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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

wird nicht viel Redens von sich machen; ihr wird nicht Weihrauchsopfer der Bewunderung den schlichten, deutschen Frauensinn benebeln; sie wird sich nicht zur Gesellschaftsvorsitzerin hinaufdrängen; nicht als oberste Balltummlerin schwärmen; Anbetungsgeschmeiß kann nicht den Boden vor ihren Knieen besudeln; aber ihr Lohn wird unaussprechlich groß sein, nirgends glücklicher als bei ihr wird sich ihr treuer Gemahl fühlen. Solche Gattinnen werden das höchste irdische Glück genießen – Menschenmütter zu sein. Ihnen wird sich die Liebe erneuen, verjüngen, vermehren; sie werden leben, weil sie lieben. In ihren Armen wird der Mann alles Leid vergessen, an ihrem Busen selbst dem Tode zulächeln: denn sie werden dem Manne den Wonnebecher des Lebes reichen, Liebe wird er trinken, und Thatlust in der Liebe und in der Thatlust Unsterblichkeit.“[1]

„Wohl weiß ich,“ entgegnete Sand, „durch meine würdige Mutter, deren Bild mir vor Augen schwebt, welch ein Schatz in dem Frauenherzen verborgen ruht, aber ich darf jetzt nicht an ein solches Glück denken, so lange meine Aufgabe noch nicht gelöst ist. Meine Liebe gehört dem Vaterlande, alle meine Gedanken ihm allein, so daß keine andere Neigung daneben aufkommen kann. Ich fühle, daß ich ihm mein ganzes Leben und Sein schuldig bin; wie kann ich da, ohne eine doppelte Untreue zu begehen, einem Weibe angehören? Eine Frau oder Geliebte würde mich nur hindern, wenn ich früher oder später eine That vollbringen wollte zu Ehren und zu Nutzen des deutschen Volkes. Würden mich nicht die Rücksichten auf sie und meine Familie schwach machen, wo ich meiner ganzen Stärke bedarf? Müßte ich nicht an sie denken, wenn ich mein Leben zum Opfer für die gute Sache bringen wollte?“

„Ein treues Weib wird dem Manne selbst das Schwert in die Hand drücken, wo es gilt, das Vaterland zu vertheidigen.“

„Aber nicht den Dolch, der den Verräther durchbohren soll,“ rief Sand mit schwärmerischem Eifer. „Zeigt mir erst das Weib, das den Mann nicht zurückhalten wird, wenn er das heilige Rächeramt an den Feinden unserer guten Sache übernimmt, die nicht zurückschrecken wird vor dem Anblick des Blutgerüstes, vor dem schimpflichen Tod des Gatten, wenn er zum Verbrecher in den Augen der irdischen Gerechtigkeit“ geworden ist, weil er einem höheren und sittlicheren Gesetze folgen mußte; zeigt mir ein solches Heldenweib in unserer entnervten Zeit, und ich will vor ihr niederknieen und mich von ihr durch einen keuschen Kuß weihen lassen zu der großen That, die ich früher oder später thun muß, wenn der große Augenblick mich fordert.“

Es lag in diesen Worten eine dämonische Kraft, unter deren Einfluß Jahn das angefangene Gespräch wieder fallen ließ. Sein gesunder Geist mochte wohl zu der Erkenntniß gekommen sein, daß eine solch gährende Natur noch nicht geschaffen sei, ein Mädchen glücklich zu machen, bevor sie sich nicht abgeklärt. Die dunkle Rede wurde indeß von ihm weit weniger beachtet, als sie es verdiente, weil in jener Zeit derartige unbestimmte Drohungen trotz ihrer oft düstern und gefährlichen Färbung zu häufig von allen Seiten sich kund gaben, um gerade in dem Munde eines schwärmerischen Jünglings aufzufallen. Jahn selbst hatte mehr als einmal ähnliche Aeußerungen fallen lassen, die ihm freilich später zum Verbrechen angerechnet wurden. Was der ältere und besonnenere Mann gethan, konnte im Munde des jüngeren und aufgeregten Sand um so weniger befremden.

Unterdeß kämpfte in Emma’s Seele fortwährend die Hoffnung mit der Furcht; bald glaubte sie sich von Sand geliebt, wenn er so offen freundlich wie ein Bruder mit ihr sprach, bald aber fühlte sie mit weiblichem Instinct, daß eine unübersteigliche Schranke zwischen ihm und ihr gezogen sei. Zuweilen fürchtete sie, daß sein Herz nicht mehr frei und von einer Nebenbuhlerin bereits eingenommen wäre, aber Sand’s eigene Worte und sein ganzes Wesen beruhigten sie immer von Neuem, indem er jede derartige Anspielung, welche meist von dem Bruder oder Julien ausging, mit Entrüstung zurückwies. Dann überließ sie sich einer stillen Freude; ihre Wangen rötheten sich; ihre Augen glänzten und das reizbare Herz schlug ruhiger. Sie träumte von einer schönen Zukunft, von glücklichen Tagen. – Armes Kind!

