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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

dort sich zur Perle wandele. Hiermit steht wohl im Einklänge, daß Plinius erzählt, die Perlen würden erst hart, nachdem die Muschel aus dem Meere genommen sei. Die geringe Kenntniß der alten Zeit in Dingen der Naturwissenschaft, die große Hinneigung zur wundersüchtigen und poetischen Auffassung der natürlichen Dinge, besonders aber der Mangel unserer heutigen optischen Mittel mußte die richtige Deutung der Natur der Perlen hemmen, und erst Réaumur, welcher der Naturwissenschaft so manchen epochemachenden Dienst geleistet hat, erkannte die mikroskopische Textur derselben, wodurch erst die Erforschung ihrer Entstehung möglich wurde.

Seit man weiß, daß der Mantel das die verschiedenen Schichten der Muschelschalen absondernde Organ ist, daß die Perlen aus denselben Stoffen, wie diese, bestehen und mit seltenen Ausnahmen sich nur zwischen den zarten Häuten des Mantels finden (siehe die zwei Perlen an Fig. 1.), so konnte man mit Bestimmtheit die Perlen das Erzeugniß einer krankhaften oder sonst abnorm bedingten Ausscheidung der Schalensubstanz nennen, und es war nur noch die Veranlassung zu dieser und der Grund ihrer Gestalt und freien Lage in der Muschel zu erforschen. Was letztere betrifft, so liegen die Perlen keineswegs immer frei, sondern sind zuweilen an der inneren Schalenseite festgewachsen. Die Veranlassung ist in den allermeisten Fällen, die man natürlich nur an einem Durchschnitte der Perlen kennen lernen kann, ein mikroskopisch kleines organisches Körperchen, das man im Mittelpunkte als den Kernpunkt der Perle findet. Auf welche Weise dieser die ihn immer mehr umhüllende Perlmutter-Ausscheidung veranlaßt, wird vielleicht nie mit Ersichtlichkeit nachzuweisen sein. In den meisten Fällen fand man als Kernpunkt ein kleines organisches, meist zellig und körnig gebildetes Körperchen (Fig. 3. K). Einige Male entdeckte man ein mikroskopisches Schmarotzerwürmchen in den Perlen eingeschlossen, einem Doppelmunde (Distoma) sehr ähnlich, welches man auch in Menge lebend im Mantel des Muschelthieres fand. Seltener bildet ein krystallinischer Kalkkörper den Mittelpunkt der Perlen. Th. v. Heßling hat in neuester Zeit in bairischen Süßwasserperlen, die den Schalen inwendig aufgewachsen waren, Sandkörnchen, Schlammklümpchen und Algenüberreste gefunden.

Da die Körperchen, welche man in den Perlen eingeschlossen findet, stets außerordentlich klein sind, so ist es natürlich, selbst wenn dieselben keine regelmäßige runde Gestalt haben, daß die Perlen dennoch rund werden; denn die fortdauernde Umhüllung mit immer neuen Perlmutterschichten muß nach und nach die Unebenheiten des Körperchens ausgleichen. Mithin dürfte es fraglicher sein, wodurch die birnförmige, tropfenförmige, der Walzenform nahe kommende oder sonst sehr unregelmäßige Gestalten der Perlen bedingt seien. In den meisten dieser Fälle mag dennoch eine sehr von der Kugelform abweichende Gestalt des veranlassenden Körperchens maßgebend sein. Vielleicht liegt auch der Grund zu unregelmäßig gestalteten Perlen – Barok-Perlen genannt – darin, daß mehrere dicht nebeneinander liegend begonnene Perlchen später einer gemeinsamen Umhüllung mit Perlmutterstoff unterlagen. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß die Kostbarkeit des Gegenstandes eine oft wiederholte Untersuchung, die ohne Opferung der Perlen nicht möglich ist, sehr erschwert.

Es ist ziemlich bekannt, daß Linné im Besitze eines Geheimnisses sein wollte, die Muscheln zur Perlenerzeugung zu nöthigen, und daß er dieses Geheimniß, nachdem er es dem Könige von Schweden zum Besten des Landes angeboten hatte, nachher für 500 Duckten an einen Kaufmann Bagge in Götheborg verkauft habe. Man weiß nicht, ob die Linné’sche Kunst außer von ihm selbst jemals ausgeübt worden sei. Beckmann aber sah in Linné’s Conchyliensammlung, neben der gemeinen Süßwasser-Perlenmuschel (Unio margaritifer) stehend, eine Schachtel voll Perlen und dabei einen Zettel mit den Worten: „Diese Perlen habe ich durch meine Kunst gemacht, sie sind nur fünf Jahre alt und doch so groß.“ Derselbe glaubte, Linné’s, Geheimniß in einer Stelle von dessen systema naturae (VI. Aufl. S. 195) gefunden zu haben, wo aber die Sache nur wissenschaftlich und nicht als Geheimniß erwähnt ist. Wenigstens wurde Linné gegen Beckmann verlegen, ohne nach der Stelle zu fragen, als ihm Beckmann seine Vermuthung äußerte. Die Stelle besagt: „es wachsen auf der Innenseite der Muschel Perlen, wenn man jene von außen anbohrt.“ Dieses Mittel ist übrigens als probat erkannt, obgleich dadurch nur Halbperlen entstehen können.

