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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Felix Mendelsohn-Bartholdy.

überschaut, sondern tiefer in ihr inneres Wesen eindringend durchschaut, stellt sich im Ganzen eine lange Reihe von Märtyrern dar. Besonders unterworfen diesem traurigen Geschick sind die Tonkünstler. Von der erschreckend großen Zahl der musikalischen Proletarier an, die den Namen „Künstler“ mit den elendesten täglichen Nahrungssorgen bezahlen müssen, bis zu den schaffenden Genie’s hinauf, die als wirkliche oder nur eingebildete „Zufrühgekommene“ ihrer Zeit geben oder zu geben wähnen, was erst eine spätere genießen kann, ist der äußere Kampf um die leibliche Existenz oder der innere gekränkten Ehrgeizes der Hauptinhalt von der Tonkünstler Erdenwallen. Eine öftere Ausnahme machen die musikalischen Ephemeren. Diese ziehen schnell einen großen Liebhaberkreis an, weil sie es verstehen, dem gemeinen Tages- und Modegeschmack zu huldigen. – Zuweilen kommt denn auch Einer in die Welt, dessen Werth schnell erkannt wird, dessen Ruhm sich sein ganzes Leben hindurch und über sein Leben hinaus in gleichem Grade und Glanze erhält. Unter diese seltenste Art von Tonkünstlern gehört Mendelssohn, dessen funfzigsten Geburtstag wir am 3. Februar feierten, wenn auch das Geburtstagskind längst unter dem kühlen grünen Rasen ruht.

Felix Mendelssohn-Bartholdy wurde am 3. Februar 1809 zu Hamburg geboren. Sein Großvater war der berühmte Philosoph Mendelssohn, sein Vater ein reicher Bankier. Dieser wie die Mutter unseres Felix besaßen eine reiche Bildung und liebten namentlich auch die Musik.

Im Jahre 1812 siedelte die Familie nach Berlin über, wo sich bald ein Kreis von Notabilitäten der Kunst und Wissenschaft in dem gastfreien Hause versammelte. Da wurde denn auch sehr viel gute Musik getrieben. Die angeborene Neigung zur Tonkunst gab sich frühzeitig in dem Knaben kund und die Eltern beförderten dieselbe auf alle Weise. Den ersten Unterricht auf dem Clavier übernahm die Mutter selbst. Bald trat Berger dafür ein, kurze Zeit auch Moscheles. In der Theorie und Composition wurde Zelter sein Hauptlehrer; dazwischen, bei seiner ersten Anwesenheit in Paris, wohin ihn der Vater geführt hatte, bekam der Knabe auch von Cherubini Unterricht im Contrapunkt. Dabei wurde die wissenschaftliche Bildung nicht vernachlässigt. Felix erhielt ausgezeichnete Privatlehrer, ließ sich später als Student auf der Berliner Universität inscribiren, frequentirte die Vorlesungen eifrig und machte sein Studentenexamen in gehöriger Form.

Da Mendelssohn Alles, was er angriff, mit Ernst und Eifer betrieb, so erwarb er sich viele und gründliche Kenntnisse. Er las die lateinischen und griechischen Autoren in den Ursprachen, schrieb und sprach französisch, englisch und italienisch geläufig und las den „Don Quixote“ spanisch. Nebenbei nahm er Unterricht im Zeichnen und Malen und brachte es auch in diesem Fache zu gewandter und leichter Darstellung. Es existirt noch manche gelungene Landschaft von ihm. Auch die Körperbildung des Knaben wurde nicht vernachlässigt. Er lernte Schwimmen, Reiten, erwarb sich große Gewandheit im Turnen und war ein leidenschaftlicher und graziöser Tänzer.

Endlich bereiste er zu verschiedenen Zeiten, theils in Begleitung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_077.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2023)