V.
Herzog Tus der Achte.

Auf dem Marktplatz in Jena herrschte heute eine ungewöhnliche Bewegung; Gruppen von Studenten in den Farben der Burschenschaft standen oder gingen in lebhafter Aufregung, in ihren Zügen gab sich ein hoher Grad von Entrüstung kund, und ihr Zorn machte sich in lauten Drohungen Luft. Dieser allgemeine Unwille galt dem Theaterdichter Kotzebue, welcher ohnehin durch seine zwar wirksamen, aber meist frivolen Komödien, noch mehr aber durch seinen zweideutigen Charakter sich den Haß der akademischen Jugend zugezogen hatte. Die gegenwärtige feindliche Stimmung gegen ihn galt jedoch weit mehr dem politischen Schriftsteller. – Kotzebue war russischer Staatsrath und ein erklärter Russenfreund; nur zu oft hatte er seine Vorliebe für eine fremde Nation auf Kosten des deutschen Volkes öffentlich bewiesen, und sich über die Begeisterung der Jugend und ihre Vaterlandsliebe in einer Weise lustig gemacht, die ihren Haß hervorrufen mußte. Seine große Eitelkeit war auf das Empfindlichste verletzt worden durch das Strafgericht, von dem eines seiner Bücher bei Gelegenheit des Wartburgfestes ebenfalls betroffen wurde. Seitdem steigerte sich seine Abneigung gegen die deutschen Universitäten und besonders gegen die Burschenschaft, von der jene Beleidigung nach seiner Meinung ausgegangen war, zum wüthenden Hasse. Er ließ es von nun an nicht an beißenden und meist ungerechten Ausfällen gegen die Jugend fehlen, deren reizbares Herz er verwundete und gegen sich empörte. Weit schlimmer jedoch war der Ruf, in dem Kotzebue stand, daß er als geheimer Correspondent und Berichterstatter der russischen Regierung dieser Deutschland verrathe, jede Freiheit athmende Aeußerung dem Cabinete von St. Petersburg zutrage, die unschuldigsten Worte als hochverräterische Umtriebe mißdeute, und so auf indirectem Wege zu Verfolgungen und Unterdrückung des neu erwachten Geistes herausfordere. Dieser Ruf war jetzt zur Gewißheit geworden; durch einen Zufall gerieth eines dieser Bulletins in die Hände des Dr. Lindner, der in der Eile einen Auszug machte und durch die öffentlichen Blätter zur allgemeinen Kenntniß brachte.

Dieses Blatt, voll Angriffe gegen Deutschland und besonders gegen die Burschenschaft und ihre Bestrebungen, wurde heut auf dem Markt in Jena laut vorgelesen. Der Inhalt, worin Kotzebue auf die drohende Gefahr hindeutete und die russische Regierung aufforderte, dagegen einzuschreiten und die deutsche Geistesbildung mit der Knute zu unterdrücken, hatte nothwendiger Weise die größte Entrüstung hervorgerufen.

„Der Spion! Der Verräther!“ schallte es ergrimmt von allen Seiten.

„Man müßte ihm eine Tracht Prügel zukommen lassen,“ rief ein eifriger Burschenschafter, „und die Entgegnung auf diese Schmähschrift mit blauen Schriftzügen auf seinen Rücken schreiben.“

„Wäre es nicht besser,“ fragte ein Anderer, „in corpore ihm einen Besuch abzustatten und ihm eine ausgesuchte Katzenmusik zu bringen?“

Noch mancher ähnliche Vorschlag wurde von den Anwesenden vorgebracht, ohne jedoch zur Ausführung zu kommen, da Kotzebue nicht mehr wie bisher in dem nahen Weimar wohnte, sondern seinen Wohnsitz nach dem entfernten Mannheim verlegt hatte, wo ihn die Rache seiner Feinde nicht so leicht erreichen konnte. Man trennte sich daher, ohne einen bestimmten Entschluß gefaßt zu haben, und bald war die ganze Angelegenheit von der leicht bewegten und leicht besänftigten Jugend wieder vergessen.

Nur Einer unter den auf dem Markte anwesenden Studenten war mit diesem Ausgange nicht zufrieden, weil ihm das rasche Blut und der leichte Sinn der Menge fehlte. Sand, der in Hagen’s Begleitung erst seit Kurzem in Jena eingetroffen und die Vorlesung des berüchtigten Blattes mit angehört, war nicht so schnell wieder beruhigt. Seine ernste und tiefere Natur wurde den empfangenen Eindruck nicht so bald wieder los, der unbestimmte Thatendrang glaubte ein erreichbares Ziel gefunden zu haben. Durch die chaotische Nacht seiner unklaren Vorstellungen zuckte es wie helle Blitze. Sinnend war er neben dem Freund, der mit Erlaubniß des Vaters jetzt in Jena studirte, in Stillschweigen versenkt, einige Zeit gegangen, als er plötzlich aus seinen Träumen auffuhr und wie mit sich selber redete.

(Schluß folgt.)
  1. Jahns eigene Worte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_108.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)