Seite:Die Gartenlaube (1859) 076.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

sich die Landstraße von Wanderern, die gleich ihnen zu dem morgenden Feste zogen. Von allen Ecken und Enden des Vaterlandes strömte die studirende Jugend herbei, um der Aufforderung Folge zu leisten, welche von der Jenaer Burschenschaft ursprünglich ausgegangen war. Die sonst so ruhigen Straßen boten ein bewegtes buntes Bild, Bürger und Studenten drängten sich im lustigen Getümmel nach dem Markt, wo das provisorische Festcomité seine Sitzung hielt. Jeden Augenblick kam ein neuer Trupp fröhlicher Studenten mit lautem Liederschall und wehenden Fahnen, deren Farben, Schwarz, Roth und Gold, jubelnd empfangen wurden. Die wackeren Burschen von Erlangen, Gießen, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Jena und Marburg hatten sich bereits eingefunden; nur die Abgesandten einiger ferner liegenden Universitäten wurden noch erwartet, bevor man zu der Wahl des engeren Ausschusses und zur Entwerfung des Festprogramms schreiten wollte. Auch diese trafen nach und nach ein; gegen Abend erschienen noch als die Letzten dreißig Kieler Studenten, die von Kiel nach Eisenach zusammen gewandert waren und jetzt ihren Einzug hielten, wobei sie das herrliche Lied „Eine feste Burg ist unser Gott“ feierlich anstimmten. Das war ein Leben und Treiben auf dem Markt, wie es schon lange nicht hier gesehen worden war. Die Blüthe Deutschlands hatte sich zusammengefunden, die herrlichsten Jünglingsgestalten aus allen Gauen des Vaterlandes, kräftige Westphalen, deren hohe Gestalten und treue Augen an die Cherusker mahnten, welche einst Varus und seine Legionen im Teutoburger Walde vernichtet hatten, leichtblütige Pfälzer und heitere Rheinländer, die wie der junge Most ihrer Rebenhügel schäumten, starkgliedrige Friesen mit blauen Augen und langen, blonden Haaren, feine Sachsen und treue Hessen, gemüthliche Schlesier und gewandte Berliner; trotz dieser nationalen Verschiedenheiten von einem Gefühl beseelt, von einem Bruderband umschlungen.

Die Einwohner von Eisenach halten sich bereits mit ihren Gästen befreundet und erboten sich freiwillig zu ihrer Aufnahme. Bürger und Studenten gingen Hand in Hand; die Scheidewand war gefallen, welche sonst den auf seine Vorrechte eifersüchtigen Burschen von dem Philister trennt; das einseitige und beschränkte Vorurtheil mußte einer bessern Einsicht weichen und Beide fühlten nur noch, daß sie Deutsche waren. Auch die Frauen und holden Mädchen sahen natürlich mit Wohlgefallen auf die schmucken Ankömmlinge; an jedem Fenster erblickte man reizende Lockenköpfe und schelmische Gesichter, welche halb neugierig, halb bewundernd auf das interessante Schauspiel niedersahen. Trotz der bekannten Sittenstrenge der Burschenschafter waren dieselben doch für die berühmte Schönheit der Eisenacher Jungfrauen keineswegs unempfindlich, und manches Herz schlug bei diesem verführerischen Anblick lauter unter dem schwarz-roth-goldenen Bande.

Die großherzoglich weimarische Regierung hatte nicht nur der bevorstehenden Wartburgfeier kein Hinderniß in den Weg gelegt, sondern dieselbe auf jede mögliche Weise unterstützt. Es wurde sogar von ihr eine namhafte Summe zur abendlichen Erleuchtung und das nöthige Holz zum Siegesfeuer angewiesen. Karl August liebte seine Studenten und hörte nicht auf die Einflüsterungen und Verleumdungen, an denen es eine gewisse Partei schon damals nicht fehlen ließ.

Nur mit Mühe konnte sich Sand mit seinem Begleiter einen Weg durch dieses Menschengetümmel bahnen. Er wollte nach dem Gasthofe „zum Rautenkranz“, um seinen Namen in die dort ausliegende Liste einzuzeichnen und den Quartierzettel, der ebenfalls daselbst ausgetheilt wurde, für sich und seinen neuen Freund in Empfang zu nehmen. Bei jedem Schritte wurden Beide von Fremden und Bekannten angehalten und begrüßt. Dabei machte Hagen die Erfahrung, daß sein Reisegefährte eine in der Burschenschaft hoch angesehene und geachtete Persönlichkeit war. Sobald er auf Befragen seinen Namen nannte, wurde er von dem Festcomité und den anwesenden Burschenschaftern auf das Ehrenvollste empfangen und bei der noch an demselben Abende stattfindenden Wahl zum Mitgliede des Ausschusses sämmtlicher Hochschulen gewählt und außerdem mit dem Ehrenamte eines Fahnenträgers der großen Burschenfahne betraut. Das freudige Roth, welches diese Auszeichnung aus Sand’s sonst so blassen Wangen hervorrief, bezeugte, daß der strenge Puritaner nicht gänzlich jeder Eitelkeit abgestorben war und daß sein stilles, scheues Wesen einen nicht unbedeutenden Ehrgeiz verbarg.

