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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

capisco, Signor“ eben so trocken erwidern, wie Ihnen. Verstehen Sie nun?“

Die einzelne Thatsache begriff ich, aber noch nicht den Grund derselben. Der Officier mochte dies auf meinem Gesichte lesen und fuhr fort:

„Die Mehrzahl der Eisenbahnbeamten und Conducteure in der Lombardei sind Italiener, denn die österreichische Regierung vermeidet vernünftiger Weise Alles, um das Nationalgefühl der Lombarden nicht durch Anstellung deutscher Beamten zu verletzen. Die wenigen Deutschen, welche sich unter dem Eisenbahnpersonal befinden, haben deshalb keine angenehme Situation und vermeiden Alles, was ihren italienischen Cameraden unangenehm sein könnte; insbesondere sprechen sie in ihrer Gegenwart kein Deutsch und geriren sich auch nicht als Deutsche. Derselbe Fall, der Ihnen so eben passirt ist, passirt mir, da ich viel unterwegs bin, häufig und auf allen italienischen Eisenbahnlinien. Begreifen Sie nun, warum der Mann Sie nicht wiedererkennen wollte?“

Jetzt war mir das Benehmen des deutschen Eisenbahnconducteurs ganz natürlich, obschon es mich gerade nicht mit besonderer Achtung gegen meinen deutschen Landsmann erfüllte. Wenn der Italiener kein Deutsch sprechen will, hat er Recht; wenn aber der Deutsche seine Nationalität verleugnet, um sich seine sogenannte bürgerliche Stellung vortheilhafter zu machen, so ist das eine Charakterlosigkeit, worüber man sich – leider muß ich es zugestehen – bei einem Deutschen nicht wundern kann. Ich habe in Italien viel und häufig mit Italienern verkehrt und sagte ihnen ganz offen, daß ich ein Deutscher sei, aber ein Freund Italiens und der italienischen Sache, und bin dann immer mit Freundlichkeit und sogar mit Herzlichkeit aufgenommen worden. Unduldsam ist der Italiener gerade nicht, die Unduldsamkeit liegt nicht in seinem Charakter, welcher offen, weich und leicht empfänglich ist, nicht tückisch und hinterlistig, wie die Lüge behauptet. Ich habe italienische Patrioten gesprochen, die, trotz ihres starren und unbeugsamen Festhaltens an der italienischen Nationalität, die großen Vorzüge, welche die österreichische Regierung für die Lombardei im Vergleich mit anderen italienischen Staaten habe, mit großer Offenheit anerkannten und nur bedauerten, daß die österreichische Regierung nun einmal keine italienische sei. Der junge Erzherzog, welcher jetzt Statthalter in Italien ist, ist nicht nur durchaus nicht unbeliebt, er ist durch seine große Humanität und durch sein intelligentes Wesen sogar sehr beliebt. Nur in diesem Sinne habe ich, selbst von heißblütigen Patrioten, von dem Erzherzoge sprechen hören. Wäre es die Absicht der österreichischen Regierung, wie kürzlich die Rede war, ihn zum Herzoge der Lombardei zu machen, und würde es ihm dann überlassen, die Lombardei nach seinen eigenen Intentionen zu regieren, so glaube ich mit Gewißheit versichern zu können, Oesterreich könnte durch nichts die Lombardei gegen perfide französische Interventionsgelüste besser sicher stellen, als durch diese einzige politische Maßregel.

Auch der verstorbene Radetzky war durchaus beliebt in der Lombardei, weil Grausamkeiten und Brutalitäten seinem Charakter fremd waren; er kannte Italien und den Charakter der Italiener, vermittelte deshalb die Amnestieen und rieth immer zur Milde und zur Vermeidung jeder Verletzung der italienischen Nationalität. Oesterreich hat an ihm die beste Stütze seiner Regierung in der Lombardei verloren. Ich kenne einen andern Obergeneral der österreichischen Armee, der ganz die Intentionen Radetzky’s verfolgt hat und der überall, wo er commandirte, von den Italienern nicht allein geachtet, sondern sogar geliebt wird. Niemand hat der österreichischen Regierung in Italien mehr geschadet, als einige Oberofficiere. Haynau – um nur Einen zu nennen – war der größte Feind Oesterreichs sowohl in Ungarn, als in Italien. Brescia wird ihm von den Italienern nie vergessen. Der alte Radetzky wußte dies recht wohl und der geistvolle und humane junge Erzherzog weiß dies auch.

Meinen deutschen Landsmann, den Eisenbahnconducteur, sprach ich nach einigen Wochen wieder, als ich von Mailand nach Bergamo fuhr. Es war kein Mensch auf dem Perron, der ihn hören konnte, und er redete mich freundlich in wohlverständlichem Leipziger Deutsch an. Ich betrachtete ihn einen Moment und machte ein verwundertes Gesicht, als wenn ich ihn nie gesehen hätte, gerade wie er auf der Eisenbahnstation vor der Porta Nuova in Mailand, dann sagte ich: „No capisco, Signor.“ drehte mich um und ließ ihn stehen.

