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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Monsieur Joachim,“ commandirte die Kammerjungfer, „ich fahre in der ersten Droschke und Er wird in der zweiten fahren.“

„Wenn Sie es so meinen, Mamsell Justine.“

„Er hält sich aber immer ganz dicht hinter mir, damit Er auf die Sachen in meiner und in Seiner Droschke achten kann.“

„Ich werde schon aufpassen, Mamsell Justine.“

„Daß Er mir nur ja die Augen offen hat; die Berliner Diebe sind sehr frech.“

„Ah, Mamsell, mir sollte so ein frecher Bursche kommen!“

„Meint Er denn,“ daß ich mich vor solchem Gesindel fürchte?“

Die beiden Droschken fuhren ab. Sie hielten sich, wie Mamsell Justine befohlen hatte, immer dicht hintereinander. Sie erreichten das neue Quartier am Gensd’armenmarkte.

„Monsieur Joachim, helfe Er mir aus dem Wagen – ah, wie hart sitzt man in diesen Berliner Droschken! Na, wenn sie keine weitere Bildung hier haben, von der die gnädige Frau so viel spricht –! – So, Joachim, jetzt trage er die Sachen hinauf; ich werde unterdeß hier Wache halten, damit nichts gestohlen wird.“

Der fette, träge Joachim sah sich mit einigem Schrecken die vielen Koffer, Kisten und Schachteln an, die er hinauftragen sollte.

„Ich allein, Mamsell Justine?“

Mamsell Justine sah fragend die Droschkenkutscher an; diese schüttelten die Köpfe.

„Mamsellken, wir haben Sie hierher gefahren mit Ihrer Bagage da; wir haben unser Geld. Adieu, Mamsellken.“

Sie fuhren ab.

Auf dem Gensd’armenmarkte hatten an einer Straßenecke zwei Menschen gestanden, ein Mann in den dreißiger und ein Bursche von etwa achtzehn Jahren. Aber der Mann sah verlebt aus, wie ein Sechziger, und der Bursche so unreif, als wenn er kaum funfzehn Jahre zählte. Ihre Röcke waren abgeschabt; ihre Stellung und Mienen waren die der Trägheit. Nur ihre verschleierten Blicke flogen rastlos, als wenn sie fortwährend etwas suchten, auf dem weiten Platze hin und her.

Berliner Eckensteher waren sie nicht. Diese Species der Berliner Bildung war damals schon ausgegangen. Wer mit anderen Sorten der Berliner Intelligenz vertraut war, wäre auch über ihren Stand nicht lange zweifelhaft gewesen. Die verschleierten Augen hatten mit ihren lebhaften Blicken bemerkt, was sich vor dem neuen Quartiere des Barons von Goddentov begab. Mit einem gegenseitigen leisen Zunicken verfügten sie sich hin.

„Madame, können wir Ihnen nicht helfen?“ sagte der jüngere Bursch sehr höflich zu Mamsell Justine.

„Ah, ah, Madame!“ sagte Mamsell Justine für sich. „Das ist ein höflicher junger Mensch. – Wird es Ihm wirklich allein zu schwer, Monsieur Joachim?“ fragte sie den Bedienten.

„Man ist doch angegriffen von der Reise, Mamsell Justine.“

Der ältere der beiden Männer hatte schon einen Koffer auf seine Schultern geladen; er hatte sich gar den schwersten ausgesucht. Dem Monsieur Joachim lachte das Herz im Leibe. – „Wohin?“ fragte ihn der Mann.

Aber Monsieur Joachim war doch auch ein vorsichtiger Mann.

„Mamsell Justine,“ flüsterte er in das Ohr der Kammerjungfer, „ich denke, wir accordiren vorher mit den Menschen, damit sie uns nicht später überfordern.“

Mamsell Justine sah die Richtigkeit dieser Bemerkung ein. Sie wandte sich an die beiden Männer. „Wie viel bekommt Ihr, wenn Ihr die Sachen hinauftragen helft?“ fragte sie.

„Wie hoch geht es, Madame?“

„Eine Treppe.“

„Zwanzig Silbergroschen wäre wohl nicht zu viel, Madame.“

„Zwanzig Silbergroschen!“ rief die Kammerjungfer entsetzt.

„Für den Mann, Madämken.“

„Madämken! Er ist ein Flegel.“

„Zusammen denn einen Thaler, liebe Madame,“ sagte höflich der jüngere Mensch.

„Noch keinen halben Thaler,“ rief die Mamsell.

„Na, zwanzig Silbergroschen denn, liebe Madame!“

Monsieur Joachim warf der Mamsell einen Wink zu.

