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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Hand seinen Vater erschoß, weil er nicht mit ihm fliehen wollte. War’s cannibalische Haiduckengrausamkeit oder erhabenste Kindesliebe? Wir wissen’s nicht. Aber diese That zeichnet mit einem gewaltigen Striche den ganzen Mann der Zukunft, den Napoleon Serbiens, eben so deutlich, als grauenvoll.

Von dem österreichischen Freiwilligen Georg wissen wir nicht viel, als daß er 1791 als Feldwebel zurückkam, um hier den Haiducken-Rachekrieg wieder aufzunehmen. Später wird er Waldheger in Syrmien; aber der einsame Wald ist nicht seine Mission. Unter Mustapha Pascha’s menschlicherer Verwaltung richtet er sich mit seinem Bruder Milenko die Wirtschaft in Topola wieder ein und mästet Schweine.

Die Janitscharen, durch einen früheren Vertrag vertrieben, kehren zurück, um ihre alten „Rechte“ durch Thaten der Rache, des Mordes und der Plünderung wieder geltend zu machen. Sie kommen und morden, brechen in die Hauptstadt Belgrad ein, ermorden den türkischen Statthalter, erklären sich zu Herren des Landes, und vertreiben selbst türkische Bewohner Serbiens von ihrem Hab und Gut.

Rache, Schrecken, Ruchlosigkeit herrschen wie nie zuvor. Spahis (türkische Grundherren) und Serben vereinigen sich unter gemeinschaftlichen Tscheta’s oder Aufruhrfahnen. Auch der schwache Sultan erklärt sich gegen die Janitscharen, ist aber zu schwach, etwas zu thun. Die Herren Serbiens, von zwei Seiten bedroht, suchen „Ruhe und Ordnung“ durch ein schaudervolles Blutbad (Februar 1804) herzustellen. Jetzt tritt der schwarze Georg auf. Die Janitscharen wollen ihn fangen, sie finden aber blos sein leeres Gehöft, das in Flammen aufgeht. Er sieht zu von einem Berge. Nichts war ihm geblieben, als sein erhöhter Rachedurst, Waffen und Haiduckenfreunde. Ein Janitscharenbeamter bei Belgrad liegt eines Morgens ermordet vor seinem niedergebrannten Hause, eine That des schwarzen Georg, der nun mit einem Schlage Held Serbiens wird. Alles, mit Rache im Herzen, strömt ihm zu. Sein Rachecorps verbrennt und ermordet Alles, was Türkisch heißt, über das Land hin. Ueberall bilden sich neue Freicorps der Rache. Die Janitscharen bitten um Frieden, aber der schwarze Georg weist sie ab. Sie werben in benachbarten Ländern alles Gesindel an, und suchen sich so von außen zu stärken. Die Serben sahen nun ein, daß Einheit in ihren Guerilla-Rachekrieg kommen müsse, und wählten den schwarzen Georg zum „Commandanten von Serbien.“

Er warf Zuzüge der Janitscharen aus Bosnien und der Bulgarei mit dem gründlichsten Erfolge zurück, dann rückte er mit reicher Beute gegen Belgrad, und eroberte es.

Die vier Häupter der Janitscharen-Regierung liegen am folgenden Morgen zu Füßen des schwarzen Georg. Der Sultan hatte die Serben bisher sogar unterstützen lassen. Aber nun sollt’ es gut sein, man sollte die Waffen niederlegen. Die Großen Serbiens waren, wie der schwarze Georg, noch nicht zufrieden, aber schon neidisch auf die Popularität und Macht ihres Commandanten. Sie drangen in ihn, daß er das Commando niederlege, besonders der Knes Theodosje, der hinzufügte, daß er seine Befehle nicht mehr beachten werde. Der schwarze Georg, mitten unter ihnen stehend, blitzt unter seinen schwarzen Brauen hervor, zieht ein Pistol aus der breiten Brustbinde und mit den Worten: „Dann nimm, was dem Empörer gebührt!“ schießt er ihn durch die Brust. Der Meuterer zuckt einige Male im Kreise der serbischen Großen und liegt dann still. Der schwarze Georg berathet mit den Umstehenden, ungestört von ihnen, ungestört von dem stillen Manne zu ihren Füßen.

Der Kampf wird nun als Revolution fortgesetzt, der schwarze Georg wird ihr absolutes Haupt (1804). Aber er schwankt schon beim ersten Schritt, bittet Oesterreich, dann Rußland um – Unterstützung der Revolution, und wird auf türkische Gnade verwiesen. Diese kommt in Form eines türkischen Heeres. Der Commandant von Serbien schlägt es von den Grenzen Serbiens zurück. Allgemeine Begeisterung und Einigkeit, die den schwarzen Georg zum Vrbovni vozd (obersten Anführer) erhebt.

