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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

wir das Räubergesindel. Es waren zehn Mann, Bergamesen und Brescianer, von denen ich Einige persönlich aus den Gefängnissen kannte, schlechtes und nichtsnutziges Volk. Sie entbehrten aller romantischen oder gar politischen Vorzüge, mit denen man in Deutschland so gern italienische Räuber ausschmückt, aber sie schlugen sich tapfer, das muß ich sagen. Von Pardon und Ergebung wollten sie nichts hören, obwohl Alle am Ende nur Gefängnißstrafe zu erwarten gehabt hätten. Wir griffen sie an, sie schossen gut aus ihren langen Flinten und tödteten drei Gensd’armen. Mehrere von meinen Leuten wurden schwer verwundet, ich selbst erhielt einen Streifschuß am linken Oberarm. Sieben Räuber blieben auf dem Platze, und wir brachten nur drei gefangen nach Brescia zurück, welche schwer verwundet waren. Einer, ein großer, stattlicher Mann, ein Bergamese, vertheidigte sich, bereits aus mehreren Schußwunden blutend, an ein Stück alten Mauerwerks gelehnt, mit dem Kolben seiner langen Flinte um sich schlagend, gegen fünf Gensd’armen. Ich befahl meinen Leuten, nicht zu schießen, und rief ihm zu, sich zu ergeben, da jeder Widerstand nutzlos sei. Es war vergebens. Ein wohlgezielter Schuß durch den Kopf streckte ihn todt an der Mauer nieder. Ich kann nicht leugnen, ich empfand ein Gefühl schmerzlichen Mitleids, als ich Feuer geben und ihn stürzen sah. Die Tapferkeit flößt mir, selbst bei einem Räuber, immer Respect ein. Doch da ist Camnago, meine Herren, hier muß ich mich von Ihnen trennen.“

Der Zug hielt. „Camnago, Signori,“ schrie der Conducteur durch die Wagen, und der Officier stieg aus.

„Wenn Sie mal wieder die Brescianer Gebirge durchstreifen wollen, dann melden Sie sich bei mir,“ rief er nur noch zum Abschiede vom Perron zu, „ich will Ihnen dann doch lieber ein paar Gensd’armen mitgeben.“

Der Zug brauste weiter und die grünen Waldberge von Como, in den Duft des anbrechenden Abends getaucht, erschienen mit ihren weißen Häusern und Villen, in deren Fenstern die röthlichen Strahlen der Sonne funkelten, im Hintergrunde des schönen Landschaftsbildes. Ein hoher, bewaldeter Bergkegel trat aus dem Höhenzug hervor, und auf ihm erhob sich der alte Thurm des Castello Baradello, welches Kaiser Friedrich der Rothbart zerstörte. Mit jeder Minute Zeit, welche die Locomotive zurücklegte, rückte das Gebirge näher heran, immer deutlicher zeichneten sich die runden Conturen der Berge auf dem tiefblauen Himmel ab, und weiße Häuserstreifen, über denen einige alte Mauerreste hervorragten, bezeichneten die Stadt Como. „Camerlata,“ riefen die Conducteure wieder in die Wagen hinein. Der Zug hielt, wir stiegen aus, und fuhren auf einem der kleinen, einspännigen, italienischen Wagen, welche an der Station hielten, durch eine schöne Pappelallee im gestreckten Trabe der alten Stadt zu. In kaum einer halben Stunde rasselte unser Wagen bereits auf dem Pflaster der langen Straße, welche vom Mailänder Thor nach dem Hafen führt. Wir hatten dem Kutscher befohlen, nach der Italia, einem der Gasthöfe, welche am Hafen liegen, zu fahren, um noch eine kurze Fahrt auf dem See machen zu können. Da stand in der langen Straße ein hübsches Mädchen vor einer Hausthür, und über der Hausthür hing ein Wirthshausschild. Der Graf nickte dem Mädchen zu, und sie lachte. Schnell zog ich den Arm des Kutschers an, welcher die Zügel hielt, und unser Wagen rollte vor die Hausthür, in der das hüsche Mädchen stand, und der Wirth im Albergo zur Italia hatte die Aussicht verloren, uns am andern Tage theure Rechnungen zu schreiben, was in Como in den Gasthöfen am Hafen der Brauch ist.

Der Hausknecht nahm unsere Reisekoffer vom Wagen und das Mädchen ging voraus, um uns unser Zimmer zu zeigen. Als wir die Treppe hinaufstiegen, fragte ich den Grafen in französischer Sprache, was er meine, ob die hübsche Kleine die Kellnerin oder eine Tochter des Wirthes sei? Das Mädchen drehte sich, bevor der Graf antworten konnte, schelmisch zu uns um und sagte:

„La petite est la fille, Monsieur, pas la servante.“

Etwas betroffen darüber, daß sie meine Frage verstanden hatte, nahm ich den Hut ab, und entschuldigte mich wegen des, „la petite jolie,“ sie lachte, öffnete die Thüre des für uns bestimmten Zimmers, machte einen Knix, wiederholte nochmals „La fille, Monsieur,“ und lief die Treppe hinab. Die Stube enthielt, wie die meisten Zimmer in den italienischen Wirthshäusern, außer dem übrigen Mobiliar ein Bett, so breit, daß vier Menschen neben einander darin Platz hatten, und ein breites großes Sopha, welches so hoch war, daß man sich nur vermittelst eines Sprunges auf dasselbe setzen konnte, und die Füße, wenn man glücklicherweise zum Sitzen gekommen war, nicht ganz den Boden berührten. Die Fenster reichten ganz bis auf den steinernen Estrich hinab, und führten auf einen kleinen eisernen Balkon, von dem man auf die Straße blickte, auf der das Wagengerassel gar nicht aufhörte. Es war ja die Straße, welche in ihrer Fortsetzung die italienische Eisenbahnlinie mit zwei Hauptstraßenzügen verbindet, welche über die Alpen nach Deutschland führen, mit dem Straßenzug über den Splügen und mit dem über das Wormserjoch, der höchsten Alpenstraße Europa’s, auf welcher mich vor zwei Jahren in der letzten, großen Gallerie kurz vor der Höhe des Jochs eine Lawine verschüttete.

Behaglich streckte ich mich auf dem weichgepolsterten Sopha aus, nachdem es mir gelungen war, durch einen Sprung auf seine Höhe zu kommen, und der Graf ging hinunter, um ein Mittagessen zu bestellen. Nach wenigen Minuten trat er lachend wieder ein, und rief mir zu: „Denken Sie mal, ich habe unten noch zwei junge Mädchen gesehen, welche noch weit hübscher sind, wie die Kleine, welche vor der Hausthüre stand.“

Schleunigst kletterte ich von meinem Sopha herunter, und ging nun auch hinab. Nach einigen Minuten kam ich wieder herauf und machte meinem Reisegefährten die überraschende Mittheilung, daß ich unten außer den drei jungen Mädchen, welche wir jetzt Beide gesehen hätten, noch eine vierte entdeckt habe, mit so schönen Augen, daß ich sie zur Unterscheidung von den andern die flammenäugige Luigia nennen wolle.

Wir lachten, und gingen nun Beide in das Gastzimmer, da der Graf die flammenäugige Luigia sehen wollte, und als wir unten am Tische saßen, und unsere Suppe mit Fromajo würzten, traten zwei andere Mädchen herein, ebenso hübsch und ebenso zierliche Figuren, wie die waren, welche wir jetzt bereits gesehen hatten, und fragten uns, welchen Wein wir zu trinken beabsichtigten.

Wir sahen uns erstaunt an. „Nun habe ich bereits sechs gezählt, ich werde wirklich neugierig, wann das ein Ende nimmt,“ sagte der Graf erstaunt zu mir, und schenkte sich ein Glas von dem rothen Wein ein. Gerade trat die blonde Teresa, welche, als wir durch die lange Straße fuhren, vor der Hausthüre stand, herein, und sagte, ebenso schelmisch lächelnd, als sie mir auf der Treppe mittheilte, daß sie die Tochter vom Hause sei:

„Encore pas, Monsieur, nous sommes neuf.“

Verwundert legte ich die Gabel aus der Hand.

„Neun Mädchen,“ rief ich aus, „und alle so hübsch?“

„Alle so hübsch,“ erwiderte Teresa, „aber zwei von uns sind verheirathet, und haben den Gasthof in Varese. Wenn Sie nach Varese reisen und auf den Madonna del Monte steigen, können Sie dort auch meine Schwester Eliza sehen, welche Sie auch wohl so nennen werden, wie meine Schwester Luigia; denn ihre Augen sind noch dunkler. Wie hieß das Wort doch?“

„Flammenäugig, Signora,“ widerholte der Graf italienisch, „hat mein Freund gesagt.“ Alle drei Mädchen lachten, das Wort hatten sie noch nicht gehört; wenigstens hatte es wohl noch Niemand auf Luigia’s Augen angewandt.

„Bereuen Sie noch, daß wir nicht am Hafen eingekehrt sind, Herr Graf?“ fragte ich meinen Reisegefährten, welcher die auf dem Rost gebratene Cotelette vergessen zu haben schien, welche schon lange vor ihm stand und kalt wurde.

Er schien meine Frage zu überhören. „Jetzt weiß ich, wo wir sind,“ rief er plötzlich aus. „Der Marchese P. in Venedig hat uns ja diesen Gasthof dringend empfohlen.“

„Der Marchese?“ wiederholte die Flammenäugige. „Kennen Sie den Marchese? Er ist hier und muß sogleich zurückkommen. Er wollte nur einen kurzen Besuch bei einem Freunde machen.“

Sie hatte kaum ausgesprochen, als der Marchese in das Zimmer trat. Wir hatten seine Bekanntschaft in Venedig im Salon der Principessa G. gemacht. Er war ein Verwandter der Fürstin Belgiojoso, der die Villa Pliniana am Comer See gehört, jener bekannten Dame aus der italienischen Aristokratie, welche sich an dem Feldzuge des Sardenkönigs Karl Albert im Jahre 1848 betheiligte und später nach Paris floh. Der Marchese war ein schöner, stattlicher Cavalier, in seinem ganzen Wesen, in seinem Gesicht und in seinem Nationalgefühl so recht ein Repräsentant der italienischen Aristokratie. Seine politischen Ansichten trugen eine prononcirte Färbung, die Einheit Italiens und die Republik waren in seinen Ideen identisch, er wollte von den liberalen Bestrebungen und vom König von Sardinien nichts hören, von dem er behauptete, daß er

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