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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Der Wirth ist Zimmervermiether; er selbst wohnt in den Mansarden.“

Sie gingen eine Weile schweigend, dann fing der Andere wieder an: „Du hast mir noch nichts von Deiner Stettiner Reise erzählt, Fritz.“

„Wozu?“

„Hast Du gute Geschäfte gemacht?“

„Es ist nicht viel zu machen.“

„Ja, ja, jeder Fremde ist jetzt wie ein Polizeidiener. Wenn man auf so einen Eisenbahnhof kommt und die Leute aussteigen sieht, Jeder sieht den Andern an, als wenn er nur Spitzbuben sähe, vor denen er sich zu hüten habe, die er einfangen müsse. – Aber hast Du denn gar nichts gemacht?“

„Es war zum Glück ein hinterpommerscher Landsimpsl da.“

„Der hat wohl Haare lassen müssen?“

„Seine Uhr –“

„Eine goldene?“

„Sie haben arme Bauern genug, um goldene Repetiruhren tragen zu können.“

„Und was weiter?“

„Seine Börse.“

„Gut gespickt?“

„So ziemlich.“

Sie hatten den Gensd’armenmarkt erreicht und blieben in der Nähe eines großen Hauses stehen. Es hatte drei Etagen. Alle drei waren dunkel. Nur ein Fenster in der Bel-Etage war erleuchtet.

„Das ist das Haus, Fritz.“

„Wo ist die Stube des Alten?“

„Gerade über dem erleuchteten Fenster.“

„Schlimm.“

„Es wohnen nur Chambregarnisten da.“

„Wer?“

„Fremde, die am Nachmittage eingezogen sind. Ich hörte es, als ich am Abend noch nachsah, ob die Luft rein bleiben werde.“

„Wiederhole mir, wie es im Hause aussieht.“

„Wir kommen durch die Hausthür auf einen geräumigen Flur. In diesem ist gleich links die Treppe. Sie führt an dem abgeschlossenen Flur der Bel-Etage zum zweiten Stock. Auch der Flur des zweiten Stocks ist abgeschlossen. Ich habe den Nachschlüssel zu der Thür. Der Flur ist schmal. Gleich links ist die Küche. Die Thür weiter ist die zu der Stube des Alten. Es liegt Alles ganz bequem.“

„Du hast also vier Schlüssel?“

„Vier: zur Hausthür, zur Flurthür, zu der Thür des Alten, zum Secretair.“

„Du wirst sie mir einen nach dem andern geben; meine Hand schließt leichter, wie die Deinige. Komm! – Noch Eins. Wenn ich ertappt werde, so kostet es mich zwanzig Jahre; merke Dir das. Ick habe ein Messer bei mir, das in diesem Falle zuerst für Dich bestimmt wäre.“

„Was fällt Dir ein, Fritz?“

Sie gingen vollends an das Haus. Vor der Thür blieben sie stehen und horchten nach allen Seiten. Es war überall still.

„Den Schlüssel her!“

Die Hausthür schloß sich leicht, ohne Geräusch auf. Die Diebe traten in das Haus. Sie legten die Thür in das Schloß, zogen den Nachschlüssel heraus und stiegen die Treppe hinauf. Alles leise; eine Katze hätte sich nicht leiser bewegen können. Sie gingen an dem ersten Stock vorüber und erstiegen die Treppe zum zweiten Stock. An der Flurthür des zweiten Stocks blieben sie wieder stehen. Sie horchten wieder, vernahmen aber nichts.

„Den zweiten Schlüssel!“

Auch diese Thür wurde ohne das mindeste Geräusch aufgeschlossen. Sie traten in den Flur, die Thür hinter sich anlehnend. Es war hier eben so still, wie dunkel. Sie gingen an der Küchenthür vorbei und standen an der Thür der Wohnstube, in welcher der Diebstahl ausgeführt werden sollte.