Von allen Grenzen her drohen türkische Truppen, so daß der schwarze Georg, der nicht überall sein kann, viele wichtige Zugänge andern Führern übergeben muß. Nach manchen Scharmützeln werden mehrere geschlagen, dann bricht die türkische Hauptmacht mordend und brennend über das Land herein, vielleicht in Folge von „Verrath.“

Serbien ist vollständig unterjocht (1806). Nur von Einem hofft man noch, vom schwarzen Georg. Was noch Muth hat, flüchtet sich zu ihm. Er wüthet mit Erfolg umher. Bei Mischvar, dicht an der Save, kommt es zu dreitägiger Schlacht. Der schwarze Georg, dunkel und glühend hervorragend überall, wo es am blutigsten herging, nur durch seine Mütze vor den Gemeinen kenntlich, mit langer Damascenerflinte in der Rechten, Pistolen und Handschar im Gürtel, Alles durch sein Beispiel und seine einzigen Commandoworte: Haidemo! Udarimo! (Drauf! Vorwärts!) mit sich in den Feind hineinreißend, kommt als vollständigster Sieger aus dem Kampfe und den Leichenhaufen des gänzlich von lebenden Feinden geräumten Schlachtfeldes zum Vorschein.

Alle Türken sind aus Serbien geflohen. Serbien, 1806 vollständig unterjocht, war 1807 wieder frei durch den schwarzen Georg.

Belgrad wurde unter dem fürchterlichsten Blutvergießen und Gräuelscenen, der schwarze Georg zuerst auf den Wällen, erobert. Seine besten Freunde und Anhänger spielten nun Haiducken gegen das eigene Volk, und lösten die Zungen seiner alten Gegner.

Im Jahre 1808 war Waffenstillstand. Seine Gegner drangen auf Anrufung russischer Hülfe und Entfernung zunächst seiner Getreuen. Der ihm im eigenen Lande drohenden Gefahr sucht er durch kühne Kriegsthaten zu entgehen: durch Revolutionirung der christlichen Bevölkerung Bosniens, Albaniens und der Herzegowina gegen das Türkenthum. Erst siegreich, dann auf allen Punkten geschlagen und fliehend (nachdem sich sein Freund Stevo mit allen den Seinen in die Luft gesprengt, von deren Köpfen die Türken den entsetzlichen Schädelthurm bei Nissa bauten), dann wieder Alles gewinnend, war er 1809 zum zweiten Male Retter und Befreier Serbiens.

Retter Serbiens? Zu Neujahr 1810 in der Volksversammlung klagen ihn die Großen als – Feind des Czaren von Rußland an. Noch können sie ihn nicht stürzen, aber Neid und Mißgunst verschwören sich gegen ihn. Ihr zuvorkommend, läßt sich Georg von der Neujahr-Volksversammlung 1811 zum Haupte der Nation ausrufen, und die Verschwörer beugen sich.

Der ehemalige Haiduck und Schweinemäster ist nun Haupt eines freien Volks. Aber ihm schwindelt auf dieser Höhe. Der Sultan bietet ihm den Fürstentitel. Der zweimalige Befreier Serbiens, Haupt der tapfersten Nation, bittet jetzt Rußland um Erlaubniß, diesen Titel anzunehmen. Rußland überlieferte ihn und sein Volk wieder ganz der Gnade des Sultans. Wer nach außen um Erlaubniß gefragt, ob er so frei sein dürfe, verdiente nichts Besseres. Um nur Haupt der Nation zu bleiben, bot und gab er dem Sultan mehr, als verlangt ward, Festungen, Kanonen, Alles. Das Volk wüthet über ihn. Er will seine Stelle retten und greift wieder zur Damascenerflinte, zum Aufstand gegen die Türkei. Die einzelnen Serbenhaufen streiten und fallen wie Spartaner, aber der schwarze Georg, überall gesucht, ist verschwunden, geflüchtet nach Oesterreich (2. October 1813). Der neunjährige Freiheitskampf des tollkühnsten, tapfersten Volkes lag zu den Füßen des türkischen Großherrn.

Milosch Obrenowitsch, auch ehemals Schweinehirt, dann Mitkämpfer, wird kluger Hospodar von Serbien und diplomatisirt zwischen Selbstständigkeit und Gehorsam, zwischen Rußland, Oesterreich und der Türkei, bis auch er weggejagt wird. Im Frühjahr 1817 erscheint der schwarze Georg wieder in Serbien, bei einem alten Gastfreunde Wuitza, der ihm – aus Gefälligkeit gegen Milosch – im Schlafe mit einem Beile den Kopf abhackt und denselben an den Hospodaren sendet. Dieser schickt ihn an einen türkischen Pascha, dieser an den Sultan, welcher ihn an der Pforte des Serails annageln läßt. Darunter die Unterschrift: „Kopf des berüchtigten serbischen Kara Djordje!“ – Milosch ließ den kopflosen Körper in der Kirche von Topola begraben und darüber „dem Befreier Serbiens“ ein Denkmal setzen. Dem Befreier, nein, dem Repräsentanten des Unterganges Serbiens und jeder Nation, die Freiheit zu erkämpfen, aber vor Neid, Zwietracht, Herrschsucht, Eigennutz und Erlaubnissen von außen her sie nicht zu würdigen und zu wahren weiß.

Der Despot Milosch, der sich seinen Thron mit Geld und russischer Unterstützung wieder erobert, wird nun an dieses untergehende Reich seine letzten Jahre setzen und seiner Auflösung entgegenführen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_083.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2023)