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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

kann man annehmen, daß die Vögel als Gäste des Schiffes zu honorig sind, das Gastrecht zu verletzen. Die erwähnte Gesellschaft lebte mehrere Tage in größter Eintracht auf dem Schiffe. Durch ein Loch über einer Kanone kam noch eine Rothschwänzin hinzu, die sich alle Tage treuherzig von den Matrosen füttern ließ. Letztere sind gewöhnlich roh, aber seit uralten Zeiten unverbrüchlich human und menschenfreundlich gegen solche beschwingte Gäste, unter denen sich deshalb der Glaube an die Noblesse der Schiffer traditionell wie ein Dogma fortgepflanzt haben mag. Wer weiß, ob nicht die Vögel auch ihre eigene Sagen- und Volkspoesie haben!

Wären die Schiffer nur bessere Beobachter, wir wüßten gewiß schon manches interessante Geheimniß von den Sitten und Gebräuchen der Zugvögel auf Reisen. Schon Homer singt von den Zügen der Kraniche. Und so ziehen sie noch. Nachdem sie sich auf den Sümpfen des weißen Nil oder an den Ufern des Euphrat und Tigris des warmen Winters erlabt, ziehen sie in regelmäßiger Ordnung über Kleinasien oder über das mittelländische Meer nach ihren europäischen Sommerquartieren. Die Schiffer sahen oft ganze Phalanxen in Keilform mit wechselnden Führern vorn hoch in dem Aether bald hin-, bald herwärts ziehen mit dem eigenthümlichen Singsang, der in seiner Schauerlichkeit aus den Kranichen des Ibykus von Schiller herausklingt. Die Kraniche sind starkgefittigt und nehmen kein Gastrecht auf Schiffen in Anspruch. Ebenso die Pelikane, obgleich schwer von Gewicht. Sie formiren sich in der Luft zu einer mathematisch genauen Keilform mit scharfer Spitze und durchschneiden so die Luft, wie ein Pfeil. Von den Sümpfen des Nil aufsteigend und sich Morgens sammelnd, bieten sie in ihrer schneeweißen Farbe mit den rothen Pünktchen oben, von der Sonne beschienen, einen seltsam schönen Anblick.

Kleinere, schwächere Zugvögel, wie Motacilla Hispanica, eine Art Bachstelze, Lerchen u. s. w. kommen in Masse auf Schiffe. Ein schwedischer Capitain sah einmal eine ganze Wolke Bachstelzen gegen einen Gewittersturm kämpfen, um sein Schiff zu erreichen. Es wurde Nacht und das Gewitter furchtbar mit seinem Orkane. Am folgenden Morgen sah er das Meer mit Bachstelzen und Lerchen besäet. Blos eine Lerche und eine Motacille hatten das Schiff erreicht und fraßen sofort aus der Hand.

Der Sperling macht oft aus bloßer Neugier Besuche auf Schiffen. Auch liebt er menschliche Gesellschaft, die er in Afrika oft nicht findet. So kommt er oft von der Nordküste herüber, hüpft und flattert auf dem Deck herum, schnappt und stiehlt, was er kriegen kann, und macht sich beiläufig wieder fort, ohne nur Adieu zu sagen. Sicilien ist reich an Sperlingen und alten griechischen Tempelruinen. Reisende, welche Letztere besehen, werden oft von Sperlingen auf Schritt und Tritt verfolgt, als wollten sie auch Antiquitäten studiren oder horchen, was die Fremden dazu sagen.

Drosseln machen oft beinahe die ganze Seereise auf Schiffen, die zwischen den Cykladen und Griechenland laufen. Der Fettammer benutzt oft die Küstenschifffahrt Englands, um wohlfeil zu reisen. Manchmal bleiben kleine Heerden über 24 Stunden an Bord.

Das interessanteste Feld für das Studium der Zugvögel sind die Liparischen Inseln, ein Hauptabsteigequartier der Frühlings- und Herbstreisenden, darunter ganz seltene Zugvögel. Die vulcanischen Kegel und Spitzen dieser Inseln sind oft dicht belebt von mehreren Gesellschaften dieser beschwingten Karawanen. Auf diese können sie sich verlassen, da sie fest stehen und nicht, wie die Schiffe, blos den Glücklichen im Unglück Herberge bieten.

Dies ist ein flüchtiger Blick in eine interessante, noch wenig beachtete Sphäre der Natur und ihrer Lebensphänomene, der sich noch viel abgewinnen ließe. „Ueberall, wo man das Leben packt, ist’s interessant,“ und hier gewiß mehr, als in vielen andern Ausflüssen.