„Nun, so sei es,“ sagte sie. „Aber es ist ein Sündengeld. Für zwanzig Silbergroschen hat man in Hinterpommern vier solche Burschen drei Tage lang im Tagelohn.“

„Das ist in Hinterpommern auch, Madämken!“ sagte der ältere Mensch.

„Was will Er mit Seinem „auch in Hinterpommern“?“ fuhr Mamsell Justine auf.

Der Bediente aber sagte: „Für die zwanzig Silbergroschen müßt Ihr aber die Sachen allein tragen.“

„Ganz allein, Herr, das versteht sich.“

Aber der junge Bursche hatte noch ein Bedenken.

„Beste Madame, wären Sie nicht von der Güte, das Geld uns vorauszugeben?“

Mamsell Justine wurde trotz der Höflichkeit des jungen Menschen dunkelroth vor Zorn.

„Seht einer die Frechheit!“ rief sie, auf’s Höchste aufgebracht.

„Wir haben es so nöthig, beste Madame.“

„Aber zum Donner–, gehe ich Euch denn mit dem Gelde durch?“

„Das gewiß nicht, liebe Madame. Aber es arbeitet sich besser, wenn man schon etwas in den Taschen fühlt.“

Monsieur Joachim warf der Mamsell einen bittenden Blick zu. Sie zahlte keifend den Manschen zehn Silbergroschen aus.

„Es ist eine Schande. Nun tragt schnell, ohne weitere Umstände.“

„Sie sollen mit uns zufrieden sein, Madämken. Also eine Treppe?“

„Monsieur Joachim,“ sagte Justine, „Er ginge wohl dem Menschen nach?“

Aber der träge Diener war auch dazu zu träge. „Ich bleibe doch lieber zu Ihrem Schutze hier, Mamsell Justine.“

Auch der jüngere Bursch belud sich. Er hatte sich den zweiten schweren Koffer ausgesucht. Er war flink damit die Treppe hinauf, seinem älteren Begleiter nach. Joachim machte es sich bequem, indem er sich auf eine Kiste setzte. Dann stellte er Betrachtungen an.

„Was das Volk hier mager ist, Mamsell Justine.“

„Aber doch flink!“

„Ich glaube, die bekommen hier nicht halb so viel zu essen, wie bei uns in Hinterpommern.“

„Und arbeiten doch das Doppelte.“

„Meinen Sie, Mamsell Justine?“

„Gewiß meine ich das, und Er sollte sich nur ein Muster daran nehmen, Er, Monsieur Joachim. Sitzt Er da und rührt keinen Knochen, und die beiden Menschen kommen nicht wieder –“

„Ich wundere mich auch darüber, Mamsell Justine. Sie waren so flink hinauf, und herunter – zurück kommen sie nicht. Es ist curios.“

Ein Dienstmädchen kam aus dem Innern des Hauses zu ihnen.

„Ah, Sie lassen wohl die Sachen hinaufbringen?“

Mamsell Justine war einmal am Keifen. „Sind die Dienstmägde in Berlin so neugierig?“

Aber das Mädchen war ein Berliner „Mädchen für Alles“, sie hatte also auch auf Alles eine Antwort. „Sehe einer die alte magere Schachtel!“

Mamsell Justine wurde wüthend, „Ich eine Schachtel?“ rief sie. „Ich alt?“

„Meinetwegen können Sie auch eine junge Meerkatze sein.“

„Ei, Sie freche Person!“

„Na, hören Sie ’mal, ein so grobes Maul brauchen Sie auch nicht zu haben, wenn man mit gutem Herzen zu Ihnen kommt. Was haben Sie denn da für ein paar verdächtige Menschen mit den Sachen hinaufgeschickt?“

„Das ginge Sie, naseweise Person, wohl etwas an?“

„Aber es geht Sie wohl nichts an, daß die beiden Menschen über Hals über Hopf mit Ihren zwei Koffern von oben her die Hintertreppe hinuntergerannt sind und jetzt schon längst in der Taubenstraße und über alle Berge sein werden? Ich wollte sie aufhalten, aber der Eine stieß mich auf die Seite, daß mir noch die Knochen wehe thun, und da liefen sie alle Beide an mir vorüber.“

Das war ein Donnerschlag, wenigstens für Mamsell Justine. Monsieur Joachim blieb noch sehr gleichgültig auf seiner Kiste sitzen.

„Es wird so schlimm nicht sein,“ sagte er, „Die werden ihren halben Lohn nicht im Stiche lassen.“

„Na, wenn das kein Hinterpommer ist!“ bemerkte das Dienstmädchen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_111.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2023)