Ich sprach viel mit dem Gensd’armerieofficier, der seit zehn Jahren in der Lombardei stand und ein sehr verständiger Mann war, über diese Dinge und er gab mir vollkommen Recht und war ganz meiner Ansicht. Während dem durchbrauste die Locomotive das fruchtbare Flachland, welches aussah, wie ein unabsehbarer Wald von Maulbeerbäumen, Platanen und Weinlaub, und die alte Stadt Monza mit ihrem alten, schon von der lombardischen Königin Theodolinda erbauten Dome und dem Sommerpalaste des Erzherzogs Statthalter mit seinem schattigen Parke flog an uns vorüber. Im Dome wird die eiserne Krone aufbewahrt, mit welcher vierunddreißig lombardische Könige gekrönt wurden. Louis Bonaparte würde gar zu gern auch hier die Scene aus der Lebens- und Feldzugskomödie seines Onkels wiederholen, die Krone sich auf den Kopf setzen und dabei Gott anrufen, wie es sein Onkel und er that, als er im Palaste der Nationalversammlung zu Paris den Eid auf die Verfassung schwor. In dem Sommerpalaste starb im vorigen Sommer die junge und hübsche Gemahlin des Erzherzogs Karl Ludwig, Statthalters von Tyrol, Margarethe, Tochter des Königs von Sachsen. – Dann wurde das Flachland hügelig und die grünen Hügel waren durch weiße Landhäuser mit schlanken Säulen geschmückt; es war die fruchtbare, reiche Brienza, durch welche wir fuhren, einer der schönsten Districte der Lombardei; das große Schloß von Desio mit seinem schönen Park und Seregno erschienen, und jenseits Seregno erhob sich ein langer, bewaldeter Bergrücken.

„Sehen Sie dort die Berge?“ fragte der Gensd’armerieofficier. „Es ist der Monte Resegnone. Im vorigen Jahre habe ich jene Berge viel mit meinen Gensd’armen durchstreift. Es hielten sich dort Räuber auf, welche die Gegend unsicher machten.“

„Räuber?“ fragte ich. „War es Diebsgesindel, welches nur stahl, oder waren es ordentliche Räuber, welche bewaffnet waren und sich wehrten?“

Der Officier lächelte über meine Terminologie.

„Nein,“ erwiderte er, „es waren keine ordentlichen Räuber, es war nur Diebsgesindel, und wir fingen sie ohne Widerstand. Aber kennen Sie den Höhenzug, der sich nördlich von Brescia nach Bergamo ausdehnt?“

„Ich kenne das Gebirge, ich habe es durchstreift!“

„Allein?“

„Ja, allein!“

„Das hätten Sie auch besser unterlassen können. Das Gebirge ist dort unsicher. Daß Sie so wieder herausgekommen sind, haben Sie von Glück zu sagen.“

„Aber ich war bewaffnet.“

Der Officier lachte.

„So, worin bestanden denn Ihre Waffen?“

Ich zeigte ihm meinen schönen damascirten, gewundenen Dolch und ein doppelläufiges Terzerol.

„Nun,“ sagte er, „gegen das Diebsgesindel im Monte Resegnone hätten Sie Ihre Waffen wohl verwenden können, aber nicht gegen die ordentlichen Räuber, wie Sie sie tituliren, im Brescianer Gebirge.“

„Sind diese Räuber denn tapfer?“ fragte ich.

„Die Italiener sind meistens tapfer,“ erwiderte der Officier. „Unter den vielen Unwahrheiten, welche die deutsche Presse und deutsche Reiseschriften über Italien verbreiten, gehört auch die Behauptung, daß die Italiener feige seien. Der einzige italienische Volksstamm, von dem ich behaupten möchte, daß er weniger Energie und weniger Thatkraft besitzt, wie die andern, sind wohl die Venetianer. Sie sind überhaupt weicher organisirt, wie die übrigen Italiener. Sie hören es auch an der Sprache und an dem Dialekt, der voll Vocale ist. Die Lombarden sind durchgängig rauher, sowie die Sarden, auch energischer und tapferer, besonders die Bewohner der Bergdistricte. Die Comasken und Savoyarden haben sich in allen Aufständen der vergangenen Jahre durch Energie und Tapferkeit ausgezeichnet.“

Wie klang das anders, als wenn man in den deutschen Zeitungen Artikel über Italien liest, Artikel, aus der Feder von Correspondenten, welche niemals in Italien waren, sondern nichts thun, als abgebrauchtes, dummes Geschwätz traditionell mittelst der Tinte fortzupflanzen!

„Aber, um nochmals auf die Räuber in den Brescianer Gebirgen zu kommen, nach denen Sie streiften, Herr Oberlieutenant?“

„Nun,“ erwiderte er, „ich durchstreifte mit sechzehn Gensd’armen die Berge, welche Sie ja kennen. Am zweiten Tage trafen

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