Italienische Skizzen.
Von G. R.
Nr. 1. Como.
Ein deutscher Eisenbahnconducteur. – Italienische Räuber. – Neun schöne Mädchen, – Das Officierkaffeehaus in Como. –

Schon schlug es drei Viertel auf vier Uhr auf dem Marmordome von Mailand, als ich im gestreckten Trabe mit dem Grafen T. aus der Bella Venezia nach der Eisenbahnstation vor der Porta Nuova fuhr, um mit dem um vier Uhr abgehenden Zuge nach Camerlata und von dort nach Como zu reisen. Im Nu waren wir aus den Wagen und, nachdem unsere Effecten an den Ort ihrer Bestimmung geschafft, nahm ich von dem hübschen lombardischen Kutscher durch ein gutes Trinkgeld Abschied. Er nickte mir freundlich zu, und wir gingen zur Expedition, um Billets nach Camerlata zu lösen und uns in ein Coupé des bereits zum Abgange fertigen Zuges zu setzen.

Auf dem Perron stand ein Eisenbahnconducteur, ein Deutscher, ein geborner Sachse. Er war Postconducteur auf der Postlinie durch das tyroler Pusterthal gewesen und hatte mich vor zwei Jahren auf der neuen Hochstraße durch das Amgezzanerthal nach Treviso gefahren, als ich die Formation der Dolomiten, welche sich nirgends in den Alpen so großartig und so charakteristisch aufbauen, wie in diesem wunderbar schönen Querthal, untersuchte. Trotz seines großen Schnurr- und Backenbartes, welcher die ganze untere Hälfte seines echt deutschen Gesichtes einrahmte, erkannte ich ihn sofort wieder, redete ihn freundlich an und fragte ihn, seit wie lange er an der Eisenbahn angestellt sei, und ob wir in Camerlata Wagen finden würden, um nach Como zu fahren. Der Mann sah mich an, als wenn er mich niemals gesehen hätte. Ich erinnerte ihn an meinen Streit mit dem Postmeister zu Lengarone, der mir keine Postpferde geben wollte und nur dann erst nachgibig wurde, als ich mich, auf seinen Rath, so grob wie nur irgend möglich benahm. Sein Gesicht behielt indeß immer denselben verwunderten Ausdruck, keine Miene verrieth, daß er mich wiedererkenne, und als ich, voll Verwunderung über sein schwaches Gedächtniß, immer weiter in deutscher Sprache auf ihn einredete, sah er mich noch erstaunter an und sagte und erwiderte nichts, als: „No capisco, Signor.“ Jetzt machte ich ein noch erstaunteres Gesicht, wie er selbst, da ich meiner Sache und seiner Person ganz gewiß war.

„Was, Sie verstehen kein Deutsch? das ist denn doch zu arg. Sie sind ja aus Leipzig. Wir sind ja einen ganzen Tag miteinander auf der Briefpost gefahren, von Niederndorf bis nach Belluno. Sie hatten ja ein Exemplar der Gartenlaube in der Tasche und haben mich zwanzig Mal auf unserer Tour nach dem Verleger derselben, nach dem Buchhändler Keil, und dem Professor Bock gefragt, von denen ich Ihnen haarklein Alles erzählen mußte, was ich wußte und was ich nicht wußte. Haben Sie denn das hübsche Mädchen in Cortina auch vergessen, über welches ich beinahe alle meine geognostischen Untersuchungen der Dolomiten vergessen hätte?“

Der Mann blieb ganz stumm. Und als ich weiter auf ihn eindrang und mir alle mögliche Mühe gab, sein Gedächtniß zu schärfen, um ihn zu einer vernünftigen Antwort zu vermögen, wiederholte er nochmal ebenso eintönig sein „No capisco, Signor.“ und drehte sich um. Die Locomotive pfiff zur Abfahrt und schleunig stieg ich in das Coupé, wo der Graf neben einem österreichischen Gensd’armerieofficier längst seinen Platz genommen hatte.

Beide Herren lachten, als ich mich zu ihnen setzte. Sie hatten mein Gespräch mit dem Eisenbahnconducteur Wort für Wort mit angehört.

„Aber warum lachen Sie denn, Messieurs?“ fragte ich. „Haben Sie gehört? Begreifen Sie das? Der Mann ist in der That ein Deutscher. Ich irre mich nicht.“

„Nein, Sie irren sich auch nicht, Sie haben ganz Recht, der Mann ist aus Leipzig,“ erwiderte mir der Officier. „Ich bin in Mailand stationirt, fahre wöchentlich mehrmals nach Como und kenne ihn ganz genau. Er spricht nur kein Deutsch, aber Italienisch redet er ganz vortrefflich.“

„Er spricht kein Deutsch? Man kann doch nicht auf solche Weise in zwei Jahren seine Muttersprache vergessen.“

„Ach, Sie verstehen mich noch nicht,“ sagte der Officier. „Wenn Sie allein mit dem Manne wären, würde er mit Ihnen Deutsch sprechen; er thut es nur nicht hier auf dem Perron in Gegenwart seiner Cameraden. Es geht mir gerade so mit ihm. Wenn ich ihn jetzt in deutscher Sprache anredete, würde er mir sein „No

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