„Den dritten Schlüssel!“

Die Thür schloß leicht und leise, wie die beiden anderen. Die Nachschlüssel paßten in der That, wie die verschiedenen Stücke in dem Getriebe einer Dampfmaschine. Die Diebe traten in die dunkle Wohnstube.

„Hier ist der Secrctair.“

„Gib den vierten Schlüssel her. – Teufel, was ist das? Was hast Du mit dem Schlüssel gemacht? Er schließt nicht.“

„Laß mich probiren.“

„Hier.“

„Wahrhaftig, der Schlüssel will nicht öffnen. Der verdammte alte Geizhals muß ein Geheimniß an dem Schlosse haben.“

„Wir müssen es mit Gewalt sprengen. Gib Bohrer und Stemmeisen her.“

„Hier.“

„Du bohrst; ich breche auf. Dort! Nur leise, kein Geräusch.“

Sie arbeiteten mit Bohrer und Stemmeisen an dem Secretair.

„Das ist Alles verflucht fest und hart.“

„Da ist der Teufel im Spiele.“

„Man muß die Geduld nicht verlieren.“

„Wenn uns nur Niemand hört.“

„Schwätze nur nicht.“

„Da unter uns wird es lebendig; ich höre Schritte.“

„Es sind ja Fremde, sagtest Du.“’

„Ja.“

„Sie werden denken, der Alte sei zurückgekommen.“

„Aber wenn nun auf einmal der Alte käme?“

„Mein Messer träfe ihn oder Dich.“

„Teufel, Mensch!“

„Schwätze nachher. Arbeite.“

„Das Holz fängt schon an nachzugeben.“

„Hier auch.“

„Gleich sind wir am Ziele.“

„Hoffentlich.“

„Horch!“

„Was hörst Du?“

„Sind das nicht Schritte vorn im Flur?“

„Deine Angst hört sie wohl!“

„Gewiß.“

„Alle Teufel, da geht Jemand im Flur.“

„Er kommt näher.“

„Er ist vor der Thür.“

„Was fangen wir an?“

„Ruhig!“

Der Dieb, den der Andere Fritz nannte, derselbe, der aufder „Stettiner Reise“ einem „hinterpommerschen Landsimpel“ Uhr und Börse abgenommen hatte, sprach ruhig das Wort „ruhig!“ und ging dann leise zu der Thür, an deren anderer Seite man unmittelbar die Schritte hörte, suchte an der Thür nach einem Schieber, fand diesen und schob ihn ohne Geräusch vor.

„Vor einem plötzlichen Ueberfall wären wir sicher. Nun weiter!“

„Aber was nun weiter?“

„Es kommt darauf an. Vielleicht ahnt man uns gar nicht einmal hier.“

„Dann?“

„Dann arbeiten wir einfach weiter.“

„Wenn man uns aber ahnt?“

„So horchen wir, ob der Mensch allein ist. Ich höre bis jetzt nur Schritte eines Einzelnen. Ist er allein, so wird er zunächst uns hier oben einschließen wollen, um Hülfe zu holen; dem müssen wir dann zuvorkommen.“

„Wodurch?“

„Wodurch? Wir reißen die Thür auf, werfen ihn nieder und stürzen über ihn fort. Es wäre nur ärgerlich, daß wir hier alles im Stiche lassen müßten.“

„Aber wenn er nun schon für Hülfe gesorgt hätte? Schon unten? Er fand die Hausthür offen.“

„Es wäre schlimm.“

„Dann? Was machten wir dann?“

„Still! Die Schritte entfernen sich.“

„Sie gehen hinten in den Gang; da schläft die alte Magd.“

„Es ist also doch der Alte, der zurückgekommen ist?“

„Er wird die Magd wecken wollen.“

„Sieh durch das Fenster.“

„Wonach?“

„Ob Platz und Straße frei sind.“

„Ich sehe keinen Menschen.“

„Dann fort!“

„Wohin?“

„Zum Teufel, aus dem Hause, aus der Wohnung, ehe der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_131.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2023)