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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 8.   1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.       Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Sand.

Historische Novelle von Max Ring.
(Fortsetzung.)

„Ich wünschte, daß Du und Emma an der herrlichen Feier auf der Wartburg Euch hättet betheiligen können,“ fuhr Hagen fort. „So lange ich lebe, werde ich den tiefen, gewaltigen Eindruck nicht vergessen. Es war das heilige Pfingstfest des deutschen Geistes, der über die Jugend dort vom Himmel ausgegossen wurde.“

Mit diesen Worten gelang es ihm, die Besorgnisse des lieben Mädchens zu beschwichtigen, das mit ganzer Seele an ihm hing und in seiner Nähe alle Befürchtungen und den Zwiespalt vergaß, der durch dieses Verhältniß in ihr stilles Leben gekommen war, da sie zwischen dem Vater und dem Geliebten fortwährend schwankte und weder den Einen noch den Anderen aufgeben konnte und wollte. Im Gegensatze zu ihrer schwärmerischen Freundin Emma war Julie eine mehr positive, lebensfrohe und praktische Natur, der es jedoch im entscheidenden Augenblicke an einer bei dem weiblichen Geschlechte seltenen Energie und Charakterstärke nicht fehlte. – Nachdem sie noch einige Zeit in dem befreundeten Hause verweilt, nahm sie Abschied, um zu ihrem Vater zurückzukehren, dessen Hauswesen sie vorstand, da er schon seit mehreren Jahren Wittwer war. Friedrich bot sich ihr natürlich zur Begleitung an, was sie nur nach einigem Widerstreben und unter der Bedingung annahm, daß er sie nur bis an die nächste Straßenecke bringen sollte, weil sie jedes Aufsehen zu vermeiden wünschte.

Beide gingen im eifrigen Gespräche über ihre Zukunft, die sie sich, wie dies Liebende meist zu thun pflegen, in den rosigsten Farben auszumalen nicht müde wurden. In der Dämmerung bemerkten sie nicht, daß ein dunkler Schalten ihnen leise nachfolgte und sie mit lauernden Blicken beobachtete. Als Hagen sich indeß zufällig umwendete, glaubte er, die lange dünne Figur Berthold’s zu erkennen; er rief ihn an.

„Mein Gott!“ mahnte die ängstliche Julie, „was thust Du?“

„Ich rufe Berthold, damit er sieht, wie glücklich ich bin,“ entgegnete Friedrich mit jugendlichem Uebermuth.

„Welche Thorheit, da Du doch weißt, daß er mir früher ernstlich den Hof gemacht hat!“

„Eben deshalb soll er Zeuge sein, daß Du mir den Vorzug gibst.“

„So seid Ihr Männer voll Eitelkeit, die Ihr uns armen Frauen zum Vorwurfe macht. Um einen Nebenbuhler zu kränken, vergißt Du, daß unsere Liebe noch ein Geheimniß bleiben muß.“

„Du hast von Berthold nichts mehr zu fürchten, da er sich mit mir während des Festes vollkommen ausgesöhnt hat. Ich glaube, daß wir uns in seinem Charakter geirrt haben; er scheint mir das beste Herz von der Welt zu haben und gehört mit Leib und Seele der Burschenschaft an, so daß ich an seiner Aufrichtigkeit nicht mehr zweifeln kann.“

„Und ich kann mich,“ erwiderte Julie, mit echt weiblichem Instinct begabt, „eines leisen Schauders nicht erwehren, so oft ich ihn sehe. Mir ist es in seiner Nähe stets zu Muthe, als drohte unserer Liebe von seiner Seite ein schweres Mißgeschick.“

Ehe Friedrich ihr antworten und, wie er beabsichtigte, ihr vermeintliches Vorurtheil widerlegen konnte, war der Gerufene bereits näher getreten und grüßte mit erheuchelter Freundlichkeit. Mit seltener Verstellungskunst wußte er seinen Worten und seinem ganzen Benehmen einen Zutrauen erregenden Anstrich zu geben, so daß sich auch das besorgte Mädchen täuschen ließ und von ihrem Mißtrauen nach und nach zurückkam; um so mehr, da sie, wie die meisten Frauen, im Grunde ihrer Seele ein gewisses Mitleid mit dem verschmähten Liebhaber empfand.

Nachdem er sich mit einer tiefen Verbeugung empfohlen hatte, blieb er noch einen Augenblick stehen und sah dem glücklichen Paare mit seltsamen Blicken nach.

„Noch seid Ihr nicht so weit!“ rief er ihnen grollend nach. „Wenn mein Plan glückt, so wird die stolze Julie nicht Frau Hagen, sondern Zeisig heißen.“

Dieser Gedanke erregte dermaßen seine Heiterkeit, daß er darüber ein kurzes, heiseres Gelächter ausstieß. Dann schaute er sich vorsichtig um und trat in das Haus, wo der Geheimrath Schmalz wohnte. Nachdem er daselbst einige Zeit verweilt, verließ er es mit triumphirendem Gesicht.



IV.
Der Turnvater Jahn.

Einige Monate nach diesen Vorgängen erhielt Hagen einen Brief, worin Sand ihm seine nahe bevorstehende Ankunft in Berlin anzeigte. Da er vor seiner Schwester kein Geheimniß hatte, so ließ er sie das Schreiben des Freundes lesen, wie er dies früher mit allen übrigen Briefen Sand’s schon gethan hatte, so daß sie mit dem Charakter des jungen Mannes, für den sie sich, ohne ihn zu kennen, bereits lebhaft interessirte, hinlänglich bekannt war. Es liegt ein eigenthümlicher Reiz in solch’ einer geheimen Theilnahme an Personen, in deren Ansichten und Grundsätze man früher eingeweiht wird, bevor man ihnen näher tritt. Die Phantasie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_105.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)