Die geschickten Chinesen sind längst im Besitze des Kunstgriffes, die Muschelthiere zur Ablagerung von Perlenstoff zu nöthigen, indem sie allerlei Körper in die Muschel unter den Mantel oder zwischen diesen und den Bauch des Thieres einschieben. Man kennt unter anderen chinesische Muschelschalen, welche inwendig über eingeschobenen Metallformen buddhistische Götzenbilder darstellend, eine dünne Schicht Perlstoff zeigen, durch welche der Metallglanz hindurchscheint.




Erlebnisse im Norden.
(Auf Island, Jan Mayen und Spitzbergen.)

Lord Dufferin, der reiche, lustige Irländer, hat blos zu seinem Vergnügen in einer ganz kleinen Yacht eine Spazierfahrt nach Island, Jan Mayen und Spitzbergen unternommen, eine Reise, vor welcher die Flotte des Prinzen Napoleon mit einem mächtigen, brillianten Dampfschiffe zurückfuhr, so daß der irische Lord in seinem kleinen kühnen Segler, von dem Napoleonischen Dampfer bis an die eigentlichen arktischen Wasser geschleppt, allein weiter in Nacht und Eis und erhabenste Scenen arktischen Naturlebens hinunterkämpfte, Jan Mayen und selbst Spitzbergen erreichte, glücklich zurückkam und der Welt in einem brillant ausgestalteten und illustrirten Buche[1] erzählte was er erlebt und gesehen.

Das Buch hat kurz hintereinander vier Auflagen erlebt, obgleich es keine großen Geheimnisse und Entdeckungen enthält. Worin liegt der Reiz? In der Kühnheit des Unternehmens wohl weniger, denn an muthigen Thaten zu Wasser ist das Leben und die und Literatur Englands nicht arm; gewiß aber in Island, Jan Mayen und Spitzbergen selbst in der arktischen, menschenleeren, blos naturgewaltigen Scenerie, den Quellen einer riesigen Götter- und Sagenwelt, den Bildern die in Farben und Formen, Massenhaftigkeit und Kraft oft an das Leben der Natur vor der Schöpfung erinnern an die vormenschliche Zeit der Einbildung. Sie befriedigen zugleich eine just von den Edelsten und Besten der Menschen am stärksten gefühlte Sehnsucht der Flucht und Erlösung aus unserer menschenwimmelnden unter verschuldeten kleinen und unverschuldeten größeren socialen und politischen Uebeln sich abquälenden Civilisation, die das Schönste nicht selten kainsstempelt, statt es zu adeln, feige Kriecherei decorirt und die Stirn des freien Mannes brandmarkt. Auch sieht man oft, wie den Wald vor Bäumen, den Menschen vor Menschen nicht. Wenigstens muß er viel Geld, mächtige Verwandte, hohe Titel, Sterne an der Brust und Zeus-Blitze der Gewalt in der Hand haben, wenn er „angesehen“ sein will. Je weniger der einfache, edle Mensch beachtet wird, desto mehr verdichtet sich die Ehrfurcht und Furcht um den Einzelnen. In Frankreich genießt blos ein Mensch Preß- und Redefreiheit. Eine einzige Neujahrs-Gratulation von ihm, nicht so höflich, als man erwartet, – und die ganze politische deutsche und englische Presse schrie angstkreischend auf, wie ein altes, krankes Weib. Die Elektrizität der europäischen Telegraphen zitterte schlaflos Tag und Nacht und sah blauer aus vor Schreck, als je. Jeder Mensch mit Werthpapieren, für welche Mächtige Staaten garantiren, fühlte sich plötzlich um so und so viel Viertel- und Achtelprocent ärmer. Nicht ein braves Manneswort im Namen mächtiger Nationen wurde geschrieben gedruckt und gelesen,

Aus solcher Civilisation und Politik sehnt sich das edele, gequälte Menschenherz oft heraus, Wohin? In die Einsamkeit, in die Arme der Natur, der gewaltigen, die in ihren furchtbarsten Tragödien sich noch streng an ewige, unverbrüchliche Gesetze hält.

„Sie ordnet regelnd jegliche Gestalt,
Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.“

Da wir nicht so reich sind, in eigenem Schiffe vor diesem

  1. „Letters from High Latitudes“ u. s. w. By Lord Dufferin. London: John Murray. Berlin: Asher & Co.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_097.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2023)