Da Sand durch sein neues Amt noch zurückgehalten wurde, so schlug Friedrich allein den Weg nach der ihm bezeichneten Wohnung ein, welche in der Nähe des Thores lag. Es dämmerte bereits und das Gewühl hatte sich einigermaßen zerstreut, indem die meisten Gäste, welche einen weiten Weg zurückgelegt, sich entweder in ihr Quartier zur Ruhe legten oder Stärkung in den überall geöffneten Gasthäusern suchten. Da auch er seit jenem Morgenimbiß nichts genossen, empfand er plötzlich das Bedürfniß nach Speise und Trank und trat zu diesem Zwecke in die nächste Bierstube, aus der ihm schon von Weitem lauter Jubel und Gesang entgegenschallte.

Kaum hatte er sich an den Tisch gesetzt, wo die Zunächstsitzenden zusammenrückten, um ihm Platz zu machen, als er unerwartet seinen Namen nennen hörte. Zugleich sah er sich von zwei langen, mageren Armen umschlungen, die ihn mit ihrem knöchernen Druck zu ersticken drohten. Diese Beweise einer außerordentlichen Zärtlichkeit schienen indeß Hagen keineswegs angenehm zu sein, denn er erwiderte sie ziemlich kalt und mit einem kaum merklichen Gruße. Davon ließ sich jedoch der Andere, der sich Berthold Zeisig nannte, keineswegs zurückschrecken, da er zu jener Menschenclasse zu gehören schien, die nicht so leicht aus einer gewissen angenommenen Ruhe kommt und auch nicht an übertriebener Empfindlichkeit leidet. Berthold war ein praktischer Philosoph, der sich in alle Verhältnisse zu schicken wußte, weil er nicht anders konnte. Er war ebenfalls der Sohn eines preußischen Beamten, aber weit niedriger von Rang, als Hagen’s Vater. Von Jugend auf beneidete er daher seinen Spielgefährten, mit dem er ungefähr in einem Alter stand und der ihn in jeder Beziehung überragte. Friedrich trug nicht nur einen feineren Rock und hatte mehr Taschengeld, sondern zeigte auch größere Anlagen und weit mehr Talent. Auch äußerlich war Freund Berthold von der Natur keineswegs allzugütig bedacht worden. Das lange Gesicht voll Sommersprossen, die grünlichen und fortwährend zwinkernden Augen, das struppige, Kamm und Bürste spottende Haar machten ihn nicht angenehmer, und ein lauernder Zug um den breiten Mund, der allerdings dafür ein Gebiß der schärfsten weißen Zähne aufzuweisen hatte, flößten beim ersten Anblick mehr Furcht als Vertrauen ein. Dazu kam eine Gestalt von einer erschreckenden Magerkeit, als hätte sich ihr Eigenthümer noch nie im Leben recht satt gegessen. Besonders waren die Arme von einer unverhältnißmäßigen Länge, so daß Berthold niemals wußte, wo er sie lassen sollte. Die ganze Figur erinnerte unwillkürlich an gewisse kriechende Würmer oder Schlingpflanzen, die sich überall anklammern und aus fremden Körpern ihre Nahrung saugen.

Diesem Aeußeren entsprach eine Schmiegsamkeit und Biegsamkeit des Geistes, welche ihm von Jugend auf zur zweiten Natur geworden war. Frühzeitig lernte er seine wahren Gesinnungen verleugnen, sich in die Launen Anderer und Höherstehender fügen und durch Nachgiebigkeit und Unterwürfigkeit sich überall Freunde machen, so daß es ihm gelang, auch schärfer blickende Beobachter zu täuschen und mit seinem widerlichen Aeußeren auszusöhnen. Diesen Eigenschaften hatte er es auch zu verdanken, daß er in Hagen’s elterlichem Hause freundlich aufgenommen wurde und manche Unterstützung daselbst genoß. Auch Friedrich, dem er sich wie eine Klette anhing, verkehrte viel mit ihm und nahm ihn gegen alle Welt in Schutz.

(Fortsetzung folgt.)




Zur Todtenfeier eines heimgegangenen Künstlers.

Felix Mendelssohn-Bartholdy! Welchem Leser der Gartenlaube wäre dieser Name unbekannt! Wer hätte nicht schon seine „Lieder ohne Worte“ gehört, seine Ouvertüre zum Sommernachtstraum, sein prächtiges, in allen deutschen Gauen so oft erklungenes Männerquartett: „Wer hat Dich, Du schöner Wald, aufgebaut?“ Wer hat sich nicht an diesen herrlichen Klängen erbaut und den Tondichter gefeiert in dankbarer Erinnerung! Zwar hat auch an seinem Verdienste der Neid zu nagen versucht, aber nur, um sich die Zähne vergeblich daran auszubeißen.

Wenn man die Lebensgeschichten der Künstler nicht blos oberflächlich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_076.jpg&oldid=- (Version vom 13.10.2019)