so gerade, aber doch gleichfalls ziemlich steil, etwa 6000 Fuß tief auf die unten liegende Pasterze ab. Die ganze Wand besteht, wie auf der linken Seite, aus lauter Firneis, nur an wenigen Stellen tritt der graugrüne Fels hervor. Diese Wand ist voller Eisklüfte und Zacken, so daß ein Herabstürzender vorher in einer der ersteren liegen bleiben würde. Von einem Hinab- oder Hinaufsteigen ist natürlich keine Rede. Auf dieser nordöstlichen Seite findet oder fand sich damals (denn die Witterung verändert wohl) eine Eiswand von etwa sechs Fuß Höhe, eine gleiche, etwa halb so hoch, fand sich auf derselben Seite am Ende des schauerlichen Pfades, der in der Mitte auf eine Länge von circa zwanzig Schritt völlig bordlos zwischen den gräulichen Tiefen hinführte.

Ich kam ziemlich erschöpft auf der Spitze an, fand über mir dunkelblauen Himmel und eine prächtige, wenn auch beschränkte Fernsicht. Doch von alle dem vermochte ich im ersten Augenblick nichts zu empfinden. Oben angekommen und einen Blick in die Tiefe werfend, bemächtigte sich meiner eine große und da oben sehr gefährliche Nervenaufregung. Ich drehte mich deshalb schleunigst um, und legte mein Gesicht an die Eiswand zur Rechten. Hier faßte ich mich und wendete mich wiederum nach Südwesten, während ich mit dem Rücken an die Eiswand lehnte. Ich sah nicht vor mir in die Tiefe, sondern weit hinaus in die Ferne. Die Aussicht war ziemlich dieselbe, wie von der zweiten Spitze, nur von dieser theilweise verdeckt, weshalb ich sie nachher beschreiben will.

Jetzt wurde berathen, was weiter geschahen sollte. Neben mir

an der Eiswand standen, Jeder einen Strick in der Hand haltend,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_139.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)